Stephan Schwarzer © Weinwurm / Montage: Selektiv
Stephan Schwarzer © Weinwurm / Montage: Selektiv
Interview

Klima: 11 EU-Regularien, die entrümpelt gehören

„Der erste Sündenfall war es, Umweltmanagement zu verrechtlichen und der zweite es vorzuschreiben. Dieses Netz wurde immer engmaschiger und niemand hat sich gefragt, ob Unternehmen das verkraften können“, sagt Stephan Schwarzer. Er ist Umweltrechtsexperte und glaubt nicht, dass es der EU in den kommenden Jahren gelingen kann, die überbordende Bürokratie einzudämmen. Ganz im Gegenteil: „Jeder Rechtsakt ist automatisch Mutter vieler weiterer Rechtsakte. So entstehen tausende Seiten an Folgerechtsakten.“ 11 Bürokratie-Monster im Umweltbereich hat er identifiziert, dabei würde laut Schwarzer ein einziges Instrument ausreichen.

Die EU-Kommission hat sich einen Rückbau der Berichtspflichten um 25 Prozent und für KMU um 35 Prozent vorgenommen, um Unternehmen zu entlasten. Ist das realistisch und was erwarten Sie davon?

Stephan Schwarzer: Es ist schwer nachzuvollziehen, woher diese 25 und 35 Prozent kommen sollen. Bisher wurden vor allem Termine verschoben und Anwendungsbereiche leicht eingeschränkt. Das reicht sicher nicht aus. Wenn Termine verschoben werden, stellt sich dieselbe Frage ja in einem oder zwei Jahren wieder – bis dahin müsste man beispielsweise die Lieferkettenrichtlinie inhaltlich substanziell überarbeiten.

Haben Sie das Gefühl, dass das passiert?

Ich glaube nicht, dass das alle wollen, jeder Geländegewinn ist hart erkämpft. Das „Stop the Clock“ ist jetzt jedenfalls schnell gegangen, Lieferketten und Nachhaltigkeits-Berichterstattung sind aber nur zwei große Gruppen. Es gibt noch viel mehr.

Warum hat man ausgerechnet mit der Nachhaltigkeits-Berichterstattung begonnen – das hat eine starke Signalwirkung und erzeugt viel Widerstand.

Weil dort der Schuh am meisten drückt. In diesem Bereich kursieren unterschiedliche Zahlen – manche Unternehmen berichten, dass 1.000 Datenpunkte abgefragt werden, wahrscheinlich sind es aber noch viel mehr. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Nachhaltigkeits-Berichterstattung war zu Beginn ein viel sanfteres Instrument. Früher waren Umweltaspekte Teil des Lagebildes bei Aktiengesellschaften. Umweltmanagement war lange etwas, in dem man sich als Unternehmen engagiert hat und dann auch stolz darauf war. Der erste Sündenfall war es, Umweltmanagement zu verrechtlichen und der zweite es vorzuschreiben. Dann hat es begonnen, dass alles genau gemessen werden muss und das kennt nun keine Grenzen mehr: man kann quartalsweise messen, aber auch halbstündlich. Dieses Netz wurde immer engmaschiger und niemand hat sich gefragt, ob Unternehmen das verkraften können und es überhaupt irgendwen interessiert. Der Aufwand kostet mittlerweile Milliarden Euro und die Produktivität leidet.

Wo müsste man inhaltlich ansetzen, jetzt wo die Uhr „angehalten“ wurde?

Indem man Unternehmen überlässt, welche Daten genau erhoben werden müssen auf Basis der größten Umweltauswirkungen. So war es auch zu Beginn des Umweltmanagements, das hätte man nicht reglementieren müssen.

Viele Unternehmen haben bereits in die Umsetzung der Nachhaltigkeits-Berichterstattung CSRD und der Lieferkettenrichtlinie CSDDD investiert. Was bedeutet das jetzt für die Rechtssicherheit, wenn nun gestoppt wird und die Richtlinien in zwei Jahren vielleicht ganz anders aussehen?

Idealerweise erheben sie weiterhin, auch ohne Verpflichtung, was für sie selbst sinnvoll ist. Unternehmen haben selbst einen Überblick, wo sie Auswirkungen auf die Umwelt haben und wie sie diese reduzieren können. Und für vieles gibt es ohnehin bereits Vorschriften zum Beispiel im Chemikalienrecht, im Anlagenrecht oder im Abfallrecht. Da muss man nicht noch eins draufsetzen.

