Holger Bonin ist Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) ©IHS / Matphoto / Carl Anders Nilsson / Montage: Selektiv
Holger Bonin ist Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) ©IHS / Matphoto / Carl Anders Nilsson / Montage: Selektiv
Interview

Bonin: „Senkung der Elektrizitätsabgabe ist Placebo-Politik“

Die IHS-Wifo-Winterprognose zeigt einen zaghaften Aufschwung, doch die Unsicherheiten bleiben groß. „Wir sind raus aus dem langen Rezessionstal, aber wir sind noch nicht über den Berg und wir wissen auch nicht, ob wir über den Berg kommen“, bringt IHS-Direktor Holger Bonin die aktuelle Lage auf den Punkt. Während private Investitionen in der Breite überraschend anziehen, warnt er vor zu viel Optimismus: „Die große Entwarnung wäre verfrüht.“ Im Interview beleuchtet Bonin zentrale Risiken – von außenwirtschaftlichem Druck über chinesische Exportoffensiven bis hin zum strukturellen Defizit – und plädiert für mutige, nachhaltige Reformen, um den sanften Aufschwung nicht zu ersticken.

Herr Bonin, kurz vor Weihnachten wurde die IHS-Wifo-Winterprognose für 2025 bis 2027 veröffentlicht. Wie würden Sie die Prognose in einem Satz zusammenfassen?

Holger Bonin: Wir sind raus aus dem langen Rezessionstal, aber wir sind noch nicht über den Berg und wir wissen auch nicht, ob wir über den Berg kommen.

Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Unterschiede dieser Prognose im Vergleich zu jener im Herbst – wo hat sich der Ausblick am stärksten verändert?

Wir sehen am stärksten, dass es bei den privaten Investitionen einen Aufschwung gibt. Die Unternehmen scheinen in der Breite der Sektoren mehr zu investieren. Das ist noch ein kleines Pflänzchen und wir sind nicht auf dem Niveau von vor der Krise, also 2019, aber wir wachsen wieder. Was durchaus überraschend ist, da viele Indikatoren, wie z. B. die Stimmungsindikatoren in der Industrie eigentlich gar nicht so gut aussehen. Im Aggregat ist das also mit Vorsicht zu genießen. Wenn z. B. große Investitionen in den Netzausbau getätigt werden, dann ist das natürlich betragsmäßig eine große Summe, spiegelt aber möglicherweise nicht die Lage des durchschnittlichen Unternehmens wider. Die große Entwarnung wäre also verfrüht.

Bei der Präsentation der Prognose erwähnten Sie, dass derzeit vor allem auf Lager produziert wird. Die Industrieproduktion hat schon seit vielen Monaten ins Plus gedreht, aber die Erwartungshaltungen für die Zukunft sind weiterhin schlecht.

Richtig, die Produktion ist angesprungen, aber sie ist eben nach dem, was wir wissen, zunächst einmal stark in die Lagerhaltung gegangen. Die Frage ist, werden die gelagerten Güter dann irgendwann auch wieder auf dem Weltmarkt abgesetzt? Der zweite Punkt, den man sehen muss, ist die Gewinnsituation der Unternehmen. Trumps Zollpolitik hat diese gezwungen, Margen zu reduzieren, um trotz der Zölle weiterhin Waren in die USA absetzen zu können. Das ist deshalb bedeutsam, weil Österreich bis vor kurzem sehr erfolgreich war, in die USA zu exportieren. Auch erfolgreicher als Deutschland. Wenn das nun wegfällt, stellt sich die Frage, wie reagiert man darauf?

Auch von chinesischer Seite ist der Druck zuletzt gestiegen. China hat das Problem, dass sie im eigenen Land zu wenig Binnennachfrage generieren und auch im Verhältnis zu den Europäern eben stärker von der Zollpolitik Trumps betroffen sind. Dementsprechend müssen sie sehen, wo sie ihre Produktion sonst unterbringen. Die Gefahr besteht, dass sie nun staatlich gestützt den europäischen Markt zunehmend mit günstigen Produkten fluten. Und hier geht es durchaus auch um höherwertige Güter.

Wo sehen Sie derzeit die größten Aufwärts- und Abwärtsrisiken der Prognose – eher auf der internationalen Seite, die Sie skizziert haben, oder doch mehr auf der innenpolitischen?

