Kurz hatte seine Chance

28. Mai 2025Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Zu Sebastian Kurz‘ Freispruch hat Gerhard Jelinek an dieser Stelle gestern schon breit Stellung bezogen. Dazu muss man nicht mehr sagen, diese Angelegenheit ist – im Gegensatz zu weiteren Ermittlungen – rechtskräftig erledigt.

Aber das ganze ist mit all der Kurz-Nostalgie, die da jetzt stellenweite aufkommt, ein guter Anlass, darüber nachzudenken, was von Sebastian Kurz‘ bisheriger Zeit in der österreichischen Politik bleibt. Wenn man die Corona-Krise einmal beiseite lässt: Vor allem verschwendetes Potenzial.
Kurz hatte durch eine Kombination von unbestreitbarem politischem Talent, Gespür für die Stimmung im Land, einem hochkompetenten Team und einer aus Verzweiflung gefügigen Partei in der Bugwelle der Migrationskrise 2015/16 enormes politisches Kapital in der Hand. Seine erste Amtszeit als Kanzler fiel mitten in einen enormen Wirtschaftsboom, das Budget bot genug Spielraum für Reformen und türkis-blau hatte eine bequeme Mehrheit im Nationalrat.

Was hat Kurz aus dieser günstigen Lage gemacht? Hat er das Pensionssystem nachhaltig aufgestellt, wie er es noch als JVP-Chef eingefordert hatte? Hat er das Land entbürokratisiert, das Steuersystem leistungsfreundlicher gemacht, die Gesundheitsfinanzierung gestrafft, so dass sie uns nicht langfristig auf den Kopf fallen wird?

Leider nein. Die groß verkauften Reformen, die unter Kurz umgesetzt worden sind, sind Stückwerk wie die Sozialversicherungs-Zusammenlegung, die die wirklichen heißen Eisen nicht angefasst hat, etwa die unsolidarische Begünstigung von Beamten und Eisenbahnern in eigenen Kassen. Oder sie sind – wie zahlreiche Stimmen vor ihrer Einführung gewarnt haben – verfassungs- oder europarechtswidrig, wie Sozialhilfereform und Familienbeihilfe-Aliquotierung. Oder aber sie sind auf Pump finanziert, etwa die wiederholte Aufstockung der Pensionen weit über die Inflationsrate hinaus.

Das soll nicht heißen, dass es in der Ära Kurz keine sinnvollen Schritte gegeben hat. Die Anpassung der Steuerstufen, die Abschaffung der Eigenstromsteuer, der beschleunigte Ausbau der Kinderbetreuung: Das ging teils schon in die richtige Richtung.

Aber gemessen an den Erwartungen, die Kurz selbst geschürt hat und für die er auch das politische Kapital gehabt hätte: Da hätte weit mehr gehen müssen. Dass er diese Chancen liegen hat lassen und damit seinen Teil zu der Misere beigetragen hat, in der sich die Republik heute befindet, darin liegt die eigentliche Tragödie des Aufstiegs und Fall des Sebastian Kurz.

„Dass er diese Chancen liegen hat lassen und damit seinen Teil zu der Misere beigetragen hat, in der sich die Republik heute befindet, darin liegt die eigentliche Tragödie des Aufstiegs und Fall des Sebastian Kurz.“

Georg Renner

Auch daran sollte man sich erinnern, wenn seine Kanzlerschaft wieder einmal in den Schlagzeilen ist.

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