Sepp Schellhorn auf den Spuren von Kaiser Franz Josef
Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.
Staatssekretär Sepp Schellhorn steht in einer langen historischen Tradition: Bereits im Jahre 1911 erkannte die Regierung seiner kaiserlichen Majestät Franz Josef I. die Dringlichkeit einer Verwaltungsreform und setzte zur Beseitigung unnötiger bürokratischer Beschwernisse eine „Reformkommission“ ein.
Seit nunmehr 114 Jahren kämpfen Beamte und Regierungen unermüdlich gegen mehr oder minder sinnlose bürokratische Vorschriften, die eben diese Beamten und Regierungen irgendwann beschlossen haben. Das „freut“ den normunterworfenen steuerzahlenden Bürger (beiderlei Geschlechts).
Seit nunmehr 114 Jahren kämpfen Beamte und Regierungen nun schon unermüdlich gegen mehr oder minder sinnlose bürokratische Vorschriften.
Gerhard Jelinek
Nach monatelanger Recherchearbeit, reger Reisetätigkeit durch die Bundesländer und zahlreicher innerkoalitionärer Verhandlungen hat Deregulierungs-Staatssekretär Sepp Schellhorn 113 Kieselsteine in seinen Schuhen gefunden, die alsbald – jedenfalls irgendwann 2026 – zu entfernen seien. Drei Regierungsmitglieder wurden am Mittwoch aufgeboten, um die frohe Botschaft zu verkünden: Es wird „entbürokratisiert“. Endlich. Schön.
Der Jubel im Publikum blieb freilich verhalten. Der sehnsüchtig erwartete „große Wurf“ entpuppte sich als Katalog vieler, eher kleinteiliger Ankündigungen. Ja, es ist es fein, dass Autobesitzer künftig nicht mehr alljährlich ein „Pickerl“ machen müssen. Es ist sehr sinnvoll, wenn die Pflicht zur doppelten Buchhaltung erst ab einem Jahresumsatz von einer Million Euro gelten soll, und auch die digitale Übermittlung von Meldebestätigungen mag ja nett sein (war das tatsächlich bisher nicht möglich?), aber ist das ein „großer Wurf“?
Im Juni 1911 berichtete die Czernowitzer Zeitung über eine Resolution der „drei zentralen industriellen Verbände, worin die Einsetzung der Verwaltungsreform-Kommission mit lebhafter Genugtuung begrüßt wird“. Die Reaktion von Industrie und Wirtschaft auf die Schellhorn’schen Kieselsteine anno 2025 fiel vorsichtig positiv aus, „lebhafte Genugtuung“ war aus den Stellungnahmen nicht herauszuhören. Wie auch?
Was am Mittwoch präsentiert wurde, soll ja nur der Anfang von etwas ganz Großem sein: der definitiven „Verwaltungsreform“. Das kann Österreich. Da haben wir Erfahrung. Die 1911 eingesetzte „Verwaltungsreform-Kommission“ bemühte sich redlich, wurde auf drei Dutzend Beamte aufgestockt und vertiefte sich damals in die Formulierung eines Arbeitsprogramms. Die k.u.k Verwaltung litt zwischen 1890 und 1911 an einem bekannten Phänomen. Innerhalb von nur zwei Dekaden war die Zahl der Beamten um knapp 218 Prozent gewachsen, entsprechend stiegen die Kosten für die kaiserliche Verwaltung (des Inneren) auf 110 Millionen Kronen (etwa 800 Millionen Euro). Das war in der (gar nicht so) „guten alten Zeit“.
Zwei Weltkriege, zahlreiche Krisen & Katastrophen, ein gutes Jahrhundert später, kämpfen österreichische Politiker noch immer den Kampf gegen die tausendköpfige Hydra. Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer rechnet vor: „Allein bürokratische Vorgaben verursachen jedes Jahr rund 15 Milliarden Euro Kosten in unseren Betrieben. Im Durchschnitt gehen 13 Wochenstunden für Melde- und Berichtspflichten verloren. Und Genehmigungen, die in Ländern wie Dänemark oder Finnland nach etwa 70 Tagen abgeschlossen sind, benötigen bei uns im Schnitt 222 Tage.“
Das am Mittwoch verkündete „Vereinfachungspaket“ wird an diesen Belastungen zwar nicht viel ändern, aber: Es ist mal ein „erster Schritt“. Wobei wir die Euphorie des Bundesministers und vor allem die Begeisterung des Gastronomen Schellhorn nicht allzu kritisch sehen sollten. Hattmannsdorfer verkündete, „erstmals in der Zweiten Republik“ habe die Regierung ein „Vereinfachungspaket auf den Weg gebracht“. Sein Vorvorvorvorvorvorgänger Wolfgang Schüssel hat da doch einiges mehr an Privatisierung und Verwaltungsvereinfachung vorzuweisen. Die Papiere des seinerzeitigen Verfassungskonvents wären online aufrufbar. Sei’s drum.
Der Altkanzler liefert auch als Herausgeber diverser zuversichtlicher Bücher eine Menge Blaupausen für dringend notwendige und einfach umzusetzende Reformen. In seinem Buch „Ideen, die gehen“ listen 93 Expertinnen und Experten hunderte Vorschläge zur Reform der Republik auf. Wenige, wenn überhaupt, finden sich im „Vereinfachungspaket“. Aber, das kann ja noch werden.
Vergleiche mit der Monarchie mögen ein bisschen polemisch sein, aber sind sie deshalb falsch?
In absoluten Zahlen begnügte sich die Habsburger-Monarchie mit einer vergleichsweise bescheidenen Zahl von „Ministerialen“. Die „Steirische Alpenpost“ zitiert am 1. Februar 1913 den damaligen Minister des Inneren, seine Exzellenz Freiherr von Haerdtel: Demnach zählte das „Ackerbauministerium“ 197 öffentlich Bedienstete. Heute? 925 (ohne die ausgegliederten Bereiche). Damals lebte gut die Hälfte der Bevölkerung vom Ackerbau und Forstwirtschaft. Heute? Ungefähr zwei Prozent.
Für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs kann niemand die seinerzeitige Reformkommission zur Rechenschaft ziehen. Dann kam der Zusammenbruch, 1919 der Aufbau einer Republik. Alte Beamte dienten plötzlich einer „Neuen Zeit“. Kaiserliche Erlässe wurden republikanische Vorschriften. Die Verwaltung hat sich immer reformiert. Und die Veröffentlichung von Ergebnissen auf spätere Zeitpunkte verschoben. Schon 1911 hatten man keine Eile: „Die Regierung legt daher großes Gewicht darauf, um in einem geeigneten Zeitpunkte der Öffentlichkeit etwas wirklich Ausgereiftes, der künftigen Gestaltung der Dinge Angepaßtes bringen zu können.“
Daher erfreuen wir uns an der vorweihnachtlichen Verkündung von immerhin 113 Reformvorhaben („Kieselsteine“) dieser Regierung. Und granteln nur leise: Ein bisserl was kann schon noch gehen.