Das ist schwer zu sagen. Ich will jetzt keinen Prozentsatz nennen. Wenn man in die Vergangenheit blickt, war es in Österreich schon immer so, dass Aufschwung sehr stark von der Exportseite her ausging, von den Industrieexporten vor allem. Auch jetzt war diese Schwäche des Außenhandels ein ganz wesentlicher Faktor der Rezession. Wenn diese nicht in die Gänge kommt, dann kann das eine dauerhafte Belastung für das Wachstum sein. Es stellt sich die Frage wie man es schafft, dieser Neuaufstellung des Welthandels etwas entgegenzusetzen. Wenn es z. B. nicht gelingt, Mercosur zu unterzeichnen, dann wird es schwierig, ein Gegengewicht zu dem Druck, den die Chinesen aufbauen, herzustellen.

Auf der Binnenseite sehe ich eher die Chancen als die Risiken. Ein zentrales Risiko war die Inflation und dieses hat man erkannt. Für die meisten Menschen ist es verständlich, dass automatische Preisindexierungen zu Lohnpreisspiralen oder Kostenpreisspiralen führen, also sich selbst verstärkenden Prozessen, die belastend wirken. Etwa im Tourismus oder anderen arbeitsintensiven Branchen. Hier spielen auch die Arbeitskräfteengpässe aufgrund der demografischen Entwicklung mit hinein. Natürlich gibt es auch ein Risiko bei den Haushaltsspielräumen. Bei einem Defizit von über vier Prozent sind diese kaum mehr vorhanden. Die Zinsen, die Österreich auf seine Schulden zahlen muss, steigen und es besteht die Gefahr einer sich verstärkenden Spirale.

Aber es gibt eben auch Gegenbewegungen und das stimmt mich positiv. Die Entwicklungen, die wir dieses Jahr gesehen haben, z. B. das Aufbrechen der Indexierungsspiralen, indem man Kollektivverträge wieder aufgeschnürt und sehr moderate Abschlüsse getätigt hat. Das war nicht selbstverständlich. Oder im Bereich der Pensionen, in dem man die Pensionisten einen Teil der Lasten hat tragen lassen. Meine Sorge war, dass der Druck auf die Politik sinkt, nach dem wir nun die ersten zarten Wachstumssignale verzeichnen. Aber die wesentlichen Player, wie das Wirtschafts- oder Finanzministerium, haben doch sehr klar gesagt, nein, das ist eben nicht so. Das Wachstum macht es leichter Reformen anzugehen, aber die Reformnotwendigkeit bleibt. Denn wir haben kein kurzfristiges konjunkturelles, sondern ein strukturelles Defizit.

Die Schwäche des Außenhandels war ein ganz wesentlicher Faktor der Rezession.

Holger Bonin

Wie sollte man dieses strukturelle Defizit adressieren?

Im Gesundheitsbereich wäre es z. B. gut, wenn man es schafft, dass nicht mehr zwei Krankenhäuser an den jeweiligen Bundesländergrenzen gebaut werden. Das hat zwar die perverse Logik, dass es akut ein negatives Wachstum bringt, weil weniger gebaut bzw. produziert wird. Doch langfristig werden dadurch Ressourcen frei, die volkswirtschaftlich besser genutzt werden können. Dasselbe gilt bei den Pensionen. Wir führen eine Pensionsreform durch und mit der gesparten Summe z. B. beim Bundeszuschuss, können wir es uns dann leisten, Steuerentlastungen zu setzen. Die Schwierigkeit ist es, Reformen zu finden, die möglichst wenig wachstumsschädlich sind. Das war die große Kunst am Anfang des Jahres. Wir müssen einen doppelten Sparhaushalt beschließen, dieser soll aber bitte nicht das sanfte Pflänzchen der Konjunktur erdrücken.

Strukturreformen sind auch wichtig, um gegenüber der Bevölkerung positive Zeichen zu setzen. Gerade die Föderalismusreform ist so ein Lackmustest, weil es sich um einen gordischen Knoten handelt mit sehr vielen Playern, die unterschiedliche Interessen haben. Man braucht solche Signale, um bei Bürgern und Unternehmen Zuversicht zu erzeugen.

