Deutschland – das neue Italien?

7. März 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Heike Lehner

Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin. Ihre Spezialgebiete liegen im Bereich der Geldpolitik und Finanzwirtschaft, wozu sie aktuell ebenso promoviert.

In dieser Woche überschlagen sich die Nachrichten wieder einmal: Sowohl Deutschland als auch die EU planen erhöhte Ausgaben für Verteidigung, und Deutschland ebenso ein riesiges Infrastrukturprojekt. Starke Marktreaktionen folgten und die Zinsen auf Staatsanleihen nicht nur für Deutschland, sondern auch für einige andere Euroländer schossen prompt in die Höhe. Inmitten all dieser Tumulte folgte die gestrige Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), die Zinsen zu senken.

Dieser Zinsschritt von 0,25 Prozentpunkten war erwartet worden. Immerhin ist die Inflationsrate zuletzt wieder leicht zurückgegangen. Auch die besorgniserregend hohen Dienstleistungspreise haben sich im Februar erstmals wieder etwas beruhigt. Während der gestrigen EZB-Pressekonferenz dominierten jedoch zwei Themen: Auf der einen Seite, wie es nun mit den Zinsen weitergeht. Und auf der anderen, was die EZB nun zu den milliardenschweren Träumen der EU und Deutschlands sagt. Denn die Angst ist groß, dass diese Vorhaben – sofern sie in die Tat umgesetzt werden – die Staatsanleihemärkte weiter unter Druck setzen. Eine mögliche weitere Inflationswelle und eine EZB, die sich selbst in eine Sackgasse manövriert, können folgen. Niemand möchte, dass Deutschland das neue Italien wird.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde wollte die Pläne für Abermilliarden an Ausgaben nicht groß kommentieren. „Wir fokussieren uns auf unser Mandat“, hieß es. Dabei war es die EZB, die in den vergangenen Monaten immer wieder darauf hingewiesen hatte, dass Staaten ihre Haushalte wieder in den Griff bekommen müssen. Denn die Staatsausgaben würden die Inflation weiter auf erhöhtem Niveau halten. Dass sie sich jetzt derart bedeckt gehalten hat, ist dann doch ein Kurswechsel zu den vergangenen Sitzungen. Dabei haben diese Vorhaben von EU und Deutschland doch weitaus größere Auswirkungen als eine Inflationsrate, die ein paar wenige Zehntel Prozentpunkte über dem Inflationsziel der EZB von zwei Prozent liegen.

Bei einem sind sich die allermeisten einig: Die potenzielle Ausgabenexplosion kann das stagnierende Wirtschaftswachstum insbesondere in Deutschland zumindest etwas ankurbeln. Das Problem an dem schuldenfinanzierten Vorhaben: Die Inflation kann ebenfalls wieder ansteigen, wenn der Staat die Nachfrage ankurbelt. Auch, wenn die EZB bis gestern laut Lagarde aufgrund der Kurzfristigkeit der Geschehnisse noch keine Analysen dazu vorbereiten konnte, die Gefahr ist unbestreitbar. Sollte das passieren bleibt zu hoffen, dass die EZB sich wirklich – wie sie sagt – auf ihr Mandat der Preisstabilität fokussiert. In den Jahren der Nullzinspolitik konnte sie ungehindert Staatsanleihen kaufen, lag die Inflation doch weit unter zwei Prozent. Aber diese Käufe sind jetzt nicht mehr möglich, solange die Preissteigerungen weiterhin erhöht bleiben. Seit Anfang 2025 kauft die EZB sogar gar keine Staatsanleihen mehr an. Das heißt: Zusätzlich zu der potenziell steigenden Neuverschuldung kommt eine Zentralbank, die sogar noch weniger Anleihen aufkauft als zuvor. All diese Anleihen muss aber irgendjemand stattdessen kaufen. Und dieses Überangebot an Anleihen kann wiederum zu erhöhten Zinsen auf diese Anleihen führen. Ein Teufelskreis.

Die Ironie, dass Deutschland selbst jahrelang gegen solche Mechanismen gewettert hat, ist kaum zu übersehen.

Deutschlands geplante fiskalische Eskapaden blieben nicht ohne Folgen: Auch französische und italienische Anleihezinsen zogen mit nach oben. Sollten die Pläne umgesetzt werden, steigt der Druck auf die EZB. Wenn der Stabilitätsanker der Eurozone Deutschland bröckelt, droht ein Dominoeffekt: Noch höhere Zinsen für alle, weniger Budgetspielraum für zukünftige Krisen – und am Ende möglicherweise doch wieder die EZB als Retterin in der Not.

Die Ironie, dass Deutschland selbst jahrelang gegen solche Mechanismen gewettert hat, ist kaum zu übersehen. Doch jetzt treibt es die Eurozone, angefeuert von den Deutschen, in genau diese Richtung. Wenn die EZB am Ende doch wieder in die Anleihemärkte eingreifen muss, wäre das nichts anderes als die Kapitulation vor der politischen Realität: Eine Fiskalpolitik, die nicht zu einer unabhängigen Geldpolitik passt, aber trotzdem durchgesetzt wird. Es bleibt zu hoffen, dass die EZB die aktuelle Herausforderung nicht auf die leichte Schulter nimmt.

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