Artificial Inflation – der wahre Preis des KI-Booms
Laura Raggl ist Managing Partner von ROI Ventures, einer Angel-Investorengruppe, die sich auf Startups in der Frühphase fokussiert. Davor war sie Geschäftsführerin der Austrian Angel Investors Association (aaia). Nach dem Studium in Innsbruck war sie bei dem Deep-Tech-VC-Fonds APEX Ventures tätig. Raggl ist außerdem Mitglied des Startup-Rats, der das Wirtschaftsministerium berät.
Im Silicon Valley riecht es nach Geld und ein bisschen nach 1999. Nur dass heute keine Dotcoms sprießen, sondern KI das Feld dominiert. Während Nvidia, Google und Co. an der Börse neue Allzeithochs markieren, fließt auch im Venture Capital weiterhin Milliardenvolumen in alles, was „AI“ im Pitchdeck stehen hat. Die einen reden von einer neuen industriellen Revolution, die anderen von der größten Spekulationsblase seit der Internet-Ära. Und beide könnten recht haben.
Wall Street AI
An der Börse spielt die Musik – dirigiert von genau sieben Unternehmen. Nvidia, Microsoft, Apple, Alphabet, Amazon, Meta und Tesla machen inzwischen über 35 % der Marktkapitalisierung des S&P 500 aus. Ohne sie wäre der Index längst in der Seitwärtsbewegung.
Die „Magnificent Seven“ vereinen inzwischen eine Marktkapitalisierung von rund 20,8 Billionen US-Dollar. Damit sind sieben börsennotierte US-Konzerne mehr wert als die gesamte Europäische Union in einem Jahr erwirtschaftet. Nvidia allein bringt rund 4,3 Billionen US-Dollar auf die Börsenwaage – in etwa so viel wie das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands.
Sieben börsennotierte US-Konzerne sind mehr wert als die gesamte Europäische Union in einem Jahr erwirtschaftet.
Laura Raggl
Das Rückgrat des Booms bilden zwei Buchstaben: KI. Nvidia liefert die Chips, Microsoft investiert in OpenAI, Google kauft bei Nvidia ein, Amazon rüstet seine Cloud auf. Das Kapital rotiert im Kreis, und jede Ankündigung treibt die Kurse weiter nach oben. Analysten sprechen bereits von einer „AI-Spending-Blase“, in der Geld vor allem zwischen denselben Akteuren zirkuliert. Der Vergleich mit der Dotcom-Ära liegt nahe. Dieselbe Euphorie, dieselbe Überkonzentration, nur diesmal mit realen Gewinnen. Die Bilanzen sind stark, die Cashflows gigantisch. Doch wenn sieben Aktien sich gegenseitig beflügeln und den gesamten Markt tragen, braucht es nicht viel, bis die Symphonie kippt.
Der KI-Boom erreicht Europa
Abseits der Börse läuft das gleiche Spiel nur kleiner, bunter und riskanter. Europas Startup-Ökosystem hat sich nach dem Investitionstief von 2022/23 wieder gefangen: Laut dem Atomico State of European Tech Report 2025 flossen heuer rund 44 Milliarden US-Dollar an Venture Capital in europäische Startups.
Etwa ein Drittel des europäischen Risikokapitals fließt derzeit in KI und DeepTech Startups. In den USA liegt der Anteil mit über 35 % sogar noch höher. Die europäische Tech-Wirtschaft erreicht damit eine geschätzte Wertschöpfung von rund 4 Billionen US-Dollar, knapp 15 % der gesamten Wirtschaftsleistung Europas. Das klingt weniger nach Nische und mehr nach dem neuen Fundament der europäischen Wirtschaft.
Die europäische Tech-Wirtschaft erzielt knapp 15 % der gesamten Wirtschaftsleistung Europas.
Laura Raggl
Doch mit dem Boom steigen auch die Erwartungen und die Bewertungen. Laut Atomico liegen die Bewertungen in der Seed- und Series-A-Phase etwa 20 % über jenen nicht KI-basierter Unternehmen, in Series B bereits 50 % darüber. In den späteren Runden wird der Unterschied noch dramatischer.
Wenn die Kurse fallen, wird auch das Venture Capital knapper
Doch was passiert, wenn die Wall-Street-Euphorie kippt? Dann trifft es die Startup-Welt – nur mit Verzögerung. Kapitalmarkt und Venture Capital trinken aus derselben Quelle, nur in unterschiedlichem Tempo. Wenn die Bewertungen der „Magnificent Seven“ fallen, verlieren institutionelle Investoren, Pensionsfonds, Versicherungen, große Vermögensverwalter, zuerst Buchwerte und dann den Appetit auf Risiko. Genau dieser Risikoappetit ist der Treibstoff des Wagniskapitals.
Das wirkt wie ein verzögertes Echo: Erst friert der IPO-Markt ein, dann das Fundraising großer Fonds, am Ende kämpfen Startups um Anschlussfinanzierungen. Spätphasenrunden werden kleiner, Downrounds häufiger, Exits schwieriger.
Allerdings dürfte dieser Effekt zeitlich nachgelagert auftreten. Viele Fonds, die derzeit KI-Startups finanzieren, wurden erst in den letzten 18 Monaten geschlossen und verfügen über Kapital für mehrere Jahre. Typischerweise investieren Venture-Fonds über vier bis fünf Jahre, bevor sie neues Geld raisen. Selbst wenn die Börse 2026 wackelt, fließt das vorhandene Kapital also weiter. Die eigentliche Trockenphase käme später, wenn weniger neue Fonds entstehen und frische Commitments ausbleiben.
KI zwischen Hype und Haltbarkeit
Bis dahin bleibt der Markt lebendig. Unternehmen verdienen reales Geld mit KI, Cloud und Chips. Die Technologie ist längst kein Hype mehr, sondern Teil der wirtschaftlichen Infrastruktur. Gleichzeitig steigt die Gefahr der Überhitzung: Bewertungen und Erwartungen laufen sich heiß, selbst solide Tech-Konzerne handeln zu Multiples, die an 1999 erinnern. Wenn Wachstumserwartungen enttäuscht werden oder KI-Projekte stocken, kippt die Stimmung schnell und der Korrekturzyklus beginnt.
2026 dürfte kein Crashjahr werden, sondern ein Stresstest für Märkte, Modelle und Ambitionen. Die Ära des billigen Geldes ist vorbei, und auch KI wird sich bald an realer Produktivität messen lassen. Dann zeigt sich, welche Geschäftsmodelle Substanz haben und welche nur auf Erwartung gebaut sind.