Damit wir bis 2028 ein Defizit unterhalb von 3 % des BIP erreichen, müssen laut Fiskalrat weitere 8,9 Milliarden Euro zusätzlich gespart werden. Christoph Badelt meinte, dass wir sogar auf 2 % oder weniger kommen müssen, um die Schuldenquote tatsächlich zu senken.

Ich glaube, das ist ein monumentaler Berg, der uns noch bevorsteht. Im heurigen Jahr waren die Sparmaßnahmen mit der Restriktion verbunden, dass man die Konjunktur nicht wieder abwürgen wollte. Das Volumen, das Sie erwähnen, ist so groß, dass es nicht den einen kleinen Hebel dafür gibt. Und dann ist man eben genau bei den großen Reformen. Es geht auch nicht darum, dass man einfach Leistungen streicht, sondern vielfach um mehr Effizienz. Bei der Bildung ist Österreich bei internationalen Leistungsvergleichen nicht herausragend, aber es gibt verhältnismäßig viel Geld hierfür aus. Die Preis-Leistungs-Relation stimmt nicht. Auch im Bereich der Gesundheit merken die Bürger, dass es schlechter läuft, dass sie keine Arzttermine bekommen. Es wird mit überraschender Klaglosigkeit akzeptiert, dass man eine private Zusatzversicherung abschließen muss, wo doch schon ein relativ hoher Beitrag für die gesetzliche Versicherung vorgesehen ist.

Einzelne Player haben natürlich Angst bei grundlegenden Reformen, ihre Pfründe zu verlieren. Das Prinzip unter dem Donald Trump bzw. MAGA inspirierte Bewegungen antreten ist nun, wir zerschlagen das Establishment. Und da steckt ja in einer gewissen Weise auch eine positive Komponente drinnen, also Dinge von Grund auf neu bzw. out of the box zu denken. Das ist etwas, das vielfach Not tut. Aber Trump geht es ja eigentlich gar nicht darum, die Dinge zum Besseren zu verändern, sondern darum, gewisse Elemente des Staats zu zerschlagen. Und das ist in vielen Bereichen, eben nicht die Lösung.

Man bräuchte hier schon jemanden, der quasi mit der Kettensäge vorgeht.

Holger Bonin

Was wäre denn die Lösung?

Wir besprechen die nötige Staatsreform jetzt seit über 20 Jahren, die Konzepte liegen alle auf dem Tisch. Das Problem ist, keiner schafft es, den erwähnten gordischen Knoten zu zerschlagen. Man bräuchte hier schon jemanden, der quasi mit der Kettensäge vorgeht. Ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Das Modell der europäischen Wohlfahrtsstaaten, ist an sich ein sehr, sehr erfolgreiches. Das darf man nicht vergessen. Aber es gelingt derzeit nicht, die notwendigen Reformschritte zu unternehmen, um genau dieses System zu stabilisieren.

2026 wird das entscheidende Jahr, um zu sehen, ob man es schafft, diese Reformen anzugehen oder ob man daran scheitert. Wenn man scheitert, dann wird das den mittelfristigen Wachstumsaussichten sicherlich nicht guttun. Man kann nur hoffen, dass die Unternehmen und Bürger diese Reformen laut von den verantwortlichen politischen Akteuren einfordern. Unternehmern fällt es vielfach leicht zu sagen, die Lohnnebenkosten müssen runter. Aber zu sagen, wir brauchen eine Pensionsreform, die genau das Ziel hat, die Lohnnebenkosten runterzubringen, darüber redet dann keiner gern. Natürlich muss man auch die soziale Komponente im Blick haben. Wir nehmen die Menschen nur dann mit, wenn wir die Überforderungen, die damit verbunden sein können, auflösen.

Eine Gefahr ist hier wohl, dass neue Steuern als einfacher Ausweg gesehen werden. Aktuell wird diskutiert, ob man nicht die Grundsteuer erhöhen sollte, aber auch neue Erbschafts- bzw. Vermögenssteuern sind im Gespräch.

Wenn wir über die Frage der Steuern reden, greife ich durchaus Wünsche in der Bevölkerung auf, dass es fair und gerecht zugeht. Dazu gehört für viele Menschen auch die Thematik der Besteuerung von Vermögen oder etwa Erbschaften in der intergenerationalen Transformation. Die Aufstiegsmöglichkeiten über die Generation hinweg sind derzeit stark damit verbunden, dass man ein Erbe hat oder nicht. Ohne dieses ist es ziemlich schwierig z. B. eine erste Immobilie zu erwerben. Selbst wenn man Akademiker ist. Darin liegt ein großes politisches Spannungsfeld. Und es ist auch nicht notwendigerweise effizient, weil man einen Teil der Bevölkerung, der talentiert wäre, nicht zur Entfaltung kommen lässt.

