Das Familienunternehmen Evva produziert in Wien Türschlösser und Zutrittssysteme. Das Unternehmen hat auch Standorte in Tschechien und Deutschland – beides Länder, die Österreich als Wirtschaftsstandort überholt haben: „Auch Deutschland ist gemessen an den Arbeitskosten als Standort ansprechender. Das ist kein Geheimnis“, sagt CEO Stefan Ehrlich-Adám, der auf Arbeitgeberseite die Löhne für die Metallindustrie mitverhandelt. Die hohen Lohnabschlüsse der letzten Jahre haben im Europa-Vergleich „einen großen Gap“ aufgerissen. „Solange die Inflationsraten in der Größenordnung von 2 bis 3 % gelegen sind, hat die Industrie das noch ausgleichen können“, erklärt Ehrlich-Adám und empfiehlt, eine neue Grundlage für die Lohnverhandlungen zu finden.
Angesichts des Rückgangs der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Österreichs mahnen viele Ökonomen zu Lohnzurückhaltung. War die in der Frühjahrslohnrunde bereits zu spüren?
Stefan Ehrlich-Adám: Zurückhaltung würde ich das nicht unbedingt nennen. Aber erfreulicherweise liegen die Abschlüsse im Schnitt unter der rollierenden Inflation, teilweise sogar deutlich darunter. Die Abschlüsse sind aber sehr komplexe Pakete aus Einzelmaßnahmen. Ausgehend von der rollierenden Inflation wurde mit Deckelungen gearbeitet, teilweise unterschiedlich je nach Verwendungsgruppe und teilweise mit Rezessionsklauseln, die auf Basis der Unternehmensergebnisse Abschläge ermöglichen. Es ist begrüßenswert, dass die Einsicht ins Land gezogen ist, dass es der Industrie nicht gut geht. Die Wettbewerbsfähigkeit ist sehr in Frage gestellt worden durch die hohen Lohnabschlüsse der letzten Jahre – vor allem im Vergleich zum Rest Europas. Jetzt wird nach Lösungen gesucht, das etwas abzufedern. Die Abschlüsse der letzten Jahre haben einen großen Gap zu anderen europäischen Ländern aufgerissen. In der Exportstruktur Österreichs ist der Markt Europa das zentrale Element – hier wieder aufzuschließen wird nicht leicht. Das fängt ja schon bei der Inflation an, die in Österreich seit Jahren höher ist. Wenn sie es sich aussuchen können, investieren viele Unternehmen nicht mehr in Österreich, sondern im Ausland, und bauen Arbeitsplätze in Österreich ab.

Österreich war schon immer ein Hochlohnland, warum ist die Situation nun so dramatisch?
Solange die Inflationsraten in der Größenordnung von 2 bis 3 % gelegen sind, hat die Industrie das noch ausgleichen können – über Produktivitätszuwächse oder andere Effizienzsteigerungen. Dann ist die Inflation explodiert, aber wo gibt es heute Produktivitätszuwächse in der Größenordnung von 8 bis 10 %?
Muss die Produktivität in der Benya-Formel, die Grundlage für die Lohnverhandlungen ist, stärker berücksichtigt werden?
Bei der Benya-Formel gibt es Interpretationsspielraum, welche Produktivität genau herangezogen wird – die gesamtwirtschaftliche, die Industrieproduktivität, den halben oder ganzen Produktivitätsfaktor. In diese alte Formel kann man viel hineinlesen. Sie ist heute nicht mehr state of the art und wir müssen uns überlegen, wie wir künftig Lohnverhandlungen führen und was wir als Basisparameter heranziehen.
Es gibt erste Anzeichen der wirtschaftlichen Erholung in Österreich. Was bedeutet das möglicherweise für die Herbstlohnrunde?
Es gab kürzlich eine Revision der Österreichischen Nationalbank, dass es heuer vielleicht doch ein kleines BIP-Wachstum geben könnte. Ich glaube das noch nicht. Die endgültige Zahl werden wir erst nächstes Jahr wissen. Das Hauptproblem des Industriestandortes ist, dass sich die Lohnstückkosten in den letzten Jahren überproportional erhöht haben. Wir müssen nach Wegen suchen, unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung langsam wieder anzieht, ist das ein positiver Effekt. Aber wir haben einen Nachholbedarf zu unseren Wirtschaftspartnern. 80 % der Produkte der österreichischen Industrie gehen ins Ausland und dort konkurrieren wir mit Herstellern aus Ländern, die nicht so eine hohe Inflation haben. Wir müssen kreative Wege finden, wie wir die Lohnanpassungen so gestalten können, dass die Industrie wieder wettbewerbsfähig wird.
Die Lohnverhandlungen schienen zuletzt recht angespannt, es gab teilweise sehr viele Runden und immer wieder Streikdrohungen. Ist die Stimmung aggressiver geworden?