Die Daten werden so oder so erhoben?

Ja, das ist ja kein rechtsfreier Raum. Die Dokumentationen zu Abfall, Chemikalien und ähnlichem sind über Jahre hinweg gewachsen. Auf dem hat auch das freiwillige Umweltmanagement aufgebaut. Ein gutes Beispiel ist auch die Taxonomie-Verordnung: Man muss ohnehin viele Vorschriften erfüllen, wenn man zum Beispiel ein Hotel baut. Wenn es dann um die Finanzierung durch eine Bank geht, muss die jetzt nochmal eine strengere Umweltkontrolle machen als die Behörden. Der Investor läuft Gefahr, dass er keinen Kredit bekommt, und Banken, die viele „graue“ Projekte finanzieren, laufen Gefahr, im Banken-Ranking als „schmutzig“ eingestuft zu werden.

Banken sind damit auch nicht glücklich?

Für Banken ist das ein Riesenaufwand, der auch bei ihnen die Kosten in die Höhe treibt. Ich war 2019 für die Wirtschaftskammer in Brüssel und da ist das bereits diskutiert worden. Damals hieß es, dass die Taxonomieverordnung dafür da ist, damit Konsumenten sicher sein können, dass grüne Geldanlagen auch wirklich grün sind. Das ist ja auch vernünftig. Bei EU-Normen ist es aber häufig so, dass es zuerst nur ein kleines Sandkorn sind, das dann das Gestein ins Rollen bringt. Also wurde schließlich jedes Projekt klassifiziert, es gab Kriterienlisten für Wohlverhalten über die Gesetzgebung hinaus und die Zertifizierungsindustrie ist aufgeblüht, denn die muss alles validieren.

Die EU setzt nun bei der CSRD und der CSDDD an – wo gäbe es noch Potenziale?

Wenn es nur ein oder zwei wären, wäre es eher verkraftbar. Es gibt aber mindestens 11 große EU-Bürokratien im Bereich Klima. Beim Green Deal wurde alles gleichzeitig ausgebaut: Chemikalienrecht, Naturschutzrecht, Lebensmittelschutzrecht usw. Was viele nicht wissen: mit diesen Rechtsakten ist es nicht getan. Die bringen ständig neue, delegierte Rechtsakte hervor. Das muss man einschränken. In den Rechtsakten steht dann bei vielen Punkten, dass sie mit delegated acts detailliert werden dürfen. Das macht jeden Rechtsakt automatisch zur Mutter vieler weiterer Rechtsakte. So entstehen tausende Seiten an Folgerechtsakten.

Bei der Lieferkettenrichtlinie wurde nun nicht nur die Stopp-Taste gedrückt, sondern auch schon etwas vereinfacht – geht das in die richtige Richtung?

Das ist natürlich eine Verbesserung. Aber auch die Lieferkettenverordnung produziert immer weitere Rechtsakte. Wenig bekannt ist außerdem, dass jedes Land eine eigene, unabhängige Lieferkettenbehörde einrichten muss. Da sitzen dann 100 Experten, die alle fünf Jahre Unternehmen kontrollieren. Dabei gibt es ohnehin schon so viele Kontrollstellen. Und NGOs sind auch auf dem Spielfeld. Ich habe ein ständiges Risiko, hohe Strafen zahlen zu müssen, wenn nicht regelkonformes Verhalten in allen Punkten und weltweit vorliegt. Wir sprechen von gewaltigen Strafen von bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes. Als Unternehmen muss ich mit diesem Risiko umgehen, auch wenn es sich noch nicht realisiert hat.

Welche der „Big 11“ auf Ihrer Liste hätten die größten Potenziale für Entbürokratisierung?

