Barbara Kolm ist Präsidentin des Friedrich A. v. Hayek-Instituts in Wien © Hayek-Institut/ Montage: Selektiv
Barbara Kolm ist Präsidentin des Friedrich A. v. Hayek-Instituts in Wien © Hayek-Institut/ Montage: Selektiv
Interview

Barbara Kolm: „Der Staat hat seine bürokratischen Krakenarme ausgefahren“

Friedrich August von Hayek (1899-1992) war einer der bis heute berühmtesten österreichischen Ökonomen. Er setzte sich für eine möglichst liberale Wirtschaftsordnung ein – der Staat solle sich so wenig wie möglich einmischen. „Die Politik bzw. der Staat sollte sich nicht anmaßen, etwas besser zu wissen als der Markt. Hayek beschreibt Wettbewerb als ein Entdeckungsverfahren, das jedem Unternehmen zugestanden werden muss. Auch Scheitern muss möglich sein“, sagt Ökonomin Barbara Kolm, die dem österreichischen Hayek-Institut als Präsidentin vorsteht. Wie aktuell sind Hayeks Theorien heute wieder?

Die Rezession ist 2024 in die Verlängerung gegangen und war mit minus 1,2 Prozent auch tiefer als bisher gedacht und für heuer ist wieder ein Minus prognostiziert. Warum kommen wir da nicht hinaus?

Barbara Kolm: Wir haben über Jahre hinweg die falsche Politik gemacht. Wir hätten kontrazyklisch agieren müssen – mit massiv den Standort attraktivierenden Maßnahmen und einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Das wäre auch freiheitlicher Vorschlag für das blau-schwarze Programm gewesen, etwa durch eine Vereinfachung des Steuersystems. Die vergangenen Jahre ist es hingegen immer schlimmer geworden, indem der Staat seine bürokratischen Krakenarme ausfährt und Unternehmen und Menschen in ihrer freien Entfaltung hemmt.

Argumentiert werden die Eingriffe mit den multiplen Krisen der vergangenen Jahre. Was wäre Ihrer Meinung nach das richtige Mittel gewesen bzw. wie wäre Friedrich Hayek das Thema angegangen?

Ein Ansatz von Hayek findet sich schon vor über 80 Jahren in seinem „Weg zur Knechtschaft“. Darin warnt er vor dieser zentral gelenkten Planwirtschaft. Die Kriegswirtschaft in Großbritannien, aber auch in Nazideutschland und anderen Ländern war zentral gelenkte Planwirtschaft. Hayek ist der Ansicht, dass der Staat nicht wissen kann, was der Bürger oder Konsument braucht – Lenkung funktioniert langfristig nicht. Vor über 30 Jahren ist Gott sei Dank der Eiserne Vorhang gefallen – aber jetzt machen wir wieder zentral gelenkte Planwirtschaft. Der zweite Punkt ist die Ordnung der Freiheit: Menschen und Unternehmen wissen selbst besser, was sie brauchen, um Dinge herzustellen. Das funktioniert aber nur, wenn es klare Rahmenbedingungen und Regeln gibt, die den Wettbewerb ermöglichen. In den letzten Jahren haben wir den Wettbewerb gedrosselt – durch hohe Steuern, Bürokratie und andere Schranken für Unternehmen. Ein weiterer Punkt, der Hayek wichtig wäre: die Anmaßung von Wissen. Die Politik bzw. der Staat sollte sich nicht anmaßen, etwas besser zu wissen als der Markt. Hayek beschreibt Wettbewerb als ein Entdeckungsverfahren, das jedem Unternehmen zugestanden werden muss. Auch Scheitern muss möglich sein. Das schlimmste Beispiel waren die Corona-Lockdowns, die die Lieferketten zerstört, die Gesetze von Angebot und Nachfrage ausgehebelt und so die Inflation angetrieben haben.

Hayek musste seinen Nobelpreis mit Gunnar Myrdal teilen – einem Verfechter des Sozialstaats. Sind das zwei Seiten einer Medaille oder hat ihn das geärgert?

Hayek war sehr bescheiden und zurückhaltend. Persönlich hat ihn das wahrscheinlich geärgert, aber öffentlich hat er das nicht gezeigt. Es war eher Gunnar Myrdal, der gewettert hatte, dass er sich seinen Preis mit einem Liberalen teilen muss. Die Wirtschaftsgeschichte hat Hayek Recht gegeben – die kommunistische Wirtschaftspolitik ist gescheitert. Jetzt erleben wir wieder ein Auferstehen, das ist natürlich traurig. Hayek hat aber auch seine eigene Zunft aufs Korn genommen – die Wirtschaftswissenschaft gehe von Daten aus, die nicht objektiv sind. Nur in der Naturwissenschaft kann man reine Daten messen, aber bei uns wird immer schon bei der Datenerhebung interpretiert. Das ist wichtig, denn auch wir Ökonomen dürfen nicht so arrogant sein, zu glauben, alles zu wissen. Es gibt keine vollständige Information. Es gibt externe Schocks und neue Entwicklungen, die wir nicht vorhersehen und einpreisen können.

Wann sind aus Ihrer Sicht staatliche Eingriffe gerechtfertigt?

Am liebsten gar nicht – das wäre der Optimalzustand. Der Staat mischt sich nicht in den Markt ein und sorgt nur für Sicherheit und Ordnung. Man muss sich darauf verlassen können, dass der Rechtsstaat funktioniert und alle vor dem Gesetz gleich sind. Und es muss Sanktionen geben, wenn die Gesetze gebrochen werden. So radikal war Hayek aber gar nicht. Er hat sich sehr wohl für einen staatlichen Ordnungsrahmen ausgesprochen, der Wettbewerb ermöglicht – auch zwischen den Staaten. Er war für Steuerwettbewerb und nicht für Steuerharmonisierung. Hayek würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass wir uns in Richtung Schuldenunion entwickeln. Das zerstört jeden Wettbewerbsgedanken.

