– Interview von Stephan Frank und Christoph Hofer
Die Handelseinigung mit den USA stellt einen schmerzhaften Kompromiss dar, positiv ist jedoch, dass „eine weitere Eskalation vorerst verhindert werden konnte“, erklärt IV-Handelsexpertin Anna Reindl. Sie betont die Notwendigkeit einer offenen und proaktiven EU-Handelspolitik sowie den Abschluss neuer Handelsabkommen, wie etwa mit dem Mercosur-Raum: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Der Abbau innerer Handelsbarrieren innerhalb der EU zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sei zudem „das Gebot der Stunde“, so Reindl.
Wie schlecht ist das neue EU-US-Abkommen mit einem neuen 15 %-US-Basiszollsatz für die EU? Müssen wir nun mit einem weiteren Rezessionsjahr in der EU rechnen?
Anna Reindl: Mit dieser Vereinbarung konnte eine weitere Eskalation vorerst verhindert werden, das ist grundsätzlich gut. Dennoch bleibt das ein schmerzhafter Kompromiss. Auch wenn die Zölle grundsätzlich etwas geringer als angedroht ausfallen, Zölle bleiben Zölle. Die angekündigten 15 % sind für eine stark exportorientierte Volkswirtschaft wie Österreich weiterhin kritisch, auch wenn es Ausnahmen für ausgewählte Bereiche geben soll. Man darf in diesem Sinne auch nicht vergessen, dass die USA nach Deutschland unsere zweitwichtigste Warenexportdestination sind.
Besonders problematisch sind die weiterhin bestehenden Stahl- und Aluminiumzölle in Höhe von 50 %. Im vergangenen Jahr beliefen sich heimische Exporte in die USA hier auf rund 1 Mrd. Euro. Inwiefern eine Lösung betreffend des aktuell geltenden Quotensystems in diesem Bereich getroffen werden kann, ist noch offen. Das Abkommen muss jedenfalls ein Startpunkt sein, um weiter zu verhandeln und Zölle abzubauen. Das oberste Ziel ist und bleibt ein transatlantisches Freihandelsabkommen.
Zuletzt wurden Waren im Wert von 16,2 Mrd. Euro (2024) in die USA exportiert – die USA sind, wie Sie schon erwähnten, unser zweitwichtigster Handelspartner nach Deutschland. Was bedeutet die getroffene Vereinbarung und die vereinbarten Zollsätze konkret für Österreichs Wirtschaft?
Aktuell liegt uns nur eine politische Absichtserklärung vor, wesentliche Fragen sowie Details sind daher noch offen, welche rasch geklärt werden müssen. Vor diesem Hintergrund sind die konkreten Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft aktuell noch schwer einzuschätzen.
Fakt ist, die geltenden Zölle treffen wesentliche österreichische Exportsegmente. Wenn wir uns Autos und Autoteile ansehen, dann sind österreichische Warenexporte von rund 2,8 Mrd. Euro von den geltenden US-Zöllen – aktuell noch bei 27,5 % – betroffen. Bei Stahl und Aluminium sind es wie genannt ca. 1 Mrd. Euro an heimischen Exporten. Auch Pharmazeutika gehören zu den wesentlichsten österreichischen Exporten in die USA – hier sprechen wir von einem Exportvolumen von ca. 4,5 Mrd. Euro. Autos sollen ersten Informationen zufolge nun mit einem reduzierten Zollsatz von 15 % (anstatt der bisherigen 27,5 %) belegt werden. Das gleiche gilt auch für Pharmazeutika, für welche aktuell noch keine Zölle fällig sind. Denn Pharmazeutika sowie auch einige andere Sektoren sind Teil der „Section-232 Untersuchung“ des US-Handelsministeriums.

Wie sehr kann der „Deal“ die EU-Mitgliedstaaten spalten? Der französische Premier Bayrou nennt es eine „Unterwerfung“? Aber auch deutsche Vertreter sind nicht unbedingt zufrieden damit.
Dass der Druck innerhalb der EU immer größer wird, hat man in den vergangenen Tagen bereits beobachten können. Die unterschiedlichen Meinungen in den Mitgliedsstaaten treten jetzt hervor. Viktor Orbán nennt es eine Kapitulation, Bayrou eben eine Unterwerfung. Die kommenden Tage, besonders hinsichtlich der von US-Präsident Trump festgesetzten Deadline (1. August) werden entscheidend, um Details bekanntzugeben und offene Fragen hinsichtlich des weiteren Wegs zu klären.
Sowohl Japan als auch das Vereinigte Königreich scheinen eine bessere Einigung erreicht zu haben. Zumindest war das öffentliche Echo auf das Verhandlungsergebnis deutlich positiver. Hätte die EU-Kommission sofort mit schmerzhaften Gegenzöllen reagieren und „Zähne zeigen“ sollen? War die Verhandlungsstrategie unglücklich gewählt?
