Marcus Scheiblecker ist Senior Economist am Wifo © Wifo/Alexander Müller
Marcus Scheiblecker ist Senior Economist am Wifo © Wifo/Alexander Müller
Interview

„Österreichs wichtigste Einkommensquelle schrumpft“

Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo hat die Wachstumsprognose für Österreich für 2025 deutlich nach unten korrigiert. Im Dezember sind die Ökonomen noch von 0,6 Prozent BIP-Wachstum für heuer ausgegangen – die lange erwartete Erholung. Doch wieder kam es anders und nun sieht Wifo-Konjunkturprognostiker Marcus Scheiblecker mit -0,3 Prozent ein weiteres Rezessionsjahr ins Land ziehen.

Gleichzeitig ist die Lohnquote in den letzten Jahren stark gestiegen. „Wenn die Lohnquote steigt, wird für Arbeitnehmer der Anteil am Kuchen größer. Zum Problem wird das, wenn der Kuchen schrumpft. Arbeitnehmer bekommen ein größeres Stück von einer schrumpfenden Torte“, so Scheiblecker. Das gehe zu Lasten von Unternehmen und Staat. „Wenn es kein Wirtschaftswachstum gibt, braucht es etwas Lohnzurückhaltung“. Im Interview geht es außerdem darum, was den nächsten Aufschwung bringen könnte und ob dann der Fachkräftemangel zu einem großen Problem wird.

2025 wird ein weiteres Rezessionsjahr für Österreich. Es ist die längste Rezession der zweiten Republik und nirgends ging es so steil bergab wie hierzulande. Was bedeutet das für Österreich?

Marcus Scheiblecker: Das Bruttoinlandsprodukt misst die Produktion und damit die wichtigste Einkommensquelle. Wenn die wichtigste Einkommensquelle schrumpft, hat das Auswirkungen auf die privaten Haushalte bzw. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, da die Arbeitslosigkeit steigen und die Lohnzuwächse verhaltener sein werden. Bei Unternehmen werden die Gewinne geringer und der Staat hat weniger Einnahmen. Diese drei Gruppen sind betroffen und es ist eine politische Entscheidung, wie sich die Betroffenheit auf diese drei Gruppen aufteilt.

Besonders schlecht ist die Situation derzeit für die Industrie. Warum?

Die Hauptursache dafür ist die internationale Konjunktur. In vielen EU-Ländern ist die Nachfrage nach Industriegütern gering und das trifft vor allem Österreich, weil wir einen besonders hohen Industrieanteil haben.

Es gibt Menschen, die sich darüber freuen, da ein Strukturwandel hin zu Dienstleitungen umweltschonender wäre. Was ist der Haken an dieser Sichtweise?

Der Haken ist, dass die Menschen schon noch selbst entscheiden, welche Bedürfnisse sie haben und wie sie sie befriedigen. Oft hilft eine Dienstleistung nicht. Ich kann mich ja nicht einfach massieren lassen, statt ein Auto zu fahren. Aber es ist schon so, dass in höher entwickelten Gesellschaften die Industrie relativ zurückgeht und Dienstleistungen vermehrt nachgefragt werden – einfach, weil viele Bedürfnisse nach Waren schon gedeckt sind.

„Oft hilft eine Dienstleistung nicht. Ich kann mich ja nicht einfach massieren lassen, statt ein Auto zu fahren.“

Marcus Scheiblecker zum Strukturwandel

Laut einer aktuellen Studie des deutschen Ifo-Instituts findet dieser Wandel auch innerhalb der Industrie statt – die Industrieproduktion geht zurück, die Industriedienstleistungen nehmen zu. Damit wäre es zu kurz gegriffen, nur die Produktion als Kennzahl heranzuziehen.

Die Grenzen zwischen den Wirtschaftsbereichen verschwimmen grundsätzlich immer stärker. Dennoch würde ich das nicht als Strukturwandel bezeichnen – es ist einfach eine stärkere Vernetzung und damit einhergehend eine schwierigere Sichtbarkeit der Industrie.

Ein Punkt, der nicht nur die Industrie belastet ist die stark gestiegene Lohnquote in Österreich. Warum ist das ein wachsendes Problem?