Die Lieferkettenrichtlinie ist sicher ganz oben. Die macht Unternehmen praktisch zum Weltpolizisten. Man muss alle Vorlieferanten in punkto Umwelt, Sozialstandards und Menschenrechte durchleuchten. Ein großes Problem ist auch die Entwaldungsverordnung. Die Landwirtschaft dachte, die betrifft nur Südamerika – sie trifft uns aber ganz genauso. Auch Holz aus Österreich muss bis auf den konkreten Baum rückverfolgbar sein. Kauft ein österreichisches Unternehmen ein Buch von einem Händler aus New York, muss es einen Nachweis geben, von welchen Bäumen das Papier stammt, auf dem gedruckt wurde. Der Grundzweck der Regulierung mag ja nachvollziehbar sein – wir wollen nicht, dass der Regenwald in der Amazonas-Region abgeholzt wird. Was daraus jetzt wurde, ist aber total überschießend. Unterschätzt wird auch die Renaturierungsverordnung. In der steht, dass man der Natur den Raum zurückgeben muss. Das ist natürlich schwer, wenn die Bevölkerung wächst. Ihr Verschlechterungsverbot kann sich noch als Stolperstein erweisen, da jedes Vorhaben ein Eingriff ist und als Verschlechterung des Status Quo klassifiziert werden kann.

Nach einer neuen Konsumentenrechterichtlinie können delegated acts verlangen, dass Unternehmen auf ihrer Website detailliert offenlegen, woher die Orangen eines nachhaltigen Safts kommen und wieviel die Bauern dort verdienen. Last but not least kommt auch noch der von den Europäern einseitig verhängte Klimazoll dazu. Wenn er kommt, muss ich den genauen CO2-Fußabdruck eines importierten Nagels nachweisen können. Momentan müssen die Firmen das bereits erheben und melden, aber noch nicht bezahlen.

„Last but not least kommt auch noch der von den Europäern einseitig verhängte Klimazoll dazu. “

Stephan Schwarzer

Wie könnte man diese ausgeartete Berichterstattung Regulierung reduzieren?

Im Grunde würde der CO2-Emmissionshandel alles abdecken. Der sorgt dafür, dass ich für jede Tonne CO2 ein Zertifikat haben muss. Die Anzahl der Zertifikate wird jedes Jahr geringer. Damit wird z. B. ein Auto mit hohem CO2-Ausstoß automatisch irgendwann teurer. Es genügt dieses marktwirtschaftliche Instrument, um Nachhaltigkeit zu regeln.

In Österreich gibt es nun mit Sepp Schellhorn einen Deregulierungs-Staatssekretär – was ist denn von einer solchen Position zu erwarten?

Mitte der 1990er-Jahre gab es eine Deregulierungskommission, die im Anlagenrecht große Erleichterungen gebracht hat. Früher gab es ein Genehmigungsverfahren für alle – egal, ob Hochofen oder Würstelstand. Es ist dieser Kommission zu verdanken, dass nun differenziert wird und je nach Komplexität kein Verfahren oder ein vereinfachtes Verfahren möglich ist oder eben eine UVP notwendig wird. Auch an der Deregulierung unter Andrä Rupprechter habe ich mitgewirkt und hier kam es zu einer UVP-Novelle, die Erleichterungen gebracht hat.

Rechnen Sie damit, dass die regulatorische Belastung trotz der Entbürokratisierungs-Bemühungen der EU-Kommission in den nächsten Jahren steigen wird?

Sie wird jetzt vielleicht langsamer steigen, aber ich sehe keine Trendwende bei der Bürokratie, ich sehe keinen Rückbau. Viele Regulierungen sind noch im Aufbau.

Wasserstoff gilt als Zukunftshoffnung – hat die EU hier bereits die Regulierung hochgefahren?

Seit 2019 gibt es hunderte Seiten an restriktive Wasserstoffrechtsakten, die mehr ausschließen als erlauben. Die Kommission ist nun draufgekommen, dass das gestrafft gehört. Damit wurde aber bereits fünf Jahre lang die Wasserstoffentwicklung gebremst. Das betrifft auch die E-Fuels, ein wichtiger Puzzlestein in der Transformation. Die EU schreibt in delegated acts vor, dass E-Fuels nur aus Ländern importiert werden können, die einen CO2-Emissionshandel wie die EU haben. Es gibt aber keine Länder, die so einen CO2-Emissionshandel haben. Mit einem einzigen Paragrafen hat man einen wichtigen Technologiestrang beinahe stranguliert, das müsste man schleunigst korrigieren.

Zur Person

Stephan Schwarzer ist Experte für Umwelt- und Energierecht und hat im Umweltministerium gearbeitet, bevor er Leiter der Umweltrechtsabteilung der Wirtschaftskammer wurde. Seit 2021 ist Schwarzer Geschäftsführer der e-Fuel-Alliance in Österreich.