Monika Köppl-Turyna ist Direktorin von EcoAustria © EcoAustria/Montage: Selektiv
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Interview

Köppl-Turyna: „Stillstand bei der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet Rückschritt“

Österreich nimmt im IMD-World Competitiveness Ranking 2025 erneut den 26. Platz ein – seit dem Jahr 2020 verlor man damit zehn Ränge und rutschte in der Wettbewerbsfähigkeit hinter Standorte wie Litauen, China und Deutschland zurück. Top-Länder wie Schweden oder die Schweiz zeigen, dass auch für Österreich mehr möglich wäre. „Unsere Ansprüche müssten eigentlich viel höher sein“, so Ökonomin Monika Köppl-Turyna (EcoAustria). Ihr fehle es im aktuellen Regierungsprogramm jedoch am nötigen Reformwillen, um die Trendwende einzuleiten. Auch müsse man aufpassen, dass die Budgetkonsolidierung nicht zu kurzsichtigen Einsparungen im Infrastrukturbereich führe.

Das IMD-World Competitiveness Ranking 2025 wurde gestern veröffentlicht. Österreich stagniert in diesem auf dem verhältnismäßig schlechten Platz 26. Kann man damit zufrieden sein?

Monika Köppl-Turyna: Wir haben diesmal keinen Platz in der Wettbewerbsfähigkeit verloren. Aber man muss auch bedenken, dass Stillstand in einem dynamischen globalen Umfeld de facto ein Rückschritt ist. Das sehen wir nicht nur bei den Vorlauf-Indikatoren, sondern vor allem nachträglich bei Indikatoren wie der Investitionstätigkeit, den Patenten sowie den Netto-Exporten. Viele Länder haben hier stark aufgeholt und dabei Österreich überholt. Das heißt, man kann sich mit dem Stillstand nicht zufriedengeben.

Unser Nachbarland die Schweiz schaffte es heuer trotz der vielen Krisen der letzten Jahre auf Platz 1 des Rankings. Schweden immerhin auf Platz 8. Was hält uns davon ab, es diesen Ländern, die uns in wesentlichen Punkten ähneln, gleich zu machen?

Die Schweiz ist natürlich immer ein bisschen ein Spezialfall mit sehr niedrigen Steuern, einer sehr attraktiven Lage für Unternehmensansiedlungen. Gerade Schweden zeigt aber, dass konsequente Reformbereitschaft und Flexibilität wesentlich ist und gleichzeitig natürlich auch eine institutionelle Stabilität und Rechtssicherheit. Während die Schweden mit ihrer strategischen Weitsicht bereits in den 90er Jahren eine umfassende Pensionsreform durchgeführt haben, die nun fiskalische Spielräume eröffnet, fehlt diese in Österreich bis heute. Das ermöglichte dort eine stabile Schulden- sowie Zinsentwicklung und gezielte Entlastungen. Trotz eines sehr stark ausgebauten Sozialstaates haben die Schweden zudem einen deutlich flexibleren Arbeitsmarkt und mehr Kapital, um in Unternehmen und Innovationen zu investieren – eine direkte Folge der Pensionsreformen. Anhand dessen sehen wir, dass unsere Ansprüche eigentlich viel höher sein müssten. Aber leider Gottes fehlt die hierfür nötige Reformbereitschaft auch im aktuellen Regierungsprogramm.

Das heißt, das neue Regierungsprogramm bietet aus Ihrer Sicht nicht die Grundlage, mit der wir diesen Rückstand im Vergleich zu Schweden oder der Schweiz wieder aufholen können?

Absolut nicht. Zum einen fehlt komplett der Bereich der Alterung der Gesellschaft. Mit Ausnahme einiger Maßnahmen am Arbeitsmarkt wird diese Problematik kaum angesprochen. Und diese sind erstens noch nicht ganz ausdefiniert und zweitens handelt es sich nur um Begleitmaßnahmen wie die Verschärfung der Korridorpension. Das ist sehr, sehr unambitioniert. Eine Stärkung der zweiten und dritten Säule des Pensionssystems würde uns z.B. die Möglichkeit geben, viel mehr Investitionen zu tätigen. Eine stärkere Kapitaldeckung der Pensionen brächte nämlich automatisch mehr Eigenkapital auf den Markt. Das ist die große Stärke von Dänemark. Es ist kein Zufall, dass gerade Dänemark und Schweden schnell wachsende Startups besitzen, die zu Weltplayern geworden sind, siehe Spotify oder Novo Nordisk.

Und der zweite Bereich, indem vor allem die Schweiz vor uns liegt, ist die Ausgestaltung des Föderalismus. Bei unseren Nachbarn wird viel effizienter mit öffentlichem Geld umgegangen. Das plant die Regierung nun im zweiten Schritt nach einer Reform des Stabilitätspaktes zu reformieren, aber ich bleibe skeptisch. Wenn man das nicht sofort macht, riskiert man, dass der Stabilitätspakt zwar reformiert wird, aber die bestehenden Ineffizienzen des föderalen Systems bestehen bleiben.