Die Lohnquote gibt den Anteil am Bruttoinlandsprodukt an, der den privaten Haushalten in Form von Arbeitsentlohnung zufließt. Die anderen Anteile entfallen auf Staat und Unternehmen. Wenn die Lohnquote steigt, wird für Arbeitnehmer der Anteil am Kuchen größer. Zum Problem wird das, wenn der Kuchen schrumpft. Arbeitnehmer bekommen ein größeres Stück von einer schrumpfenden Torte. Das hat Konsequenzen für die beiden anderen Akteure. Unternehmerische Tätigkeit ist nicht mehr so rentabel, die Gewinne schrumpfen und damit bleibt weniger für Investitionen übrig. Wenn Gewinne schlechter ausfallen, überlegen Unternehmen, ob sie nicht lieber im Ausland produzieren sollen, wo die Lohnquote geringer ist und höhere Profite erzielt werden können. Umgekehrt, kommen weniger Unternehmen nach Österreich. In Deutschland sehen wir bereits eine Abwanderung – der österreichischen Wirtschaft droht das nun auch.

Bis vor kurzem ging es der heimischen Industrie im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht. Die deutsche Industrie schrumpft bereits seit 2018 und die österreichische hat sich noch länger gemeinsam mit vielen anderen Industrieländern nach oben entwickelt. Erst seit 2023 geht es wirklich bergab. Würde der Kuchen wieder wachsen, wäre eine hohe Lohnquote nicht so fatal wie jetzt.

Wie können wir die Lohnquote etwas dämpfen?

Am besten wäre es, nicht die Löhne zu senken, sondern die Gewinne zu steigern. Würde das Wirtschaftswachstum kräftig anspringen, dann würde die Lohnquote von allein sinken. Ohne Besserung führt die hohe Lohnquote aber in eine Abwärtsspirale. Wenn es kein Wirtschaftswachstum gibt, braucht es etwas Lohnzurückhaltung.

Wie stark dürften die Löhne in einem Idealszenario in den kommenden Jahren höchstens steigen?

Es gibt dabei kein Ideal, da es vom Wettbewerb abhängt. Wenn in China die Löhne sinken und wir wollen im Wettbewerb mithalten, müssten die Löhne auch bei uns sinken. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass Steigerungen in etwa um die Inflationsrate in Zukunft bei uns ausreichen sollten. Falls die Wirtschaft wieder stärkeren Tritt fasst, kann man nachlegen. Es ist zu erwarten, dass unsere Konkurrenzländer in Zukunft die Löhne stärker erhöhen müssen, da fast überall auf der Welt über Arbeitskräfteknappheit geklagt wird. Diese Knappheit führt zu Lohnsteigerungen. Wenn die anderen Länder erhöhen, können wir vielleicht nicht ebenfalls nach oben schrauben, aber zumindest müssen wir die Löhne nicht senken.

Derzeit ist der Arbeitsmarkt trotz Krise recht stabil. Könnte sich der Fachkräftemangel wieder zurückmelden, wenn die Wirtschaft anspringt?

Nicht so schnell. Noch sind die Kapazitäten in der Industrie nicht ausgelastet und es wird noch dauern, bis wir wieder in einer Überlastphase sind. Derzeit wachsen bei uns allerdings nur die Beschäftigungsverhältnisse. Beim Arbeitsvolumen liegen wir noch unter den Werten von 2019. Einerseits wegen der Teilzeit, andererseits, weil in Industriesektoren weniger Überstunden gemacht werden. Wenn der Bedarf steigt, könnten diese vielen Arbeitskräfte zunächst einmal mehr arbeiten. Noch 2022 haben Unternehmen in unseren Konjunkturumfragen Arbeitskräftemangel als größtes Produktionshindernis angegeben – nicht eine schwache Nachfrage oder Rohstoffengpässe. Wenn sich die Konjunktur erholt, kann das schon wieder zurückkommen. Allerdings haben wir jetzt erst einmal Puffer – in ein paar Jahren könnte das Thema wieder virulent werden.

„Wenn der Bedarf steigt, könnten diese vielen Arbeitskräfte zunächst einmal mehr arbeiten.“

Marcus Scheiblecker

Die Regierung steht heuer vor einem größeren Budgetloch als gedacht. Das geplante Sparpaket bringt das Defizit von 4,1 Prozent nach Ihren Berechnungen nur auf 3,3 Prozent hinunter und 2026 steigt es wieder auf 3,5 Prozent. Gleichzeitig könnte ein höheres Sparvolumen von bis zu 12 Mrd. Euro aber die Konjunktur schwächen. Was wäre denn nun ein gutes Sparvolumen?

