René Tritscher ist Geschäftsführer der Austria Business Agency © ABA/Patricia Weisskirchner / Montage: Selektiv
René Tritscher ist Geschäftsführer der Austria Business Agency © ABA/Patricia Weisskirchner / Montage: Selektiv
Interview

Österreich als „Tor zu Osteuropa“ zieht noch immer

„Wir sind kein Niedriglohnland und das werden wir auch nicht mehr“, sagt René Tritscher, Geschäftsführer der Austrian Business Agency, die ausländische Unternehmen bei der Ansiedlung in Österreich berät. Der Standort konkurriere nicht mit Niedriglohnländern, sondern eher mit nördlichen EU-Staaten. Österreich würde noch immer in vielen Punkten gut abschneiden. „Es geht dabei um Fragen ausreichend qualifizierter Fachkräfte und nicht nur der Lohnkosten, sondern des gesamten Preis-Leistungs-Verhältnisses – was zahle ich als Unternehmen in einen Standort ein und was bekomme ich heraus“, so Tritscher.

Österreich ist seit zwei Jahren in einer Rezession und in Standort-Rankings deutlich abgerutscht. Die Betriebsansiedlungen sind vergleichsweise moderat zurückgegangen. Warum kommen Unternehmen noch nach Österreich? 

René Tritscher: Das konjunkturelle und geopolitische Umfeld hat in vielen Ländern für teilweise massive Rückgänge bei den ausländischen Direktinvestitionen (FDI, Foreign Direct Investments) gesorgt. In manchen Ländern gibt es einen Einbruch von bis zu 20 Prozent und auch in Österreich gibt es einen leichten Rückgang. Trotz aller Probleme, die wir am Standort haben, haben wir in einigen Bereichen unsere Hausaufgaben gemacht. Wir sind nach wie vor als Forschungsstandort sehr attraktiv, nicht zuletzt wegen der Forschungsprämie. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen ist eng und praxisbezogen. Trotz des Fachkräftemangels haben wir in vielen Bereichen Top-Leute und auch die Lebensqualität darf man als Standortfaktor nicht unterschätzen. Das ist vor allem für internationale Spitzenfirmen ein Asset – man entscheidet sich für ein Land ja nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Leben. Im Startup-Bereich sind wir in der Gründungsphase und unmittelbar danach aufgrund guter staatlicher Förderungen attraktiv.  

Spielt Österreich als „Tor zu Osteuropa“ noch eine Rolle? 

Unsere Headquarters-Studie mit der WU Wien zeigt, dass dieses Argument nach wie vor stark zieht – insbesondere für deutsche Unternehmen. Aber auch für Drittstaaten wie für die Schweiz, die ihre Aktivitäten in der EU, Mittel- und Osteuropa gerne von Wien aus steuern.  

Mit welchen Standorten konkurriert Österreich, wenn es um Betriebsansiedlungen geht? 

Wir sind kein Niedriglohnland und das werden wir auch nicht mehr – gesamt-volkswirtschaftlich betrachtet wäre das auch nicht wünschenswert. Deshalb sind die Hauptkonkurrenten weniger Niedriglohnländer sondern vor allem Deutschland, die Schweiz, die Niederlande und ganz allgemein die Nordics – da sind wir bei vielen Parametern in einer ähnlichen Bandbreite. Deshalb ist es wichtig, dass wir in diesen wesentlichen Standortparametern gegenüber diesen Ländern konkurrenzfähig bleiben. Es geht dabei um Fragen ausreichend qualifizierter Fachkräfte und nicht nur der Lohnkosten, sondern des gesamten Preis-Leistungs-Verhältnisses – was zahle ich als Unternehmen in einen Standort ein und was bekomme ich heraus? Die Infrastruktur ist wichtig und die soziale Sicherheit. 

Wie schneiden wir in den Beratungen im Vergleich zu den Nordics ab? Haben sich in den vergangenen Jahren Parameter verschoben? 

Wir schneiden in vielen Punkten gut ab – etwa bei der Infrastruktur. Es gibt aber auch problematische Bereiche. Das ist einerseits das Thema Energieversorgung und leistbare Energie – vor allem für produktionsintensive Industriebranchen. Eine Rolle spielen auch die massiven Lohnsteigerungen der letzten beiden Jahre in manchen Branchen. Vor fünf bis sechs Jahren sind wir bei den Kosten noch unter einigen Konkurrenten gelegen und nun sind wir zumindest gleichgezogen und in einigen Fällen höher. Die Betonung der anderen Standortargumente ist dadurch wichtiger geworden.

Wie kann man sich das Standortmarketing von Österreich konkret vorstellen? 