Die Gewerkschaft ist schnell mit Streikbeschlüssen. Die Industrieunternehmen wollen sicher keine Streiks. Wenn es aber keine andere Möglichkeit gibt, sich gegen erhöhte Forderungen zu wehren, dann müssen wir auf unseren Positionen beharren. Die Brutto-Wertschöpfung kann ein Maß sein, an dem wir uns für die Lohnerhöhung orientieren sollten. Das ist, was in Industrieunternehmen erarbeitet wird, und was verteilt werden kann. Die Inflation ist kein Wert, der verteilt werden kann. Man kann eben nur verteilen, was in Unternehmen erwirtschaftet wird – da wird es noch vieler Diskussionen bedürfen.
„Man kann eben nur verteilen, was in Unternehmen erwirtschaftet wird – da wird es noch vieler Diskussionen bedürfen.“
Stefan Ehrlich-Adám
Laut Wirtschaftsforschern zieht die Industrieproduktion wieder etwa an – merken Sie das auch schon im eigenen Unternehmen?
Nein, im Gegenteil. Wir spüren, dass der Preisdruck hoch ist und dass es in unserem Sektor eine geringe wirtschaftliche Aktivität gibt. Es gibt wenige Projekte und die vielen Unternehmen, die in diesem Teich fischen wollen, führen einen Preiskampf.
Gibt es Hoffnung, dass sich das ändert?
Wir müssen natürlich schauen, dass wir unsere Produktionsprozesse effizient gestalten und die Automatisierung vorantreiben. Die Entwicklungstätigkeit geht weiter, wir investieren in neue Produkte und Maschinen. Es ist eine lange Schwächephase, aber auch die geht vorüber. Ich gehe davon aus, dass wir in 2 Jahren aus dieser Phase heraus sein werden. Nächstes Jahr wird es schon besser, aber noch kein Boom.
Evva produziert nicht nur in Österreich. Sind andere Standorte derzeit attraktiver?
Unsere gesamte Rohteilproduktion erfolgt in Wien. Dann haben wir noch 2 andere Produktionsstandorte. In Deutschland und der Tschechischen Republik verarbeiten wir Halbfabrikate weiter. Und natürlich ist das attraktiver, auch Deutschland ist gemessen an den Arbeitskosten als Standort ansprechender. Das ist kein Geheimnis.
„Auch Deutschland ist gemessen an den Arbeitskosten als Standort ansprechender. Das ist kein Geheimnis.“
Stefan Ehrlich-Adám
Deutschland hat im Ranking der wettbewerbsfähigsten Länder zuletzt einige Plätze gut gemacht, Österreich verharrt hingegen mit mittlerweile großem Abstand auf Platz 26.
Deutschland hat über viele Jahre bei den Lohnerhöhungen stark mit Einmalzahlungen gearbeitet – erst die letzte Erhöhung war prozentuell nachhaltig. Österreich hingegen hat jedes Jahr prozentuell erhöht, Einmalzahlungen werden nicht akzeptiert. Dadurch sind die Lohnstückkosten bei uns viel stärker gestiegen.

Sollte nun doch ein Aufschwung bevorstehen, kommt dann auch der Fachkräftemangel zurück?
Eine gewisse Zeit lang, haben die Unternehmen Fachkräfte gehalten, weil sie Sorge hatten, dass diese fehlen, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Jetzt ist man an einem Punkt angelangt, an dem das betriebswirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Steigt der Bedarf wieder, müssen alle wieder neue Fachkräfte suchen. Verschärfend hinzu kommt die demografische Entwicklung. Wir werden in den nächsten 15 bis 20 Jahren ungefähr 300.000 Menschen im arbeitsfähigen Alter verlieren. Die müssen wir im Endeffekt durch Migration ersetzen. Das wird schon ein Thema werden.
Ist Österreich darauf vorbereitet?
Nein, es fehlt ein viel offenerer Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte. Wir haben keine Willkommenskultur für Arbeitnehmer aus dem Ausland. Die Gewerkschaften haben sich nach dem EU-Beitritt lange erfolgreich gegen einen Zuzug von Arbeitnehmern aus den neuen EU-Mitgliedsländern gewehrt. Heute müssen wir viel offener sein. Im Idealfall sollten wir uns die Fachkräfte aussuchen können. Das Problem ist aber, dass die Länder in Osteuropa mittlerweile ein Lohnniveau erreicht haben, bei dem die Menschen gar nicht mehr so sehr darauf aus sind, nach Westeuropa zu kommen. Das wird eine große Herausforderung. Gleichzeitig haben wir seit 10 Jahren zwar immer mehr Menschen in Beschäftigung, aber das Arbeitsvolumen verändert sich nicht. Wir haben immer mehr Menschen, die nur Teilzeit arbeiten. Das ist ein Riesenthema. Wir hätten hier ein großes Potenzial, wenn die Teilzeit nicht so attraktiv gemacht wäre.
