Gegen die Kettensäge

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.
Ein bisschen zum Lachen ist es schon: „Zur Vorbereitung des jährlichen Bürokratieberichts wird (..) ein strukturierter Prozess etabliert, der das Ziel hat, Unternehmen und Bevölkerung nachhaltig von unnötiger Bürokratie und Doppelgleisigkeiten zu befreien“ steht in dem Beschluss des Ministerrats, den die neue schwarz-rot-pinke Regierung am Mittwoch abgesegnet hat. Ein bürokratischer Prozess, um bürokratische Prozesse abzubauen, quasi – es könnte die Fortsetzung eines langjährigen Sketches sein, dessen frühere Pointen das türkis-blaue Deregulierungsgrundsätzegesetz oder jüngst auch die Ernennung eines eigens geschaffenen Staatssekretärs für Deregulierung (samt Büro) gewesen sein könnten.
Es ist auch ein scharfer Kontrast zu den Populisten jenseits des Ozeans, die unter großem „Afuera“- und „DOGE“-Gebrüll dem Staatsapparat die Kettensäge ansetzen. Das mag manchmal verführerisch sein, wenn man gerade wieder eimal dem Amtsschimmel beim Reiten zuschaut – aber in Summe ist der österreichische Zugang nicht nur sympathischer, er wird mittelfristig auch die besseren Ergebnisse zeitigen.
Denn Bürokratie ist grundsätzlich etwas Wunderbares. Das Zusammenspiel von Regeln und stabilen Institutionen; die Nachvollziehbarkeit jedes staatlichen Handelns; das Versprechen, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleich behandelt und veraktet werden: Im Großen sind das alles Elemente von Freiheit, ein Schutzschild gegen Willkür und Günstlingspolitik.
Natürlich fühlt sich das nicht so an, wenn man gerade die 17. Revision seiner Steuererklärung überarbeiten muss, wenn man jahrelang in einer Betriebsanlagengenehmigung festhängt oder ganze Abteilungen für neue Berichtspflichten einstellt. Aber dem Staat in all seinen Formen mit Misstrauen oder gar Hass zu begegnen – Afuera eben – das haben die Republik und ihrer Mitarbeiter nicht verdient.
Entgegen weit verbreiteter Ansicht ist der Staatsapparat heute wesentlich kleiner als noch vor 20 Jahren: Die Zahl der Bundesbediensteten im Verwaltungsdienst ist – bei wachsender Bevölkerung – von fast 57.000 Vollzeitäquivalenten im Jahr 2000 auf zuletzt rund 46.000 geschrumpft. Und das ohne die große Kettensäge anzusetzen, sondern durch stille, konsequente Arbeit an der Bundesverwaltung: Nicht-Nachbesetzen obsoleter Positionen, Digitalisierung statt Zettelwirtschaft, Stärkung von „new public management“-Ansätzen auch bei der Fortbildung des Personals.
Das mag weniger sexy klingen als der Kettensägen-Ansatz der Herren Milei oder Musk, die gleich einmal publikumswirksam ganze Ministerien zusammenschneiden – der Zeitgeist, der jedes staatliche Handeln und jede Pflicht automatisch als unzumutbare Einschränkung der individuellen Freiheit sieht, geht in die Richtung. Und keine Frage, zu tun gibt es genug: Jeder von uns kenn sowohl auf der materiellen (Gesetze und Regulierungen) als auch auf der formellen (Verwaltungsstrukturen und Agenturen) Seite das eine oder andere Beispiel, wo man etwas wegnehmen müsste, wo man Abläufe effizienter machen, Personal einsparen könnte. Das Ziel muss sein, dass der Staat seine Bürger so wenig belastet wie möglich und nur das vorschreibt, was es unbedingt braucht, um seine Ziele zu erreichen.
„Politik darf ruhig auch langweilig sein.“
Aber gute Regierungsarbeit bedeutet eben, mit dem richtigen Maß vorzugehen; nach dem Prinzip „Chesterton’s Fence“ nicht den ganzen Zaun niederzureißen, bevor man eigentlich weiß, was er drin (oder draußen) halten soll. „Move fast and break things“ mag in der Wirtschaft gut funktionieren – für einen Staat, der für alle möglichen Notfälle (wer erinnert sich noch an die Pandemie?) Ressourcen vorhalten und eine gerechte Infrastruktur für alle Menschen im Land anbieten muss, ist es keine passende Vorgehensweise.
Bürokratie zu beschränken ist ein guter Plan – er wird weit mehr erfordern, als wahllos irgendwelche Schilder von einer Tafel zu reißen. Stakeholder-Treffen, Gespräche mit Landeshauptleuten, Ideensammlungen in der Verwaltung selbst, einen Föderalismus-Konvent: Das klingt alles furchtbar langweilig. Aber Politik darf ruhig auch langweilig sein – statt die Bühne den Kettensägen-Showmen zu überlassen.