ZeitGeschichten von Gerhard Jelinek

Immer schon ein Thema: Wann wird Strom endlich billiger?

18. Dezember 2025Lesezeit: 5 Min.
Kommentar von Gerhard Jelinek

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.

Vor genau 101 Jahren geht dem Wiener Rathaus ein Licht auf. Und die Boulevardzeitungen bewegt ein Thema: Wann wird Strom endlich billiger? Ein alter Spruch bewahrheitet sich: Journalismus ist Wiederholung. Und Politik auch.

Am 27. Dezember 1924 wird Wiens eiserner Rathausmann erstmals ins rechte Licht gerückt. Vor dem Jahreswechsel beleuchten drei Scheinwerfer den Ritter an der Spitze des neogotischen Baus am Ring. Wiens rote Stadtregierung setzt damit ein Lichtzeichen. Ab nun strahlt die „Neue Zeit“ elektrisch. Das interessante Blatt berichtet: „Es werden rund viertausend Glühlampen in Stärken von sechzig bis dreitausend Kerzen und drei Scheinwerfer verwendet. Die Festbeleuchtung ist so eingerichtet, dass sie wiederholt werden kann.“

Das alles zur Feier der Vollendung des ersten Wasserkraftwerks der Republik, „das Österreich von der Herrschaft der schwarzen Kohle befreien wird“. Seit dem Jahreswechsel 1924/25 liefert das Kraftwerk Opponitz Österreichs Starkstrom in die Bundeshauptstadt. Gut hundert Kilometer von Wien entfernt, treibt die Ybbs drei Turbinen an. Sie liefern anfänglich ein Sechstel des Wiener Strombedarfs. In mehrjähriger Bauzeit haben 4.000 Arbeiter kilometerlange Stollen durch den Felsen getrieben, um das Wasser der Ybbs zum Kraftwerkshaus zu leiten.

Neugierde und Schaulust bedeuten in Wien nicht gleich begeisterte Zustimmung. Die Illustrierte Kronen Zeitung klagt: „Wann wird das elektrische Licht billiger? Die Konsumenten haben bei jeder Lichtrechnung eine Wasserkraftabgabe von vier Prozent gezahlt. Nun ist das Opponitzer Werk fertig, und daher ist die Frage berechtigt: Wird sich der Gaspreis um die vier Prozent Wasserkraftabgabe vermindern?“ Tatsächlich senkt die Gemeinde Wien unter öffentlichem Druck den städtischen Stromtarif.

Es wird wohl ähnlich homöopathisch gewesen sein, wie die von der aktuellen Regierung beschlossene Reduktion einer „Elektritizitätsabgabe“. Vier Euro pro Monat sollen sich die Haushalte so ersparen. Die meisten werden das auf ihrer Stromrechnung gar nicht merken. Ein Wechsel des Stromlieferanten böte wohl deutlich größeres Sparpotenzial.

Ins Budget reißt dieser Versuch, die Inflation über eine Senkung der Strompreise zu bremsen, aber ein Loch von mehr als 500 Millionen Euro.

Zur Kompensation ist die Koalition auf durchaus diskutable Ideen gekommen. Der börsennotierte Verbund-Konzern muss (?) eine Sonderdividende auszahlen. Davon profitieren wiederum die Landesversorger Wien Energie, EVN und Tiwag und die nur noch zehn Prozent privaten Verbund-Aktien-Besitzer. Die Regierung als Mehrheitseigentümer greift aber dafür plump in die Geschäftsführung einer Aktiengesellschaft ein. Ob das bei internationalen Investoren gut ankommt? Noch problematischer ist der geplante Griff in die Kassen der staatlichen Immobiliengesellschaft. Ihr sollen 200 Millionen Euro entzogen werden. Die BIG kann also um 200 Millionen weniger in notwendige Bauinfrastruktur investieren. Ihre Kredite werden teurer. Statt die ohnehin schwächelnde Bauwirtschaft anzuregen, wird auf Kosten der Substanz Geld verteilt. Und halt nicht investiert. Genau diesen leichtfertigen Populismus verantwortet die Koalitionsregierung (mit einer bürgerlichen und einer liberalen Partei) beim Wohn- und Mietrecht. Und beim Thema Populismus übertrifft die FPÖ ohnehin alles.

Statt die ohnehin schwächelnde Bauwirtschaft anzuregen, wird auf Kosten der Substanz Geld verteilt. Und halt nicht investiert.

Gerhard Jelinek

Vor fast einem halben Jahrhundert erkannten verantwortungsbewusste Sozialdemokraten und die Volkspartei, dass es deutlich sinnvoller wäre, staatliche Versorger, wie etwa den Verbund, zu privatisieren. Das Unternehmen wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit verstaatlicht, um die Energieversorgung aufzubauen, Bei einem großen Börsengang verkaufte die Republik 49 Prozent der Aktienanteile. Franz Vranitzky setzte Wolfgang Schüssels Mantra „Mehr privat, weniger Staat“ um. Noch vor wenigen Jahren wies Michael Böheim vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo nach, dass die Privatisierung öffentlichen Eigentums ein erfolgreiches Mittel der Wirtschaftspolitik ist. „Privateigentum macht marktwirtschaftlichen Wettbewerb erst möglich, die Privatisierung öffentlichen Eigentums fördert ihn und kann als Treiber für Innovation, Beschäftigung und Wirtschaftswachstum wirken.“

Genau: Beschäftigung und Wirtschaftswachstum bräuchten wir gerade jetzt. Die Idee staatliche Konzerne zu privatisieren, wie das bei der einst fast bankrotten Voest wunderbar funktioniert hat, ist irgendwie verloren gegangen. Seit zwanzig Jahren fehlt das Wort „Privatisierung“ in allen Regierungsprogrammen.

Die Idee staatliche Konzerne zu privatisieren, wie das bei der einst fast bankrotten Voest wunderbar funktioniert hat, ist irgendwie verloren gegangen.

Gerhard Jelinek

Klar: Bei mehrheitlich privaten Unternehmen wären populistische (und im Endeffekt sinnlose) Eingriffe in Betriebe nicht möglich. Der Preis solcher Politik ist besonders hoch, weil sich börsennotierte Unternehmen als willfährige, politikabhängige Organisationen outen und der „Bitte“ der Regierung nach höherer Dividende ohne Protest (tritt irgendein Aufsichtsrat aus Protest zurück?) nachkommen. Michael Böheim analysiert in der Zeitschrift „Pragmaticus“: Das Vorgehen der Regierung ramponiert die Glaubwürdigkeit und die ohnehin unterentwickelte Aktienkultur. Dort, wo wirklich etwas zu holen wäre, greift die Regierung nicht hin. Es gibt in Österreich 114 Strom – Verteilnetzbetreiber. Diese Zersplitterung verursacht Kosten und erklärt zum Teil, warum die Netzentgelte so stark gestiegen sind.

Ende Dezember 1924 geht dem Wiener Rathaus ein Licht auf. Der Bau des ersten Wasserkraftwerks wird 70 Milliarden Kronen – umgerechnet 40 Millionen Euro – kosten. Die Investitionen von damals rechnen sich bis heute.

Seit hundert Jahren laufen die Turbinen und decken heute noch ein halbes Prozent des Wiener Bedarfs. Nicht viel, aber immerhin. Bei der Eröffnung wird Wiens sozialdemokratischer Bürgermeister Karl Seitz in der Arbeiter-Zeitung zitiert: „Wenn Deutschösterreich eine Zukunft hat, so liegt sie nur in der Arbeit.“

Das Blatt meldet: „Stürmischer Beifall.“