ZeitGeschichten von Gerhard Jelinek

Ein Urteil schreibt Geschichte – oder öffnet zumindest ein neues Kapitel

27. Mai 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Gerhard Jelinek

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.

„Der Berufung des Sebastian Kurz wird Folge gegeben. Sebastian Kurz wird freigesprochen.“ – Diese zwei Sätze, die der Vorsitzende des Berufungssenats am Oberlandesgericht Wien am Montagvormittag sagt, könnten noch Geschichte schreiben, jedenfalls ein neues Kapitel in der Laufbahn des ehemaligen Bundeskanzlers aufschlagen.

Der seinerzeit von der vereinten Opposition – maßgeblich von den Neos – betriebene Untersuchungsausschuss anläßlich der Ibiza-Affäre wurde rasch zu einem Kurz-muss-weg-Tribunal. Was sollte ursprünglich untersucht werden? – Ging es nicht eigentlich um die Bestellung des FPÖ-affinen Herrn Peter Sidlo bei den „Casinos Austria“. Also den in der Republik durchaus üblichen Ersatz eines roten Günstlings durch einen blauen Günstling. Da wurden reihenweise Strafverfahren gegen praktisch alle Aufsichtsräte eingeleitet, Handys abgenommen und Hausdurchsuchungen mit Cobra-Begleitung inszeniert. Nach Jahren mussten alle Ermittlungen eingestellt werden, auch die gegen H.C. Strache. Ibiza war also im Rückblick keine strafrechtlich relevante Affäre, sondern nur eine ziemlich absurde Episode im patscherten Leben des ehemaligen FPÖ-Chefs Heinz Christian Strache. Nachdem er weg war, musste ein neues Stück inszeniert werden. Der U-Ausschuss wurde zur Bühne, um den damaligen, noch sehr populären, Jungkanzler mitten in der Corona-Krise politisch umzubringen.

Tatsächlich war der parlamentarische Ausschuss im Zusammenwirken mit der Korruptionsstaatsanwaltschaft und dem Herausspielen von Hunderten Chats, die meist strafrechtlich bedeutungslos waren, aber zum Amusement einer an Affären interessierten Öffentlichkeit beitrugen, erfolgreich.

Es wurde durch ein illegal angefertigtes und in minimalen Ausschnitten (über die Bande der „Süddeutschen Zeitung“) an die Öffentlichkeit gespieltes unscharfes Video ein Vizekanzler und Parteichef einer bis dato durchaus populären schwarz-blauen Koalition gestürzt.
Die schmutzigen Fußnägel einer mutmaßlichen Schönheit vom Balkan, die sich als russische Oligarchennichte ausgäbe erlangten einige Berühmtheit. Es kam zum Bruch der schwarz-blauen Koalition, zu Demonstrationen auf dem Ballhausplatz, zu Neuwahlen, einem Triumph der „türkisen“ Volkspartei mit dem damals noch strahlenden Sebastian Kurz. Und es kam erstmals zu einer Regierungsbeteiligung der „Grünen“. Wenige andere Filmchen lösen so viel aus.

Und es kam schließlich zur Anklage eines Bundeskanzlers durch die Korruptionsstaatsanwaltschaft, weil er im Untersuchungsausschuss des Parlaments seine Rolle bei der Bestellung von Aufsichtsräten der ÖBAG falsch oder unzureichend dargestellt habe. Der grüne Koalitionspartner sprengte daraufhin die Koalition („Vertrauensverlust“). Ein, zwei ÖVP-Landeshauptleute waren ob des Abgangs von Sebastian Kurz als Bundeskanzler nicht traurig.

Die ÖVP ließ sich demütigen, glaubte Neuwahlen scheuen zu müssen und regierte dreieinhalb Jahre weiter mit den Grünen. Aus Furcht vor Neuwahlen erfüllte sie dem grünen Regierungspartner ziemlich viele Wünsche und erlitt bei den kommenden Wahlen eine schwere Niederlage. Die Volkspartei hatte ihren Markenkern vergessen.

„Die ÖVP ließ sich demütigen, glaubte Neuwahlen scheuen zu müssen und regierte dreieinhalb Jahre weiter mit den Grünen.“

Gerhard Jelinek

Das alles hat mit dem gestrigen Urteil des OLG keine Rechtsgrundlage mehr.

Also kann man den Film jetzt wieder rückwärts ablaufen lassen? Vier Jahre ermittelt Österreichs Justiz in dieser Causa, verurteilt einen ehemaligen Bundeskanzler nach wochenlangem Prozess, weil er eine Frage einer Oppositionsabgeordneten im Parlament nur unvollständig beantwortet habe, zu acht Monaten (bedingter) Haft?

Das Oberlandesgericht hat nun nach wiederum monatelanger Vorbereitung „der Berufung des Sebastian Kurz“ stattgegeben. Das Ersturteil ist daher „nichtig“.

Sind all die politischen Entwicklungen, die ein Strafrichter mit Kontakten zu Peter Pilz, ausgelöst hat, jetzt auch „nichtig“?

Tatsache ist, dass Teile der heimischen Justiz Politik gemacht haben, willentlich oder „in Kauf nehmend“. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat ein weiteres Mal „überschiessend“ agiert. Keine vorgesetzte Behörde hat das verhindert. Es bedurfte des Oberlandesgerichts die vielen falschen (Vor-)Verurteilungen zu korrigieren. Die Gerichtsbarkeit funktioniert.

Aber, was heißt das jetzt politisch? Gegen Sebastian Kurz wird noch in einem weiteren Verfahren ermittelt. Er, beziehungsweise Mitarbeiter, sollen Meinungsumfragen beauftragt haben, die nicht allein den Zwecken des Finanzministeriums, sondern auch der Partei und der Person des Bundeskanzlers nützen hätten können. Das sei irgendwie „indirekte“ Korruption, oder so. Die Staatsanwälte zeichnen da ein von ihnen vermutetes Tatbild. Überdies seien Umfragen von einem Meinungsforschungsinstitut manipuliert worden. Eine Anklage gibt es nach fünf oder mehr Jahren noch immer nicht, dafür einen in die Niederlande emigrierten Kronzeugen und seine zigtausenden Chats.

In der WKSTa wird das Urteil des OGH-Senats vom Montag Enttäuschung und vielleicht auch eine gewisse Ernüchterung auslösen. Die Staatsanwälte wirkten schon am Montag – in weiser Voraussicht? – nicht besonders motiviert.

Und Sebastian Kurz? Man wird von ihm hören. Die politischen Karten werden jetzt Mal neu gemischt. Was bisher galt, ist jetzt einmal „nichtig“.

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