Der aufgeblähte Staat und die schrumpfende Industrie
Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.
Gestern war Tag der Industrie und schon im Vorfeld lud die Industriellenvereinigung eine kleine Journalisten-Runde zum Austausch – das meiste, das dort gesprochen wurde, sollte nicht geschrieben oder gedruckt werden. In einem Punkt war IV-Präsident Georg Knill aber ganz klar: Der Staat bläht sich immer weiter auf, während die Industrie zurückgeht. Festgemacht hat er das an der Beschäftigung. Nach Rechnung der IV wuchs der Beamtenapparat inkl. Sozialbereich in den vergangenen zwei Jahren um rund 51.000 Menschen, während in der Industrie inkl. Bau 37.000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Industrie und Gewerbe waren zuletzt 2012 größer als der öffentliche Sektor, seither geht die Schere auseinander. Jetzt braucht man nicht tief in die Analyse-Kiste der Wirtschaftsforscher greifen, um zu wissen, warum. Spannend wird, ob daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Die Industrie liefert mit 23,1 Prozent noch immer den zweitgrößten Anteil an der „Bruttowertschöpfung“ nach den Dienstleistungen – dort wird also Österreichs Geld verdient. Zum Vergleich: Die Landwirtschaft trägt 1,2 Prozent bei. Also: Was passiert, wenn immer weniger Menschen das Geld verdienen, mit dem eine wachsende Schar an Staatsdienern finanziert wird? Richtig: Es geht sich hinten und vorne nicht mehr aus. Dass das kein Problem ist, dass man in die Zukunft verschieben kann, sieht man deutlich an den Einnahmen und Ausgaben des Staates. Das Budgetloch lässt grüßen.
Was passiert, wenn immer weniger Menschen das Geld verdienen, mit dem eine wachsende Schar an Staatsdienern finanziert wird? Richtig: Es geht sich hinten und vorne nicht mehr aus.
Sara Grasel
Es sollte also höchste Alarmstimmung herrschen, wenn der Industrieanteil in Österreich rückläufig ist. Und es mutet schon sehr eigenwillig an, wenn sich die Metaller als richtungsweisender Sektor in der Industrie, vor allem deshalb gerade einmal einen offiziellen Verhandlungstag für die Herbstlohnrunde gönnen, damit die Beamten-Gewerkschaft nicht mit unpassendem Beispiel vorangehen kann. Ob die Hälfte der Inflation als Erhöhung durchsetzbar gewesen wäre, wenn im öffentlichen Dienst die volle Inflation abgegolten wird, oder halt für einen Teil der Menschen ein bisserl darunter, wie bei den Pensionen? Derzeit gilt für den öffentlichen Dienst noch immer, was vergangenes Jahr vereinbart wurde: ein Plus von 0,3 Prozentpunkten über der Inflation, also 3,3 Prozent und damit mehr als doppelt so viel wie bei den Metallern. Die Gewerkschaft hat sich eine Woche lang Zeit gelassen, um auf die Bitte von Alexander Pröll zu reagieren, diesen Abschluss neu zu verhandeln. Gespräche will man nun führen, aber „ergebnisoffen“ – und wenn die Verhandlungen scheitern, gelte, was vergangenes Jahr abgemacht wurde. Bleibt zu hoffen, dass nun umgekehrt die Metaller als Vorbild dienen dürfen.

Dass die Realität politisch nicht durchsetzbar wäre, glaubt niemand mehr, denn offensichtlich ist 190.000 Metallern die Wahrheit sehr gut zumutbar. Es fehlt also an Mut – nicht nur der Politik, sondern auch der Sozialpartnerschaft – sich hinzustellen und endlich klar zu machen, dass jetzt sparen angesagt ist. Überall. Nicht nur ein bisserl, sondern richtig. In der Wirtschaft ist das ganz normal, hört man, wenn man mit Unternehmern spricht. Im Privaten ja auch – man nimmt eine Zeitlang Entbehrungen hin, dafür kann man sich dann wieder etwas leisten. „Wir in der Wirtschaft müssen das tun und für die öffentliche Hand ist das anscheinend undenkbar“, sagt Christian Knill, Metaller-Obmann und Chef der Knill Energy Holding. Wie sehr müssen wir den Karren in den Dreck fahren lassen, bevor die Regierung aus dem Harmonie-Schlaf erwacht?
Dass die Realität politisch nicht durchsetzbar wäre, glaubt niemand mehr, denn offensichtlich ist 190.000 Metallern die Wahrheit sehr gut zumutbar.
Sara Grasel