Man kann sich das ein bisschen wie ein Unternehmen vorstellen, das investiert. Man kann und sollte sich durchaus verschulden, wenn sich die Investition in Zukunft lohnt. Bildung wäre zum Beispiel eine solche Investition und in gewissem Ausmaß auch Gesundheit, wenn es um Arbeitskräfte geht. Gesundheit von Menschen in Pension wäre hingegen eher eine soziale Sache – der Wirtschaft bringt das nicht so viel. Einen Staat zu führen, geht weit über das Ökonomische hinaus. Eine Empfehlung aus rein ökonomischer Sicht kann es da also gar nicht geben.

„Einen Staat zu führen, geht weit über das Ökonomische hinaus.“

Marcus Scheiblecker

Für kommendes Jahr gehen sie mit +1,2 Prozent von einem vergleichsweise hohen Wachstum für Österreich aus. Woher – außer aus Deutschland – können Konjunkturimpulse kommen?

Die Konjunktur ist grundsätzlich eine sehr schwierig zu prognostizierende Bewegung. Ein Punkt, der in den kommenden Jahren schlagend werden könnte, ist, dass gewisse Grenzen erreicht werden. Ein Beispiel: Die Wohnbauinvestitionen schrumpfen in Österreich seit fast vier Jahren. Gleichzeitig wächst aber die Bevölkerung. Da ist klar, dass das an eine Grenze stoßen wird. Bei steigernder Bevölkerung steigt auch der Wohnbedarf. Ähnlich beim Konsum – pro Kopf wird der Konsum heuer das dritte Jahr infolge schrumpfen – bei steigendem Einkommen. Das macht keinen Sinn. Auch bei der derzeit weiterhin lahmenden Investitionsnachfrage, werden irgendwann zumindest gewisse Ersatzinvestitionen wieder notwendig werden. Somit gibt es einige Komponenten, die sich automatisch stabilisieren und wieder zu einem Umschwung führen. Das wird in den kommenden Jahren in Europa schlagend. Für die USA und China haben wir ein geringeres Wachstum veranschlagt – das wird uns nicht viel helfen. Europa wird zudem von Konjunkturimpulsen wie den deutschen Finanzpaket profitieren. Österreich hat davon direkt jedoch wenig – vielleicht bei der Schieneninfrastruktur. Straßenbau und Bau werden deutsche Unternehmen übernehmen. Auch vom Rüstungsprojekt können wir weniger erwarten.

Ein vergleichbares Paket wäre in Österreich aufgrund des Defizits nicht denkbar?

Selbst wenn wir es könnten, wäre es nicht empfehlenswert, weil wir eine noch kleinere offene Volkswirtschaft als Deutschland sind. Wenn wir eine Großinvestitionsinitiative fahren würden, dann wäre der Effekt für uns nicht so groß, weil wir viele der benötigten Maschinen aus dem Ausland importieren müssten. Das würde den Staat viel kosten, würde aber wenig Spuren in der heimischen Wirtschaft hinterlassen.

Was wäre denn ein erstrebenswertes Wirtschaftswachstum für Österreich und wann können wir das wieder erreichen?

Wir hätten gerne ein strukturelles Trendwachstum, das nicht von konjunkturellen Schwankungen abhängt. In den letzten Jahren hat sich dieses Trendwachstum leider deutlich gesenkt und liegt nur noch bei ungefähr 1 Prozent. Für kommendes Jahr gehen wir also nur von etwas mehr als dem Trendwachstum aus. Ein richtiger Konjunkturausschwung sieht anders aus – wir hatten auch schon man Sprünge von 3 Prozent. Ich wäre mit einem Wachstum von 2 Prozent sehr zufrieden.

„Ich wäre mit einem Wachstum von 2 Prozent sehr zufrieden.“

Marcus Scheiblecker

Können Sie zum Abschluss noch etwas Positives sagen?

Je schlechter es der Wirtschaft geht, desto geringer ist der Treibhausgasausstoß. Obwohl wir selbst da hinterherhinken, denn mit der für heuer prognostizierten Reduktion von 1,8 Prozent entfernen wir uns weiter vom Zielpfad und 2026 wird die Reduktion mit 1,4 Prozent noch geringer ausfallen. Dann geht es nämlich der Industrie wieder besser. Vielleicht können wir es als Erfolg feiern, dass diesmal die Arbeitslosigkeit nicht so stark steigt.