Martin Graf ist seit 2016 Vorstand der Energie Steiermark © Energie Steiermark | Montage: Selektiv
Martin Graf ist seit 2016 Vorstand der Energie Steiermark © Energie Steiermark | Montage: Selektiv
Interview

Energie-Steiermark-Vorstand: „Der Österreich-Aufschlag am Strommarkt ist hausgemacht“

Der Vorstand der Energie Steiermark, Martin Graf, begrüßt die Einigung auf das neue Strommarktgesetz, sieht darin aber weiterhin „Widersprüchlichkeiten“. Die geplanten Sonderdividenden staatsnaher Unternehmen zur Netzkostenfinanzierung zu verwenden, kritisiert Graf als „sehr teures Instrument“. Das wäre keine nachhaltige Lösung, sondern nur ein Einmaleffekt, der „tendenziell inflationstreibend“ wirken würde. Dass die Inflation im Energiebereich heuer wieder deutlich höher ausgefallen ist, liegt laut Graf nicht an den Energieunternehmen, sondern an politischen Maßnahmen. Weiters spricht sich Martin Graf für eine Zusammenlegung der österreichischen und deutschen Strompreiszonen aus – der „Österreich-Aufschlag am Strommarkt ist hausgemacht“, so Graf.

Letzte Woche haben sich die Regierungsparteien mit den Grünen auf das neue Strommarktgesetz einigen können, wie bewerten Sie das Ergebnis?

Martin Graf: Die Beschlussfassung des ElWG war notwendig und überfällig. Auch wenn es noch die eine oder andere Widersprüchlichkeit und Unschärfe gibt – das Allerwesentlichste ist, dass dieses Gesetz jetzt endlich umgesetzt wird.

Welche Widersprüchlichkeiten sprechen Sie da an?

Es ist weniger eine Widersprüchlichkeit im Gesetz, sondern mehr eine Widersprüchlichkeit in den Zielsetzungen. Um es am Beispiel der Photovoltaik-Spitzenkappung festzumachen: Eine 30-prozentige Spitzenkappung ist ein betriebswirtschaftlicher Nachteil für den Anlagenbetreiber, ermöglicht dem Netzbetreiber aber bis zu 40 % mehr Einspeisung mit der bestehenden Kapazität, da mehr Erneuerbare ans Netz gebracht werden können. Das ist volkswirtschaftlich ein Vorteil, auch wenn es für die einzelne Anlage ein Nachteil ist. Für mich ist das volkswirtschaftliche Optimum zu bevorzugen.

Weiters treffen steigende Investitionen auf gleichbleibenden Verbrauch und ein gleichbleibendes Tarifmodell. Den Netztarifen liegt eine sehr einfache Formel zugrunde: Kosten durch Menge. Die Kosten steigen durch die Investitionen, die Menge stagniert. Wir sollten also nicht immer nur auf den Zähler schauen, sondern auch auf den Nenner. Ich orte hier eine Entsolidarisierung des Tarifmodells – denn Energiegemeinschaften zahlen weniger und PV-Besitzer beziehen weniger aus dem Netz und bezahlen somit weniger. Immer mehr Menge fällt damit aus dem solidarischen Entgeltmodell raus und in Wahrheit muss das verbleibende Verbraucherkollektiv den Rest bezahlen. Auch das ist eine solche Widersprüchlichkeit.

In Wahrheit war die Politik selbst im Bereich der Energie inflationstreibend.

Martin Graf

Zusätzlich zu den bereits angekündigten 450 Mio. Euro sollen weitere 500 Mio. Euro – unter anderem durch eine Sonderdividende – für die Subventionierung der Netzkosten herangezogen werden. Ist das ein geeignetes Instrument zur nachhaltigen Finanzierung des Netzausbaus?

Die Erträge aus grenzüberschreitendem Transport über das Übertragungsnetz kostenmindernd einzusetzen ist durchaus nachhaltig, weil es diese Transporte weiterhin geben wird. Die jetzt zusätzlich diskutierten Maßnahmen sind aber sehr kritisch zu betrachten. Einmaleffekte sind tendenziell inflationstreibend, weil sie später wieder wegfallen. Das sehen wir gut bei der Strompreisbremse. Denn warum ist die Inflation durch Energie heuer höher? Nicht wegen den Energieunternehmen, sondern wegen politischen Maßnahmen. Der Wegfall der Strompreisbremse sowie die Wiederinkraftsetzung der Energieabgabe und der Ökostrompauschale haben die Teuerung befeuert. In Wahrheit war die Politik selbst im Bereich der Energie inflationstreibend.

