Wir müssen endlich runter von unserem Schuldentrip

7. November 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Der Fiskalrat hat keine Gefangenen gemacht: Nein, den Prognosen aus dem Finanzministerium schenke das Gremium, das die österreichischen Staatsfinanzen kontrolliert und kommentiert, keinen Glauben mehr. Und ja, das Budget ist sogar noch weiter außer Kontrolle, als es der Rat selbst vor dem Sommer erwartet hatte: Heuer wird Österreich voraussichtlich neue Schulden im Wert von 3,9 Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung machen, 2025 sogar mehr als vier Prozent. Nach den EU-Fiskalregeln erlaubt wären maximal drei Prozent. Allein 2025 sehen die Ökonomen einen Einsparungsbedarf von rund 4,4 Milliarden Euro in den staatlichen Budgets.

Jetzt ist die Tinte auf der Fiskalrat-Prognose noch nicht trocken und schon kommen die ersten, die das relativieren und sagen, man müsse sich eben aus der Krise herausinvestieren, außerdem würden viele EU-Staaten die gemeinsamen Regeln verletzen und überhaupt liege das ja vor allem am Divisor, dem schrumpfenden BIP, dass die Schulden im Ergebnis so hoch scheinen.

Dem muss man entgegenhalten: Den Löwenanteil der steigenden Staatsschulden machen nicht zyklische Effekte wie die schrumpfende Wirtschaft aus und auch nicht Förderungen, um aus der Krise herauszukommen – sondern die im Vergleich zu den Vor-Corona-Jahren immer weiter erhöhten Pensionen, das teurere Gesundheitssystem und generell steigende Kosten des Staatsapparats. Dazu Steuergeschenke wie ein Klimabonus, der den Staat doppelt so viel kostet, wie er an CO2-Abgabe einnimmt oder Abschaffung der „Kalten Progression“, Senkung von Einkommen- und Körperschaftssteuer und so weiter: Man mag das jeweils richtig oder falsch finden, aber Tatsache ist, mit all diesen Wohltaten hat Österreich über seine Verhältnisse gelebt. Man hat mit der Kreditkarte Geschenke gekauft, ohne gleichzeitig zu überlegen, wie man sie finanziert. Und jetzt ist Zahltag.

Hätte die Regierung überwiegend gezielte Maßnahmen gesetzt, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen oder nachhaltige Investitionen in Bildung und Innovation, wäre es ja durchaus verkraftbar, ein-, zweimal die EU-Regeln zu brechen. Aber das ist es eben nicht: Was uns hinunterzieht, ist nicht der Treibstoff, mit dem wir unseren Wohlstandsmotor antreiben, sondern Ballast.

Und der muss weg. Viereinhalb, oder besser: fünf Milliarden Euro über alle Staatsebenen einzusparen, das wird ein Kraftakt – und noch dazu auf eine Art, die das ausbleibende Wachstum nicht noch zusätzlich hemmt und dringen nötige Investitionen in saubere Energie, Bildung und Verteidigung zulässt.

Die Rezepte dafür sind bekannt: Sämtliche Förderungen – direkte wie indirekte – auf den Prüfstand stellen, nur was tatsächlich Wohlstand schafft, darf bleiben. Sämtliche staatlichen Geldflüsse – etwa im Gesundheitssystem mit seinen Dutzenden Akteuren – straffen, Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bereinigen und Rechenschaft herstellen. Die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Das Sozialsystem auf Inaktivitätsfallen durchsuchen und bereinigen. Und, wenn gar nichts anderes hilft: Auch einmal Steuer- und Pensionsgeschenke der fetten Jahre zurücknehmen.

Kann das alles gelingen? Nun, sehen wir es positiv: Immerhin hat der Schuldentrip der türkis-grünen Koalition ihr beim Wähler nichts genützt. Vielleicht hilft ein heilsamer Schock Richtung solider Finanzpolitik.

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