Stefan Bruckbauer ist Chefökonom der UniCredit Bank Austria © UniCredit Bank Austria / Montage: Selektiv
Stefan Bruckbauer ist Chefökonom der UniCredit Bank Austria © UniCredit Bank Austria / Montage: Selektiv
Interview

Bruckbauer: „Deutschland performt in den letzten Jahren schlechter als Österreich“

Das Jahr hat stark begonnen, dann kam über den Sommer ein Dämpfer für die heimische Wirtschaft. Unterm Strich wird sich heuer ein kleines Wirtschaftswachstum ausgehen, aber das Potenzialwachstum bleibt mittelfristig niedrig. „Wir können den Rückgang des Potenzialwachstums durch die Demografie in den nächsten 10 Jahren ausgleichen, indem jeder Beschäftigte in Österreich pro Jahr um 50 Stunden mehr arbeitet“, sagt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria. Noch schwächer als Österreich habe sich in den vergangenen Jahren aber Deutschland entwickelt und auch auf den bevorstehenden Strukturwandel Richtung IT und Künstliche Intelligenz sei Österreich besser vorbereitet. „Die österreichische Industrie hat in den letzten 25 Jahren besser performt als die deutsche Industrie, weil sie sich schneller in diese neue Welt, in der man nur ein Teil der großen Wertschöpfung ist, eingelebt hat.“

In den vergangenen Wochen gab es recht unterschiedliche Meinungen dazu, ob man nun schon von ersten Zeichen eines Aufschwungs sprechen kann oder ob sich die Stimmung eher wieder eintrübt. Welches Bild zeichnet der aktuelle Bank Austria Konjunkturindikator?

Stefan Bruckbauer: Das hängt sehr vom Bereich ab. In der Bauwirtschaft sieht man noch immer eine Krisensituation, es gibt aber auch Industriebereiche, die durchaus Zeichen der Erholung erkennen lassen – Pharma und Elektronik etwa. Das Jahr war sehr durchwachsen. Zu Beginn hat sich Optimismus aufgebaut, der dann über den Sommer vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich zurückgegangen ist. Zum Jahresende sehen wir in unserem Indikator, dass es wieder nach oben geht. Die Stimmung wird besser, aber verglichen mit dem langjährigen Durchschnitt sind wir unterdurchschnittlich. In einer Rezession sind wir heuer gesamt betrachtet nicht mehr – wir hatten in jedem Quartal ein leichtes Plus und in Summe werden es Plus 0,3 % sein. Das ist kein Aufschwung, aber auch keine Rezession.

Was hat diesen Dämpfer zum zweiten Halbjahr verursacht?

Die Zoll-Ankündigungen der USA haben da sicher einen Beitrag geleistet. Die Erwartungen, also der Blick in die Zukunft, sind vor allem zurückgegangen. Und die Exportaufträge schrumpfen immer noch. Das hat auch mit den hohen Kosten und der Euro-Verteuerung zu tun. Dieser Pessimismus scheint sich jetzt aber wieder ein Stück zu lösen. Man lernt offenbar, mit den schwierigen Bedingungen zu leben. 

Gar nicht gut sieht es aber auch in der Bauproduktion aus, die gar nicht von der Zollpolitik Trumps abhängig ist.

Sie ist nur indirekt abhängig, wenn dadurch Unternehmen aus der Exportwirtschaft ihre Standorte nicht ausbauen. Für den Wohnbau und den Tiefbau spielt das aber keine Rolle. Die Datenlage beim Bau ist nicht einfach. Die Produktion zeigt eine Stagnation und die Wertschöpfung ist deutlich negativ. Die Kostensteigerungen konnten nur teilweise weitergegeben werden und dementsprechend sind die Gewinne zurückgegangen, obwohl gebaut wird. Eine Rolle spielt auch, dass die Investitions-Ankündigung aus Deutschland zu viel Optimismus ausgelöst hat. Die Realität sieht anders aus. Das Budget wurde eben erst beschlossen und Ausschreibungen gibt es noch keine. Das wird frühestens 2026 starten und dadurch hat sich der Optimismus wieder etwas eingebremst. In Österreich selbst ist das Problem vor allem der Tiefbau. Durch die Budgetbeschränkungen, vor allem auf kommunaler Ebene, ist dieser Bereich zurückgegangen. Im Hochbau, vor allem im Wohnbau, sehen wir wieder mehr Finanzierungen. Konkret haben wir sogar doppelt so viel Finanzierungsvolumen im Neugeschäft als noch vor einem Jahr. Es sollte also auch in der Bauwirtschaft besser werden, die ganz wesentlich für die Konjunkturschwäche in Österreich verantwortlich war. 