Also es gibt auch Effizienzargumente, hier etwas zu tun. Deshalb bin ich dafür, über die Frage der Besteuerung von Vermögen nachzudenken. Ein wichtiger Punkt ist allerdings, was machen wir mit den Einnahmen daraus? Wir sollten damit keine Haushaltslöcher stopfen. Zwei Dinge könnte man tun. Wir nutzen die generierte Summe für eine effizienzorientierte Steuerreform. Eine einfache Regel ist, je weniger ich vor einer Steuer weglaufen kann, umso weniger Ineffizienzen ergeben sich aus dieser.

Und je weniger Ausnahmen es gibt.

Ja, wenn man Ausnahmetatbestände hat, dann führt das wieder direkt zu Ineffizienzen. Die Grundsteuer ist pragmatisch gedacht ein guter Ansatzpunkt, noch besser wäre allerdings eine Bodenwertsteuer. Diese würde zusätzlich den Anreiz schaffen, den betreffenden Grund möglichst effizient zu nutzen, also auf das Gebäude noch ein Stockwerk draufzusetzen und dergleichen. Wir nutzen die Einnahmen daraus, um z. B. die Abgaben auf Arbeit zu senken, weil diese weitaus negativere Konsequenzen haben und um Leistungsanreize zu setzen.

Das wäre der eine Aspekt. Der zweite Aspekt ist es die Ungleichheitsthematik aufzugreifen. Wir nutzen das Geld aus einer etwaigen Erbschaftssteuer, um in Schulen bzw. in das Bildungssystem zu investieren, sodass wir mehr intergenerationale Mobilität schaffen.

Wobei es im heimischen Bildungssystem ja nicht an Geld mangelt.

Es fehlt an den richtigen Stellen. Man müsste es z. B. in leistungsfähige Kindergärten ab dem zweiten Lebensjahr investieren oder schon davor ansetzen. Die Ungleichheiten fangen ja schon im Mutterleib an. Unsere Bildungsökonomen führten jüngst eine Risikokinderstudie durch. Sie haben vor 25, 30 Jahren Risikokinder in drei Gruppen eingeteilt und mit der Geburt angefangen diese zu beobachten. Die Mutter-Kind-Interaktion in den ersten drei Lebensmonaten, sagt schon sehr viel darüber aus, ob das Kind einmal erfolgreich ist am Arbeitsmarkt. Das hat eine enorm hohe prädiktive Qualität. Wenn wir in Zukunft Wachstum wollen, müssen wir die Bildungsinvestitionen auf jene konzentrieren, die die besten Fähigkeiten haben. Um Talente zu entwickeln, unabhängig davon, ob sie einmal erben werden oder nicht.

Aber hätten wir nicht schon genug Steuereinnahmen, um diese Investitionen zu finanzieren? Aktuell verzeichnen wir mit über 45 % des BIP einen historischen Abgabenrekord.

Natürlich, Österreich ist sicherlich kein Niedrigsteuerland und die Steuerstruktur ist auf mehr als eine Weise schädlich. Ich bin ja sicherlich kein Schlechtverdiener, aber mit dem Wechsel nach Österreich habe ich 500 Euro netto im Monat mehr zur Verfügung als in Deutschland. Bei gleichem Einkommen. Woher kommt das? Weil Österreich ein 13. bzw. 14. Monatsgehalt hat, was gerne übersehen wird. Es würde schon einmal helfen, wenn Österreich sich vom 13. und 14. Monatsgehalt verabschieden und dafür den allgemeinen Einkommensteuertarif senken würde. Damit man für Fachkräfte attraktiver wirkt und den falschen Eindruck eines Grenzsteuersatz nahe 50 % vermeidet.

Die Inflationsprognosen des IHS und des Wifo gehen für das Jahr 2027 auseinander. Im Gegensatz zum Wifo rechnet das IHS mit einem Erreichen der 2-%-Zielmarke des Kanzlers. Was ist der Grund, für diese optimistischere Annahme?