Österreich befand sich in früheren Rankings gleichauf mit der Schweiz und Schweden. Mitte der 2000er Jahre kam Österreich teilweise knapp an die Top Ten heran. Was haben wir seitdem falsch gemacht? Rächt sich jetzt, dass wir grundlegende Reformen in den letzten 15, 20 Jahren nicht durchgeführt haben?

Das, was wir jedenfalls sehen seit der Finanzkrise, ist eine deutliche Abschwächung des Trendwachstums in Österreich. Das heißt, zuvor haben wir langfristig gemessen zwei, zweieinhalb Prozent Wachstum pro Jahr gehabt, und das ist dann auf ein bis eineinhalb Prozent gefallen. Jetzt fällt es noch weiter zurück. Dieses gefallene Trendwachstum ergibt sich aus zwei Umständen. Zum einen aus der Arbeitsmarktentwicklung: Rund um die Jahre 2013, 2014 sind viele Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt gekommen. Wir haben diese Arbeitskräfte jedoch nicht gut genug in den Arbeitsmarkt integriert, sodass wir heute von einer höheren strukturellen Arbeitslosigkeit als früher ausgehen müssen. Das war ein großer Fehler, weil ein größeres Arbeitskräftepotenzial auch höhere Wachstumsmöglichkeiten bedeutet. Inzwischen haben wir einen der EU-weit höchsten Werte an offenen Stellen, trotz des konjunkturell bedingten Rückgangs in der ganzen Welt.

Zum anderen stellt sich die Frage der Technologieentwicklung und Innovation – eine traditionelle Stärke der heimischen Industrie. Diese war immer der Motor des Wachstums und trieb die Patentaktivität. Und jetzt, wo die österreichische Industrie massiv unter Druck steht, haben wir keine alternativen Strategien für Start-ups, für Unternehmen, universitäre Spin-offs, das wurde verschlafen. Das sind die zwei Bereiche, aufgrund derer unser Wachstum in den vergangenen Jahren sehr abgeflacht ist.

Viele Länder, die wirtschaftlich ähnlich entwickelt sind wie Österreich, haben auch eine hohe Steuerlast – Deutschland, Schweden, Dänemark. Österreich schafft es jedoch trotz sehr hoher Abgaben, dass die öffentlichen Finanzen zunehmend aus dem Ruder laufen. Was ist der Grund hierfür?

Ein Unterschied zwischen Österreich und Ländern wie Schweden oder Dänemark ist vor allem die Art der Umverteilung. Wir haben vor kurzem zwei Studien zusammen mit Michael Kessel veröffentlicht, in denen wir uns diesen Aspekt genau angesehen haben. Wir haben eine ähnlich hohe Steuerlast, aber in anderen Ländern findet viel mehr Umverteilung zu den niedrigsten Einkommensgruppen statt. Das ist auch wachstumsfördernd, weil es den Konsum stützt. Was Österreich macht, ist viel weniger gezielt. Wir umverteilen sehr viel Geld, aber in einer Art und Weise, dass sehr viel von diesem Geld wieder an die Gutverdiener zurückfließt. In Form von undifferenzierten Transfers, z.B. die Familienbeihilfe oder durch Sachleistungen im Gesundheits- und Bildungsbereich oder auch durch die Pensionen.

Was dazu führt, dass bei ähnlichen Steuerlasten viel weniger Unterstützung bei den wirklich Bedürftigen ankommt. Es gilt das Prinzip linke Hosentasche, rechte Hosentasche. Die Dänen und die Schweizer haben auch eine etwas bessere Steuerstruktur mit Fokus auf Grundsteuern und einer geringeren Belastung von Arbeit.

„Die Risikobereitschaft und der Wunsch, Entrepreneur zu werden, sind in Österreich relativ gering ausgeprägt.“

Monika Köppl-Turyna

Auffällig ist, dass Österreich in der Detailauswertung des Rankings beim Unternehmensumfeld recht gut abschneidet, mit Ausnahme des Aspekts „Einstellungen und Werte“. Dort nehmen wir mit Platz 53 einen der hinteren Ränge ein. Worauf lässt sich diese Diskrepanz zurückführen?

Das ist nicht nur in dieser Studie so. Es gibt hierzu viele Untersuchungen, die immer dasselbe Bild zeichnen. Die Risikobereitschaft und der Wunsch, Entrepreneur zu werden, sind in Österreich relativ gering ausgeprägt. Das ist ein kultureller Faktor. Den kann man natürlich probieren, durch mehr Angebote für Gründer und generell mehr unternehmerisches Denken zu verbessern, z.B. im Schulsystem. Damit wirtschaftliches Scheitern nicht mehr als absolute Katastrophe gesehen wird. Man kann auch insolvenzrechtliche Rahmenbedingungen so gestalten, dass es weniger kritisch ist, wenn man scheitert. Dieser kulturelle Faktor ist einer der wesentlichen Gründe, warum so wenige Startups bei uns entstehen und warum so wenig Venture Capital in Österreich zur Verfügung steht.