Wenn man sich etwa das Vereinigte Königreich ansieht, so waren diese am schnellsten mit einem Abkommen und sind auch bisher die Einzigen, die tatsächlich einen schriftlichen Vertrag vorliegen haben. Dennoch gibt es einen US-Basiszollsatz von 10 %, der bleiben wird. Wichtig zu erwähnen ist auch, dass das Vereinigte Königreich ein Warenhandelsbilanzdefizit mit den USA hat, keinen Überschuss wie die EU. Das ist für US-Präsident Trump ein zentrales Argument. Für Japan liegt noch kein schriftlicher Vertrag vor. Wir wissen aber, dass auch Japan einen US-Basiszollsatz von 15 % haben wird, welcher Autos umfasst – genau wie bei der EU.
Wir sollten jetzt nicht über mögliche andere Verhandlungsstrategien der EU nachdenken. Zentral ist, dass eine Grundsatzvereinbarung zwischen der EU und den USA erzielt wurde, und somit eine weitere Eskalation vorerst verhindert werden konnte. Ich habe es bereits erwähnt, was wir jetzt brauchen, sind Details sowie die rasche Klärung der offenen Fragen. Natürlich wird man den EU-US-Deal dann im Detail erneut bewerten müssen, auch in Zusammenhang mit den anderen bestehenden Vereinbarungen sowie deren Details. EU-Gegenzölle müssen immer mit Vorsicht abgewogen werden, denn es geht darum, die europäische Industrie nicht zusätzlich überbordend zu belasten.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ist letzte Woche von dem verkürzten EU-China-Gipfel ohne große Einigung in Handelsfragen zurückgekehrt, wenige Tage darauf jetzt diese Schmach bei Trump. Ist das außen- und handelspolitische Gewicht der EU nicht so groß wie gedacht?
Die EU gehört zu den größten Handelsmächten der Welt. Ja, sie steht vor Herausforderungen, aber gerade jetzt muss sie diese Position weiterhin ausbauen und stärken. Denn in Zeiten einer protektionistischen, unberechenbaren US-Handelspolitik, geopolitischer Herausforderungen sowie konjunktureller Schwäche in Europa ist eine starke und offene EU-Handelspolitik wichtiger denn je. Das gilt vor allem für den Abschluss und die Umsetzung von Freihandelsabkommen. Ich möchte in dieser Hinsicht vor allem Mercosur erwähnen. Mit den Staaten dieser Region liegt eigentlich ein fertiges Abkommen vor. Wann, wenn nicht jetzt?
„Der Abbau EU-interner Handelsbarrieren wäre nun das Gebot der Stunde“
Anna Reindl
Auch zwischen den EU-Mitgliedstaaten gibt es weiterhin Handelshemmnisse, könnte ein Abbau dieser Hindernisse den Verlust an US-Exporten eventuell ausgleichen?
Die EU muss die eigenen Hausaufgaben machen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Das gilt einerseits nach außen, im Sinne einer offenen und starken Handelspolitik. Andererseits gilt dies nach innen, im Sinne einer Vertiefung des europäischen Binnenmarkts. Denn nicht-tarifäre Handelsbarrieren wirken im EU-Binnenmarkt teilweise wie Zölle. Bei Dienstleistungen sind es mehr als 100 % – aber auch im Warenbereich machen diese rund 44 % aus. Diese abzubauen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit durch einen vertieften Binnenmarkt zu stärken, wäre jetzt das Gebot der Stunde.
Die EU will im Rahmen des „Deals“ mit den USA pro Jahr um 250 Mrd. Dollar Energie (LNG, Öl und Nuklearbrennstoff) von den USA kaufen – hauptsächlich aber wohl LNG. Ist es geostrategisch klug, sich nach der Abhängigkeit von russischem Gas in die Abhängigkeit von teurem, amerikanischem Gas zu begeben?
Diese Energiekäufe sowie auch weitere Investitionszusagen sind politische Zusagen, die sehr viele Fragen aufwerfen. Diese Fragen müssen durch Vorlage weiterer Details beantwortet werden.
Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr denkt als Reaktion auf diesen „Deal“ eine WTO-minus-1 an, also eine Welthandelsorganisation von allen, außer den USA. Ist es realistisch, dass neben der WTO eine zweite Organisation aufgebaut werden kann oder wäre eine Reform der WTO die Gewinn bringendere Variante?
Es braucht gerade jetzt die Stärkung des multilateralen, regelbasierten Handelssystems inklusive der USA, sowie auch China und Indiens. Eine Alternative zur WTO ohne zentrale Akteure, wie den USA, ist schwer vorstellbar und kann auch nicht zielführend sein. Denn die Bedeutung der WTO als Hüterin des regelbasierten, multilateralen Handelssystems wird auch in Zukunft trotz der zahlreichen Herausforderungen weiterhin bestehen bleiben. Es bleibt vor diesem Hintergrund jedoch unbestritten, dass dringend notwendige Reformen, angepasst an die aktuellen Gegebenheiten, rasch umgesetzt werden müssen.
Zur Person
Anna Reindl ist Referentin für Internationale Beziehungen & Märkte in der Industriellenvereinigung. Zuvor war die ausgebildete Diplomatin als Beraterin für EU- und Handelspolitik im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft tätig.