Weiterhin verhalten bleibt die Situation in der Industrie. In welchen Bereichen ist die Schwäche besonders deutlich und warum?

Die österreichische Industrieproduktion wird wahrscheinlich das Jahr positiv beenden, also mit einer Steigerung. Getrieben wird das von Pharma, Elektronik und Metallerzeugung, die im Jahresvergleich im Plus waren. Andere Bereiche, wie Kfz oder Baustoffe, sind deutlich im negativen Bereich und der Maschinenbau stagniert. Anders sieht es jedoch bei der Profitabilität und der Ertragssituation der Unternehmen aus. Die hohen Kosten der letzten Jahre sind am Markt nicht durchsetzbar, speziell im Export. Wir haben in der Industrie eine Lohnquote, die fast 10 Prozentpunkte über Normal liegt und damit die Gewinnquote 10 Prozent unter Normal. Das drückt die Stimmung und die Investitionsbereitschaft.

Wie entwickelt sich der Dienstleistungsbereich?

Der ist im Wesentlichen verantwortlich für das Wachstum, aber auch da muss man genau hinschauen. Vor allem der öffentliche Bereich baut Beschäftigung auf – der hat aber kein Margenthema, also ist Beschäftigung gleich Wertschöpfung. Im Dienstleistungsbereich gibt es aber auch bei KI und Software Dynamik. Der Handel hat hingegen große Schwierigkeiten, die Einzelhandelsumsätze stagnieren real, auch wenn die letzten Zahlen positiv waren. Der Fremdenverkehr ist geprägt von Rekordnächtigungen, aber bei weitem nicht auf dem Niveau der Wertschöpfung von 2019. Die Leute kommen, geben aber weniger Geld aus. 

Sehen Sie dieses Wachstum vor allem im öffentlichen Bereich auch als Problem oder Gefahr? In den letzten Wochen gab es immer wieder Kritik am „fetten“ oder „aufgeblähten“ Staat. 

Die Gefahr liegt vor allem in den Grenzen der Finanzierbarkeit. Wir sind weit weg von Griechenland, aber man kann nicht unendlich Schulden machen. Das heißt, man muss diese öffentlichen Dienstleistungen finanzieren und das tut man über Belastungen für Unternehmen und Haushalte. Das hemmt Investitionen und private Nachfrage. Es gibt aber wesentliche öffentliche Bereiche, die Vorleistungen für die Wirtschaft sind. Ausbildung, Kindergärten oder ganz allgemein die Betreuung, egal ob Kinder oder Ältere. Es ist wichtig, dass das professionell gemacht wird, damit die Menschen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Und das ist derzeit der Haupttreiber dieser öffentlichen Ausgaben. 

Österreich ist auch sehr abhängig von der wirtschaftlichen Situation in Deutschland. Die entwickelt sich derzeit aber schlechter als bei uns. Deutschland wird uns wohl kaum aus der Misere ziehen?