Das muss man bei Einmaleffekten in Zukunft berücksichtigen. Daher plädiere ich dafür, dass bis 2030 die Energieabgaben auf das europäische Minimum herabgesenkt werden. Das macht auch Deutschland so, das ist vom Europarecht gedeckt. Das würde einem Haushalt rund 60 Euro pro Jahr ersparen und auch kleine und mittlere Betriebe würden profitieren.

Die Sonderdividende ist darüber hinaus ein sehr teures Instrument, da die Republik nur einen Teil davon lukrieren kann. Auch allen anderen Anteilseignern muss die Dividende zuteilwerden. Auch ist es für das betroffene Unternehmen eine sehr große finanzielle Belastung, da das abgeschöpfte Kapital für Investitionen benötigt werden würde. Wenn man also wünscht, dass in die Energiewende investiert wird, dann braucht es dafür die richtigen finanziellen Rahmenbedingungen und eine ordentliche Eigenkapitalausstattung. Sonderdividenden, Übergewinnabschöpfungen und Energiekrisenbeiträge belasten das Bilanzbild und schwächen die Finanzierungskapazität und Resilienz der Energieunternehmen.

Welche Investitionen plant die Energie Steiermark in den nächsten Jahren?

Zwischen 2025 und 2029 investiert die Energie Steiermark ungefähr 2 Mrd. Euro, die Industrie 1,5 Mrd. – in Summe also 3,5 Mrd. Euro an Investitionen alleine in der Steiermark. 1 Euro an Investition führt bei uns zu 90 Cent an Bruttowertschöpfung im Umfeld, das hat natürlich auch einen entsprechenden Beschäftigungseffekt. Davon profitiert vor allem die angeschlagene Bauwirtschaft. Das ist also ein Konjunkturprogramm, das außerhalb des öffentlichen Haushalts stattfindet – wir brauchen keine Budgets von Bund oder Ländern.

Öffentliche Gelder brauchen Sie also nicht, aber welche Weichenstellungen benötigen Sie?

Die einfachste Weichenstellung wäre, dass man die Unternehmen investieren lässt und dafür stabile Rahmenbedingungen schafft. Die Landesenergieversorger haben Erfahrung am Kapitalmarkt und könnten sich aus eigener Kraft refinanzieren. Das muss man aber auch zulassen. Der Kapitalmarkt ist nichts Böses – privates Kapital kann die benötigte Infrastruktur entsprechend mitfinanzieren. Die Diskussion in Deutschland ist gänzlich anders als hierzulande. Dort hat man verstanden, dass eine rein öffentliche Finanzierung gar nicht möglich ist und es für die Infrastrukturentwicklung den Kapitalmarkt und privates Kapital braucht.

Was der Kapitalmarkt aber scheut, ist Unsicherheit. Wir brauchen also ein klares Bekenntnis der Politik und der Republik zur Transformation des Energiesystems. Insgesamt werden an die 60 Mrd. Euro in Österreich für die Energiewende investiert werden müssen und dafür braucht die Branche Planbarkeit und Investitionssicherheit. Derzeit spielt sich die politische Diskussion eher in einem Mikrokosmos ab und übersieht das große Ganze. Wir diskutieren über die Verlängerung von Abschreibungsdauern aber nicht darüber, was passiert, wenn diese Investitionen nicht bewerkstelligt werden können. Weil dann finden die Investitionen in die Transformation des Energiesystems nicht mehr in Österreich, sondern anderswo statt. Ich bevorzuge den grünen Stahl aus Donawitz anstatt des grünen Stahls aus China. Damit wir das bewerkstelligen können, wird die heimische Industrie ihren Stromverbrauch verdoppeln müssen. Wir stellen dafür die Infrastruktur zur Verfügung.

Der Österreich-Aufschlag am Strommarkt ist hausgemacht.

Martin Graf

Ist das in gewisser Weise ein Henne-Ei-Problem?

Nein, denn wir wissen, dass zuerst die Infrastruktur geschaffen werden muss, damit die Industrie transformieren kann. Das ist die erste Voraussetzung.

Die zweite Voraussetzung ist, dass auch die Energiepreise so wettbewerbsfähig sind, dass wir keinen industriepolitischen Nachteil gegenüber anderen Ländern haben. Daher müssen wir auch die Strompreiszonentrennung zwischen Deutschland und Österreich überdenken – ein größerer Markt, größere Liquidität und ein größeres Angebot führt zu niedrigeren Preisen. Der Österreich-Aufschlag am Strommarkt ist hausgemacht.