Die EU steht für einen stabilen Rechtsrahmen. Einige Regularien werden nun aber im Sinne der Entbürokratisierung aufgeschnürt. Sind diese Vereinfachungen nun gut oder ein Problem für jene Unternehmen, die sich bereits darauf eingestellt und ihre Investitionen darauf ausgerichtet haben

Diese Stop-and-Go-Politik ist natürlich schlecht. Die EU hat sich viel zu weit in die Leben der Unternehmen und Bürger eingemischt. Hayek war Eigenverantwortung immer wichtig. Es wird immer unterstellt, dass Unternehmen gierig und unanständig sind, weswegen man sie in ein enges Korsett zwängen muss, um alle anderen vor ihnen zu schützen, als wären Unternehmer Feudalherren aus früheren Zeiten. Aber das stimmt ja nicht. Prinzipiell sorgen Unternehmen – insbesondere familiengeführte – sich zuerst um ihre Mitarbeiter, ihre Ressourcen und Kunden. Anderes Verhalten wäre höchst kurzsichtig. Deshalb ist diese Unterstellung, das enge Korsett aus Regulierungen und Strafen eine Frechheit; es ist anmaßend von der Politik – nicht nur in Brüssel, sondern auch in den Nationalstaaten. Unsere Kultur ist dem Feudalherrentum längst entwachsen sodass man Ausbeutung und unsoziales Verhalten nicht fürchten muss. Politiker müssen hier wieder einen Schritt zurückgehen und an Ehrlichkeit und das Gute glauben und Menschen und Unternehmen die Freiheit geben, sich zu entfalten.

In Österreich ist es gerade etwas schwierig, aktiv Konjunkturimpulse zu setzen, da zunächst gespart werden muss. Wie kann es in diesem Umfeld gelingen, wieder Freiräume zu schaffen, die Unternehmen brauchen?

Zunächst muss man alle Dinge einsparen, die nicht nötig sind. Ich bin gespannt, wie das bei den Budgets gelingen soll, wenn es mit 21 Ministerien bzw. Staatssekretariaten nun noch mehr Posten gibt. Bei den Maßnahmen auf Einnahmeseite ist die Regierung jetzt sehr konkret – höhere Steuern, Belastungen, Umverteilungsmaßnahmen –, aber die Ausgabenseite haben sie überhaupt nicht im Griff. Gute Wirtschaftspolitik hat uns immer gezeigt, dass bei niedrigen Steuersätzen die Einnahmen der Finanzminister gestiegen sind. Was jetzt passiert ist das Gegenteil. Jetzt muss auch die Mindestpensionistin einen Beitrag leisten.

Einen Beitrag leisten müssen vor allem Banken, Energieunternehmen und die Immobilienbranche. Nicht unbedingt Bereiche, die mit dem Mitleid der Bevölkerung rechnen können…

Banken haben in den letzten Jahren Milliardenbeträge an Zinsgewinnen gemacht. 500 Millionen Euro sind für die Banken vielleicht ärgerlich, aber im Großen und Ganzen ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit finanzieren wir wahrscheinlich nicht einmal die Mehrausgaben für die vielen Staatssekretariate.

Das ist reine Symbolpolitik aus Ihrer Sicht?

Das ist reine Symbolpolitik, so wie das diese Regierung macht, jedenfalls keine Standortpolitik.
Welche Maßnahmen wären gleichzeitig budgetschonend und würden der Wirtschaft helfen?
Steuersenkungen, Deregulierung, schnellere Genehmigungsverfahren und gleichzeitig Förderungen streichen. Unternehmen brauchen Klarheit: man kann dann über das Geld verfügen, das man verdient, weil mehr von den Gewinnen und Einnahmen bleibt – statt es über den Umweg höherer Steuern wieder als Förderung rückverteilt zu bekommen.

Abschließend ein ganz anderes Thema: Hayek war auch für eine Demonopolisierung des Geldes. Hätte er Gefallen an Bitcoin gefunden?

Hayek war für Währungswettbewerb und radikal gegen das staatliche Geldmonopol. Man muss sich aber auch die damalige Zeit vergegenwärtigen – es gab massive Inflationsschübe hervorgerufen durch die Ölkrise der 1970er. Er hat sich dafür ausgesprochen, Geld- und Fiskalpolitik zu trennen. Auf die Jetztzeit umgelegt würde das bedeuten, dass Frankfurt und Brüssel nicht alles im Paarlauf machen sollten. Beim staatlichen digitalen Euro – der etwas ganz anderes ist als das, was private Zahlungsdienstleister digital anbieten, geschweige denn Bitcoin und Co. – sehen wir das Gegenteil. Die Europäische Kommission hat der Zentralbank den Auftrag erteilt, den digitalen Euro zu entwickeln. In den USA musste die Fed das Projekt digitaler Dollar bereits einstellen. Europa wird da wohl nach dem Vorbild von Chinas digitalem Yuan weitermachen. Bitcoin hingegen würde Hayek wohl sehr spannend finden, weil es privat ist und dem Regulator immer einen Schritt voraus – das ist aus Sicht des Wettbewerbs sehr interessant.

Zur Person

Barbara Kolm ist FPÖ-Politikerin, Volkswirtin und Präsidentin des Friedrich A. v. Hayek-Instituts in Wien, Österreich sowie Gründungsdirektorin des Austrian Economics Center.