„Wir haben keine Willkommenskultur für Arbeitnehmer aus dem Ausland.“
Stefan Ehrlich-Adám
Wie unattraktiv müsste man Teilzeit machen?
Man muss wahrscheinlich eher die Vollzeit attraktivieren. Ich verstehe, dass es Menschen gibt, die aus verschiedenen Gründen nur Teilzeit arbeiten können. Für alle anderen muss Vollzeit wieder attraktiv werden, sonst wird das demografische Problem immer größer werden.
Wie bewerten Sie bisher die Regierungsarbeit – werden die durch das Sparpaket eingeschränkten Möglichkeiten so gut es geht genutzt?
Ich weiß nicht, ob wir von einem Sparpaket reden können, wenn wir allein heuer um 8 Mrd. Euro im Vergleich zu 2024 mehr ausgeben werden. Es werden lediglich Ausgaben, die man gerne gemacht hätte, nicht gemacht. Ich verstehe unter Sparen etwas anderes. Laut Fiskalrat werden wir mehr machen müssen und der hat bereits beim letzten Budget warnende Worte ausgesprochen und am Ende recht bekommen. Was mir abgeht ist, dass die Bundesregierung für die Wirtschaft strukturell nichts verändert, so z.B. bei den Lohnnebenkosten. Da geht es nicht darum, das Ergebnis der Unternehmen zu steigern. Es geht darum, dass unternehmensfremde Sachen nicht von den Unternehmen zu bezahlen sind, sondern aus dem allgemeinen Budget. Warum müssen Unternehmen für die Schulbuchaktion zahlen oder für die Wohnbauförderung, die dann erst recht zum Stopfen von Budgetlöchern verwendet wird.
„Warum müssen Unternehmen für die Schulbuchaktion zahlen oder für die Wohnbauförderung?“
Stefan Ehrlich-Adám
Die Industrie ist seit 3 Jahren in der Rezession. Was denken Sie sich, wenn die Regierung jetzt erst einmal Monate lang eine Industriestrategie ausarbeiten will?
Die Industriestrategie wird angekündigterweise von den Sozialpartnern erarbeitet werden. Ich habe große Sorge, dass da nichts Tragfähiges mit kurz- bis mittelfristigen Ergebnissen dabei herauskommt. Ich bin sehr skeptisch, dass das nicht einfach ein großes Programm wird, das sich die Regierung auf die Fahnen heften kann. Ich würde mich freuen, eines Besseren belehrt zu werden.
Was wären 3 konkrete Dinge, die Sie gerne in dieser Strategie sehen würden?
Wir müssen eine Lösung finden für die hohen Energiekosten. Das ist ein Thema, das wir auf europäischer Ebene angehen müssen. Dann müssen wir die Inflation in den Griff bekommen – Österreich ist ein Land, in dem alles indexiert ist. In anderen Ländern ist das nicht der Fall. Bei uns sind Mieten, Bankgebühren, Versicherungspolizzen und sogar Gemeindeabgaben indexiert. Das sollte man überdenken, denn es ist ein großer Preistreiber. Und ich mache mir Sorgen, dass die Industrie bzw. Warenherstellung nicht mehr der wichtigste Sektor gemessen an der Produktivität ist.
Warum macht Ihnen das Sorgen?
Heute ist der öffentliche Sektor der größte Sektor, und zwar genau genommen die Lohn- und Gehaltssumme des öffentlichen Bereichs. Das heißt, unser BIP wächst, weil die Lohn- und Gehaltssumme der öffentlichen Bediensteten steigt. Die Industrie war immer ein Garant für Wohlstand in unserem Land. Wenn die Industrie vom öffentlichen Sektor überholt wird, haben wir langfristig ein Megaproblem.
„Wenn die Industrie vom öffentlichen Sektor überholt wird, haben wir langfristig ein Megaproblem.“
Stefan Ehrlich-Adám
Keines, für das es eine einfache Lösung gibt, nehme ich an?
Man kann sich anschauen, wodurch der Personalzuwachs im öffentlichen Dienst getrieben wird. Wahrscheinlich durch Bürokratieaufbau, der stark in Brüssel vorangetrieben wird. Es werden Tonnen an Dokumentationen und Berichten produziert, die am Ende des Tages wahrscheinlich niemand liest.
Gibt es auch etwas, das Sie zum Standort Österreich positiv stimmt?
Viele Unternehmer wollen nicht ins Ausland gehen. Bevor sie das machen müssen, sperren sie lieber zu. Die österreichische Industrie ist geprägt von mittelständischen Familienunternehmen, die einen engen Bezug zu Österreich haben. Das Wichtigste ist, dass wir wieder zu Rahmenbedingungen finden, unter denen sich Unternehmen entwickeln können. Auch wenn das heißt, dass man in manche Strukturen eingreifen muss – Stichwort Pensionen oder Föderalismus.