Der zentrale Punkt, bei dem sich die Prognosen unterscheiden, ist die Frage, wie sich die Löhne entwickeln. Wir erwarten ein schwächeres Wachstum der Bruttolohnsumme als das Wifo. Was den Arbeitsmarkt oder die Beschäftigungszahlen angeht, sind die Differenzen nicht so groß. Wir gehen aber davon aus, dass die Lohnzurückhaltung, die wir heuer gesehen haben, auch noch länger erhalten bleibt.

Das heißt, Sie gehen davon aus, dass die nächsten Lohnerhöhungen im Angesicht der Teuerung ebenfalls niedriger ausfallen?

Genau, das scheint der Unterschied zu sein. Im Detail kann man solche Differenzen nicht immer ganz aufklären. Es mag noch Unterschiede geben bei den angesetzten Energiekosten. Am Ende muss man nach zeitreichen Analysen auch sein Expertengefühl mit einfließen lassen. Es geht auch um die langfristigen Konsequenzen einer so hohen Inflation in der Bevölkerung und ihren Institutionen, wie man zum Beispiel in Zukunft auf die Benya-Formel blickt. Eine derart nachhaltig wirkende Erfahrung kann die Leute vorsichtiger machen oder eben nicht. Das wissen wir noch nicht hundertprozentig.

Meine Haltung wäre, dass sich etwas geändert hat, auch wie die Sozialpartner über gewisse Dinge nachdenken, wie z. B. die Frage der Beschäftigungssicherung. Dass man die negative Produktivitätsentwicklung bei der Benya-Formel mit berücksichtigen müssen und die reine Indexierungslogik nicht mehr greift.

Welche Branchen stehen derzeit besonders unter Druck, angesichts der Lohnsteigerungen, aber natürlich auch der allgemeinen Konjunkturlage?

Also der Handel steht weiter unter Druck. Er ist verhältnismäßig schlecht, aufgestellt. Die exportorientierten Branchen stehen ebenso unter Druck. Wo es einen Umschwung zu geben scheint, ist im Bereich des Baus. Hier geht es in eine positive Richtung. Sowie in der breiteren Industrie, dort sehen wir einen universal getragenen Aufschwung.

Über alle Industriesektoren hinweg?

Ja, also die Indikatoren sind in dieser Tiefe nicht so genau, aber es sticht kein Sektor besonders negativ hervor.  Aber als Mikroökonomen dürfen wir sowieso nie in Branchen denken, oder ähnlich groben Unterteilungen. Warum? Weil die Realität heterogen ist. Wir haben immer zu jedem Zeitpunkt Unternehmen, denen es besser oder schlechter geht.

Interessant ist hinzuschauen und sich zu fragen, wie viele Unternehmen sind jetzt möglicherweise kurz vor dem Kollaps oder so stark belastet, weil sie in den vergangenen Jahren ihre Profitmargen stark reduzieren mussten. Das ist extrem schwierig zu beurteilen. Man sieht Andeutungen bei der steigenden Zahl der Insolvenzen. Aber das birgt auch immer eine Chance. Dass eine Krise selektiert und widerstandsfähigere, produktivere Unternehmen zurücklässt.

Sie reden von der schöpferischen Zerstörung nach Schumpeter.

Ja, um ein Beispiel heranzuziehen. Der Mindestlohn in Deutschland hat am Ende fast nur geringfügige Beschäftigung vernichtet. Das wollte man auch damit erreichen, aber er hat nicht großartig allgemeine Beschäftigung gekostet. Auf der sektoralen Ebene hat er dazu geführt, dass Unternehmen, die leistungsstark waren, gewachsen sind. Also die Zahl der Köpfe ist gleichgeblieben, aber die Struktur hat sich geändert. Der Mindestlohn hat leistungsfähige Unternehmen weniger betroffen als weniger leistungsfähige Unternehmen. Am Ende waren mehr Arbeitnehmer bei leistungsfähigen Unternehmen beschäftigt. Und dasselbe gilt in jeder Krise, dass die produktiven Unternehmen die Chancen ergreifen können und die Produktivität am Ende insgesamt steigt.

