Und was, wenn Trump recht hat?
Rainer Nowak ist CEO der Tageszeitung „Die Presse“. Zuvor war er Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“ und davor Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.
Huch! Donald Trump ist wieder so böse. Aber reden wir uns auch die neue US-Sicherheitsstrategie zartrosa bis schaurig-süß: Washington übertreibt, Washington droht, Washington meint es am Ende doch nicht so. Aber was, wenn doch? Was wenn die US-Administration nur formuliert, was die restliche Welt spürt und ahnt: Europa ist ein sicherheitspolitisches Leichtgewicht. Europa ist eben nur mehr „sekundärer Faktor“ im globalen Machtgefüge, wie das Papier beschreibt. Die USA richten ihren strategischen Blick dorthin, wo die Weltordnung tatsächlich neu verhandelt wird – den indo-pazifischen Raum, die digitale Sphäre, die ökonomische Systemkonkurrenz mit China. Europa hingegen präsentiert sich trotz all seiner Deklarationen als ein Kontinent, der mit sich selbst beschäftigt ist. Ein Blick in die Staatskanzleien macht sicher: Emmanuel Macron ist ein Auslaufmodell. Friedrich Merz war bisher nicht einmal ein Modell. Nur Italiens Georgia Meloni darf manchmal an den weltpolitischen Tisch.
Europa präsentiert sich trotz all seiner Deklarationen als ein Kontinent, der mit sich selbst beschäftigt ist.
Rainer Nowak
Für die USA und den Rest der Welt ist Europa – weihnachtlich nüchtern betrachtet – heute weder militärisch entscheidend noch wirtschaftlich dynamisch genug, um Priorität zu beanspruchen. Der Krieg in der Ukraine bestätigt das eher, als dass er dagegenspräche: Die europäischen Staaten sind nicht in der Lage, sich selbst zu schützen, geschweige denn den wichtigen Nachbarn. Ohne amerikanische Waffen, Aufklärung und Abschreckung wäre die Lage in Osteuropa eine andere düsterere. Wladimir Putin säße in Kiew.
Europa will sicherheitspolitische Relevanz, liefert sie aber nicht. Man appelliert an Washington, die eigene Strategie doch nicht so hart zu formulieren, ohne die eigenen Arsenale, Industrie- und Innovationskapazitäten auch nur annähernd an die geopolitischen Realitäten anzupassen. Die EU spricht von „strategischer Autonomie“, während sie gleichzeitig bei der Beschaffung von Munition, beim Schutz kritischer Infrastruktur oder in der Cybersicherheit auf amerikanische oder asiatische Unternehmen angewiesen bleibt. Aber bravo: Frankreich und Deutschland führen seit 80 Jahren keinen Krieg mehr. Auf diesem zivilisatorischen EU-Fortschritt kann man sich schon einmal ausruhen. Wenn man aufgegeben hat.
Für Europa bedeutet das alles eine tektonische Verschiebung. Man wird sich nicht länger darauf verlassen können, dass die USA im Ernstfall schon eingreifen werden.
Die Frage lautet vielmehr: Will Europa ein Akteur der Weltpolitik bleiben oder zum Mini-Objekt amerikanisch-chinesischer Rivalitäten zu werden? Es geht nicht nur um militärische Fragen. Es geht um technologische Führungsfähigkeit, um Ressourcenpolitik, um Resilienz, um die Fähigkeit, die eigenen Interessen klar zu definieren und sie notfalls auch gegen Widerstände durchzusetzen. Das heißt ganz konkret: Alle Länder müssen aufrüsten. Deutschland muss mehr Führung übernehmen, auch militärisch. Ja, das kann auch die Entwicklung eines Nuklearwaffenprogramms bedeuten. Die Verantwortung für den Holocaust bedeutet nicht, sich für immer wegzudrücken.
Will Europa ein Akteur der Weltpolitik bleiben oder zum Mini-Objekt amerikanisch-chinesischer Rivalitäten zu werden?
Rainer Nowak
Und: Die westeuropäische Arroganz muss enden. Ohne den osteuropäischen Ehrgeiz wird es nichts werden. Die deutsch-französische Achse ziert die Geschichtsbücher, die deutsch-polnische könnte Putin stoppen.
Die bittere Ironie liegt darin, dass ausgerechnet die prollige Trump-Sprache heilsam ist. Es ist mehr als ein Weckruf. Es ist der letzte Aufruf am alten Marshall-Plan-Airport Europa. Oder der ganze Kontinent richtet sich wie früher teilweise Österreich auf ein Dasein als brave russische Tourismusdestination und Vasallen-Land ein.
So wie schon nach dem 1. Weltkrieg und dem 2. Weltkrieg: Die meisten europäischen Staaten waren sicherheitspolitisch militärische Entwicklungsländer, die damals den Schutz und das Joch der USA, der Sowjetunion und Japans (heute Chinas) suchen mussten. Vielleicht war der vermeintlich unabhängige europäische Unionstraum nur eine kurze Phase…
Was, wenn Trump Recht hat?
Er hat Recht.