Wir können aufgrund der Ressourcen nicht die ganze Welt bespielen. Deshalb schauen wir bei der Betriebsansiedlung, der Fachkräftegewinnung und beim Filmstandort, dass wir Fokusmärkte und Fokusbranchen identifizieren. Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Markt, was Betriebsansiedlungen betrifft. Wir sind aber auch sehr erfolgreich, was den US-Markt betrifft und auch am asiatischen Markt. Wir sehen uns aber auch an, in welchen Fokusbranchen Österreich gute Chancen hat, um Unternehmen zu gewinnen. Beispiele sind der Lifescience-Sektor, Pharma und Biotech, aber auch ICT. Und wir sehen uns Unternehmen mit hohem Entwicklungspotenzial aus dem Startup- und Scale-up-Bereich an – hier haben in den letzten Jahren vor allem mittel- und osteuropäische Länder gut funktioniert. Diese Unternehmen können dann in Österreich weiter wachsen. Bei der Fachkräftegewinnung sind physische Veranstaltungen und Social Media wichtig und unsere ersten Erfahrungen mit Influencern sind sensationell gut.  

Welche Unternehmen kommen am Ende am ehesten nach Österreich? Digitale Dienstleistungen schaffen oft wenig Arbeitsplätze. 

Bei uns liegt der Schwerpunkt auf Informations- und Kommunikationstechnologie – Software-Entwickler und Hardware-Hersteller sind bei uns die größte Branche. Danach folgen Handelsbetriebe und Consulting. Dann kommt aber auch schon der Lifescience-Bereich und Energie- und Umwelttechnik, was sehr erfreulich ist. Das Problem, dass Betriebe mit hohem Investment möglicherweise nur wenige Arbeitsplätze schaffen, gibt es aber sehr wohl. Ein gutes Beispiel sind Rechenzentren – hohes Investment, hoher Bedarf an Energie, aber wenige Mitarbeiter. Umgekehrt bei Einzelhandelsbetrieben, die oft viele Mitarbeiter haben, aber wenig investieren. Deshalb ist der Mix wichtig. Die Zukunft der Standortgewinnung muss eine qualitative sein – welche Unternehmen ergänzen das Ökosystem gut?  

Es ist gar nicht so einfach, genau zu sagen, wieviele Unternehmen sich in Österreich ansiedeln. Die Direktinvestitionen ergeben kein detailliertes Bild und die Betriebsansiedlungen der ABA umfassen nur die Ansiedlungen nach Beratungen. Würden Sie sich besseres Zahlenmaterial wünschen? 

Die Direktinvestitionen umfassen auch Finanztransaktionen und Unternehmensübernahmen. Das ist nicht unser Geschäft. Wir siedeln neue Betriebe an und unterstützen internationale Unternehmen bei der Expansion. Und dabei arbeiten wir stark mit Landesagenturen und internationalen Partnern zusammen. 

Derzeit ist Österreich in einer Rezession und der Fachkräftemangel rückt ein wenig in den Hintergrund. Wenn die Wirtschaft wieder anzieht, kann sich das schnell ändern. Bereitet sich die ABA darauf schon vor? 

Die Industrie hat jetzt sicher andere Themen auf dem Tisch. In den Beratungen sehen wir bei der ABA aber keinen Rückgang, eher im Gegenteil. Ein Grund ist sicher die Demografie, die unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung zuschlägt. Ein anderer Grund ist, dass wir mit unseren Services sehr proaktiv sind und uns Unternehmen weiterempfehlen. Bei uns kann sich jedes Unternehmen aus Österreich und jede Fachkraft international melden. Es gibt in Österreich viele zuständige Behörden und Ministerien und wir sehen uns als Drehscheibe. In vielen Bereichen steigt der Bedarf, auch an Drittstaatsangehörigen, stark an – zum Beispiel im Verkehr. Bei Kraftfahrern, Buslenkern oder Lokführern gibt es einen großen Bedarf. Zu Beginn haben bei uns vor allem Industriebetriebe angefragt, mittlerweile sind es auch KMU oder auch handwerkliche Tätigkeiten, bei denen es viel Beratungsbedarf bezüglich der Anerkennung von Berufsqualifikationen gibt. Wir sehen uns auch als Beschleuniger der Rot-Weiß-Rot-Karte. Die Acht-Wochen-Frist, die für die Erteilung einer RWR-Karte vorgesehen ist, wird in vielen Fällen schon unterboten. Wir winken nicht durch, aber wir haben viele digitale Tools, die intensiv genutzt werden. Wir unterstützen ab dem Visa-Antrag in Drittstaaten bis hin zur Integration im Unternehmen in Österreich.  

Die Rot-Weiß-Rot-Karte ist reformiert worden und seither wird gerne der große Erfolg betont. Die absoluten Zahlen sind aber immer noch recht niedrig. Sind Sie zufrieden? 

Man muss sich bewusst sein, dass qualifizierte Zuwanderung aus Drittstaaten immer nur ein Teil einer Fachkräftestrategie ist. Wir werden damit nicht Hundertausende Menschen bewegen, nach Österreich zu kommen. Die Reform, die es gab, war gut und wichtig. Es gibt aber noch Bürokratiehemmnisse für den Ablauf danach – wir setzen uns für eine österreichweit einheitliche Gestaltung ein. Menschen legen ja oft Zehntausende Kilometer zurück, um in ein anderes Land zu kommen – das muss berechenbar sein. Durch die Reform und die Vereinheitlichung sind die Verfahren kürzer und berechenbarer geworden und damit steigt auch die Erfolgsquote.