Das Problem ist, wir reden jetzt gerade über Österreich spezifisch. Ich kann natürlich auch die ganze Weltökonomie heranziehen. Auch hier können die produktiveren Unternehmen diese Möglichkeit nutzen. Nur derzeit hat Österreich zunehmend weniger produktive Unternehmen. In der Weltökonomie wächst man dann zulasten der heimischen Unternehmen, die ausscheiden. Selbst wenn die Weltwirtschaft insgesamt dadurch Produktivitätsgewinne realisiert, ist nicht klar, dass Österreich das tut. Im Zweifelsfall ist die Beschäftigung nicht weg, aber woanders.

Auch weil österreichische Unternehmen derzeit vielleicht eher in das Werk in Texas investieren als in das einheimische.

Ja, zum Beispiel. Wenn es um Produktivität geht, sind andere Länder derzeit digitaler oder bieten billigere Energie und nutzen diese Möglichkeiten. Aber auch wenn wir über einheimische Investitionen reden müssen wir aufpassen. Wir haben Zahlen zu den aggregierten Investitionen, die jetzt wieder steigen. Aber wir wissen nicht, wo sie konkret steigen. Wenn wir z. B. den Energiebereich heranziehen. Wer investiert denn? Und warum? Und was macht die Firma mit diesen Investitionen? Sind das Investitionen, um den schwachen Konkurrenten aufzukaufen? Oder sind das Investitionen, die langfristig die Produktivität steigern?

Die Senkung der Elektrizitätsabgabe ist eine Art von Placebo-Politik.

Holger Bonin

Was wäre derzeit Ihr wichtigster Appell an die nächste Bundesregierung aus ökonomischer Sicht? 

Mit Reformen ein starkes Zeichen setzen, dass man handlungsfähig ist und die Dinge tun, die auf der globalen Ebene richtig sind. Also keine Detailsteuerungen wie z. B. aktuell die Senkung der Elektrizitätsabgabe. Das ist ein punktueller Eingriff, der wenig bringt. Die Senkung bringt in etwa 0,1 Prozentpunkte weniger Inflation. Wenn sie ausläuft wie geplant und nicht weitergeführt wird, dann geht es nächstes Jahr wieder um 0,1 Prozentpunkte nach oben. Das ist eine Art von Placebo-Politik. Das ist nicht etwas, das wirklich das Problem löst.

Wenn wir im nächsten Sommer wieder unsere Mittelfristprognose vorlegen und sehen, dass die Wachstumsperspektiven nicht rosig sind, dann liegt das daran, dass wir strukturelle Herausforderungen haben, Stichwort Alterung, Stichwort Dekarbonisierung etc., die Ressourcenkonflikte bedeuten. Auch die Abkehr von der internationalen Arbeitsteilung kostet Geld. Das bedeutet, egal was ich tue, ich muss die Ressourcen, die ich habe, möglichst effizient einsetzen. Was heißt effizient einsetzen? Ich mache aus den vorhandenen Ressourcen mehr. Ich habe zwar weniger Köpfe, aber ich mache die einzelnen Arbeitskräfte leistungsfähiger. Ich verschwende weniger Rohmaterialien in der Produktion. Der erste Schritt wäre es staatlichen Waste zu reduzieren. Darum geht es, wenn wir über den Föderalismus reden. Es geht nicht darum den Staat abzubauen, zu zerschlagen, sondern es geht darum z. B. in der Gesundheitsversorgung, Patienten besser und schneller zu versorgen.

Wenn ich diese Dinge aufschiebe, werden die Anpassungskosten und der Druck größer je länger ich warte. Jetzt eine Debatte darüber zu führen, ob wir in Österreich die Kapitaldeckung im Pensionssystem ergänzen, ist z. B. reichlich spät. Die Länder, die das gemacht haben, waren bereits Anfang der 90er-Jahre oder Anfang der 2000er-Jahre tätig. Warum? Weil ich den Vorlauf brauche für den Kapitalaufbau. Das ist ein Beispiel.  Bei den alterungsbedingten Reformen hat man hierzulande geglaubt, das Problem kann man einfach ignorieren. Und jetzt ist der Druck umso größer.

Was man sich nun für das nächste Jahr wünschen kann. Nicht nachlassen, reinen Wein einschenken und sagen, es gibt schmerzhaften Reformbedarf, aber auch die Perspektive eröffnen, dass das der einzige Weg ist, um unseren vorhandenen Wohlstand zu bewahren.