Energieexperten wie Christoph Dolna-Gruber sprechen aber davon, dass solche Vorschläge in die komplett falsche Richtung gehen.

Auf Basis technischer Aspekte kann ich den Einwand nachvollziehen – aber an der österreichisch-deutschen Grenze gibt es keinen technischen Engpass. Der technische Engpass liegt innerhalb Deutschlands. Österreich könnte also eine gemeinsame Preiszone mit dem süddeutschen Raum haben, was eben die Preiszone vergrößern und für mehr Angebot sorgen würde. Je mehr erneuerbare Energie dann in dieser Preiszone verfügbar ist, desto günstiger wird der Strompreis.

Ein Hemmschuh oder ein Flaschenhals für die Energiewende wird auch in der langen Wartezeit auf neue Transformatoren und den gestiegenen Kosten geortet, macht sich das für Sie auch bemerkbar?

Die Preise sind aufgrund von Rohstoffpreisen gestiegen, aber auf die längeren Lieferzeiten haben wir uns mittlerweile eingestellt. Ein Problem ist die fehlende Standardisierung. Warum muss ein Trafo in der Steiermark anders aussehen als in den anderen Bundesländern? Es gibt derzeit keine einheitliche technische Spezifizierung für ganz Österreich – hier schlummert großes Potenzial, um Skaleneffekte zu erzielen und Preise zu senken.

Was tatsächlich einen Flaschenhals darstellt ist die Abwicklung der geplanten Energiewende-Projekte. Dazu braucht es auch qualifiziertes Personal in den Behörden und Sachverständige, die Genehmigungsverfahren abwickeln. Dort sehe ich eher die Herausforderung des zeitlichen Verzugs als bei Lieferzeiten von technischem Gerät.

Die Energiewende ist wirtschaftspolitische Notwendigkeit.

Martin Graf

Kann und wird der geplante „One-Stop-Shop“ für Genehmigungsverfahren diesen Flaschenhals also lösen?

Das ist natürlich zu begrüßen – aber die Behörden und Sachverständigen müssen dafür auch zur Verfügung stehen. Eine Absichtserklärung am Papier ist zu wenig. Der beste One-Stop-Shop ist nichts wert, wenn wir uns dort anstellen und warten müssen. Es braucht also nicht nur das Bekenntnis zu einem One-Stop-Shop, sondern auch dessen personelle Ausstattung.

Die personelle Ausstattung ist auch in den Unternehmen eine Herausforderung. Selbst wenn ich alle Mitarbeiter im technischen Bereich, die bis 2030 in Pension gehen, nachbesetzen wollen würde – ich würde es nicht schaffen. Weil es nicht ausreichend Fachkräfte gibt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir die einzigen auf der Welt wären, die die Energiewende vorantreiben. China hat im 1. Halbjahr 2025 so viel in Erneuerbare investiert wie der Rest der Welt zusammen. Wir stehen also in einem globalen Wettbewerb.

Die Energiewende ist aus meiner Sicht nichts Ideologisches, sondern wirtschaftspolitische Notwendigkeit. Um einen attraktiven und wettbewerbsfähigen Standort auch in Zukunft gewährleisten zu können und den BIP-Beitrag der Industrie von rund 20 % halten zu können, brauchen wir global wettbewerbsfähige Produkte wie grünen Stahl.

Und wenn der globale Wind wieder dreht und „grüne“ Technologien weniger nachgefragt werden, wie etwa in den USA?

Kurzfristig mag es solche Entwicklungen geben, aber langfristig ist der Klimawandel und seine Auswirkungen mit Sicherheit das Gebot der Stunde. Wir müssen die Energiewende unabhängig von tagespolitischen Entscheidungen vorantreiben. Denn wir machen uns mit der Elektrifizierung des Wirtschaftsstandortes auch unabhängiger von fossiler Energie, von Importen und von internationalen Preisausschlägen. Somit stärken wir die Resilienz und Planbarkeit für den Wirtschaftsstandort. Die Energiewende ist ein Konjunkturpaket und sichert den Standort auch in Zukunft ab. Wenn diese Investitionen bei uns nicht stattfinden, dann finden sie woanders statt. Das führt zu Deindustrialisierung und zum Verlust hochbezahlter Industriearbeitsplätze. Deshalb brauchen wir einen klaren Schulterschluss. Die Energiewende kann nur in einem Dreiklang aus Politik, Wirtschaft und Kapitalmarkt gelingen.