Deutschland wird uns vielleicht gegen Ende 2026 oder 2027 ein bisschen helfen, aber es ist klar: wir hängen da voll drinnen. Deutschland ist unser wichtigster Exportmarkt, doppelt so wichtig wie die USA. Deutschland hat in den letzten Jahren mit billiger Energie aus Russland einen Grundstoffsektor ausgebaut, wo es jetzt einen Bruch gibt, der auch nicht so schnell lösbar sein wird. Dann hat man sich stark nach China orientiert. Man hat also gesagt, okay, wir produzieren am Standort super Wertschöpfung und verkaufen die dann nach China. Der Markt ist mehr oder weniger weggebrochen und auch das belastet. Kfz, Chemie – das sind die Industrien, die in Deutschland die letzten 40 Jahre an der Spitze standen. Dort fand die Innovation statt, die Forschung und die Wertschöpfung. Das bleibt, wird aber relativ gesehen an Bedeutung verlieren gegenüber dem KI-Technologie-Bereich. Dort haben wir auch gute Unternehmen in Deutschland und Europa, sind aber weit weg von den Möglichkeiten in Amerika. Wir haben nur 8 Prozent der weltweiten Forschung und Entwicklung im Technologie-Bereich, aber in Kfz haben wir fast 50 Prozent. Dieser Strukturwandel trifft Deutschland massiv. Deshalb performt Deutschland in den letzten Jahren schlechter als Österreich, weil wir in diesem Bereich etwas smarter waren. Wir haben nur ein Drittel so viel Kfz-Industrie zum Beispiel. Wir sind flexibler und das hat uns geholfen. Aber wir hängen natürlich an der deutschen Industrie und wenn sie diese Transformation nicht schafft, dann werden auch wir Probleme haben. 

Sind wir in Österreich auf diesen Strukturwandel in Richtung IT, Hightech, Künstliche Intelligenz besser vorbereitet als Deutschland?

Wir haben nicht so viel Grundstoffindustrie, was den Strukturwandel bei uns geringer hält. Österreichische Unternehmen sind es gewohnt, als Zulieferer flexibel zu sein, auch in Nischenmärkten. Auch die Qualität der Arbeitskräfte hilft uns. Ich glaube also schon, dass wir eine Nuance besser aufgestellt sind als Gesamtdeutschland, auch wenn das sicher nicht für alle Regionen gilt. Die österreichische Industrie hat in den letzten 25 Jahren besser performt als die deutsche Industrie, weil sie sich schneller in diese neue Welt, in der man nur ein Teil der großen Wertschöpfung ist, eingelebt hat. Die Beschäftigung in der österreichischen Industrie ist in den letzten 25 Jahren gestiegen, in Deutschland hat sie sich um ein Drittel reduziert. Jetzt allerdings stehen wir vor großen Herausforderungen durch den hohen Kostenanstieg.  

Wo liegen die Chancenfelder in der Produktion in Europa und Österreich? Was können wir auf- und ausbauen, um die Bereiche schrumpfender Industrieproduktion auszugleichen? 

Im Grunde wissen wir das nicht so genau. Der technologische Wandel ist so dynamisch und stark, dass er sehr schwer einzuschätzen ist, vor allem auf der Makroebene. Ich glaube, dass die Flexibilität unsere Chance ist. Wir haben gelernt, uns am Weltmarkt smart anzupassen. Wir haben vielleicht nicht immer die großen Erfindungen gemacht, aber wir haben technologische Entwicklungen sehr smart angewendet. Da sehe ich auch unsere Chance bei KI. Wenn sie billiger ist und einfach anzuwenden, kommt unsere Stärke zur Geltung. Nämlich die Facharbeiter, die in der Umsetzung diese KI in Dienstleistungen und Produkte oder Prozesse einbauen. 

Christoph Badelt meint, dass noch die übernächste Regierung sparen muss. Gleichzeitig bleibt das Potenzialwachstum mittelfristig unter einem Prozent. Haben wir überhaupt eine Perspektive auf einen Wirtschaftsturbo in den kommenden Jahren?

Das Potenzialwachstum leidet unter der demografischen Entwicklung. Wir können das aber ändern, indem wir einfach mehr arbeiten. Wir können den Rückgang des Potenzialwachstums durch die Demografie in den nächsten 10 Jahren ausgleichen, indem jeder Beschäftigte in Österreich pro Jahr um 50 Stunden mehr arbeitet. Das ist nicht extrem viel. Wenn wir es also schaffen, dass diejenigen, die jetzt nicht voll arbeiten, ihre Stundenzahl erhöhen – weil es auch für sie etwas bringt – dann können wir den Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung ausgleichen und das Wachstum erhöhen. Der zweite Teil des Potenzialwachstums ist die Produktivität und da wird uns die KI helfen. Wir sollten also nicht so pessimistisch sein.