Die größten Stärken im Ranking verzeichnet Österreich im Bereich Infrastruktur. Im Gesundheitswesen, in der Bildung, Forschung und Wissenschaft liegt man durchgehend in den Top 15 Rängen. Was kann man tun, um diese Stärken auszubauen? Was sollte man bei der Budgetkonsolidierung beachten, damit man diese nicht gefährdet?

Im Rahmen der Konsolidierung werden öffentliche Investitionen gekürzt. Man kann natürlich darüber streiten, ob alle Projekte, die jetzt verschoben oder eingestellt werden, sinnvoll waren. Grundsätzlich erzeugen öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, z.B. in die Verkehrsinfrastruktur, langfristig eine viel größere Wertschöpfung als höhere Konsumausgaben beispielsweise im Pensionsbereich oder bei öffentlichen Gehältern. Da der positive Konjunktureffekt dieser recht schnell verpufft, während die Infrastruktur bleibt.

Insbesondere im Bereich der Straßen- oder Schieneninfrastruktur, sollte man Investitionen nicht zu stark kürzen. Auch im Bereich der Energie- und Digitalisierungsinfrastruktur besteht Investitionsbedarf. Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, dann ist es absurd, dass eine der besten Technologien, die uns zur Verfügung steht, aus politischen Gründen blockiert wird. Es handelt sich um Schlüsselinfrastruktur für die Standortattraktivität, weil wir diese günstige Energie sonst nicht haben werden. Das war vor fünf Jahren noch weniger wichtig. Aber jetzt ist das ein festes Kernelement der heimischen Infrastruktur, welches über die Standortqualität entscheiden wird.

Das gilt auch für die Digitalisierung. Es ist nicht immer sehr effizient, wie der Breitbandausbau erfolgt, aber dass nun Breitbandinvestitionen ausfallen in Regionen wie etwa in Kärnten, wo wir wissen, dass es an der Breitbandinfrastruktur fehlt und dennoch gleichzeitig viele Unternehmen ansässig sind, ist in meinen Augen ein Fehler. Hier hätte man in anderen Bereichen konsolidieren müssen.

Wie sieht es im Bereich der Innovation durch mehr Forschung aus?

Forschung und Entwicklung ist eine traditionelle Stärke Österreichs. Wir haben eine sehr hohe Forschungsquote und diese wird auch im Regierungsprogramm nicht berührt. Allerdings steht hier auch viel an der Kippe, da bisher auch sehr viel von der Industrie kam. Es gibt kaum andere Player, Startups oder kleine Unternehmen, die so stark in die Forschung gehen. Das kann sich rächen, wenn wir sehen, dass die Industrie aufgrund der Lohnstückkosten und der Energiekosten einfach nicht mehr in Österreich produziert, dann wird irgendwann die Forschung auch auswandern. Jetzt ist der Moment, in dem sich das für die nächsten zehn Jahre entscheidet.

Sowohl im Gesundheitswesen als auch im Bildungsbereich haben wir keine schlechten Ergebnisse, aber die sind vergleichsweise teuer erkauft. Wir sind ineffizient. Die Reformvorschläge hierfür liegen seit Jahren auf dem Tisch. Als Lösung gewählt wird aber immer: „mehr Geld“. Eigentlich braucht es auch eine Outputkontrolle – wir schauen nicht, was mit diesem Geld passiert. Im Bildungssystem könnte man z.B. kleine Schulen am Land zusammenführen, die oft gar nicht die bessere Qualität oder gar schlechtere Qualität anbieten, weil sie zu klein sind. Im Gesundheitsbereich fehlt es an der Zusammenführung der Datenbanken, sodass wir durch Digitalisierung auch Mehrfach-Diagnosen verhindern. Es braucht eine Integration zwischen stationärem und niedergelassenem Bereich. Und auch bei der Finanzierung muss man ansetzen. Im Stabilitätspakt wird eine neue Verteilung der Aufgaben im Gesundheitsbereich verhandelt. Und das ist sinnvoll.

Das ist die Frage, was wirklich daraus wird.

Da gäbe es enorme Konsolidierungspotenziale. Wenn wir uns anschauen, wie viel im öffentlichen Schulwesen oder der öffentlichen Gesundheit verglichen mit den Benchmark-Ländern wie Dänemark, Schweden, Finnland, zu sparen ist, ohne dass die Qualität leidet, kann man hier auch gut konsolidieren.