Barbara Eibinger-Miedl ist Staatssekretärin im Finanzministerium © BKA/Andy Wenzel
Barbara Eibinger-Miedl ist Staatssekretärin im Finanzministerium © BKA/Andy Wenzel
Interview

Eibinger-Miedl: „Unbefriedigende Situation“ bei Defizit-Prognosen

Interview von Sara Grasel und Stephan Frank

Barbara Eibinger-Miedl ist ÖVP-Staatssekretärin im roten Finanzministerium und war davor Wirtschaftslandesrätin in der Steiermark – sie wisse daher, welche Themen Unternehmen beschäftigen. Dass eine Industriestrategie nun dennoch auf sich warten lässt, liege daran, dass sich nun drei Parteien darauf verständigen müssen, „was die grundlegende Stoßrichtung für Österreich als Industrieland sein sollte“. „Große Spielräume“ sieht sie jedenfalls vorerst nicht, Entlastungen wie eine Senkung der Lohnnebenkosten könne es frühestens ab 2027 geben. Im Interview geht es außerdem um das Budgetdefizit, ineffiziente Fördermaßnahmen und eine Föderalismusreform.

Über den derzeitigen Budgetverhandlungen schwebt das wohl unvermeidbare EU-Defizitverfahren. Führt daran noch ein Weg vorbei?

Eibinger-Miedl: Die Entscheidung darüber liegt in den Händen der EU-Kommission. Wir haben die Zahlen jetzt nach Brüssel gemeldet und der Ecofin-Rat wird Ende Juni oder Anfang Juli darüber befinden, ob gegen Österreich ein Verfahren wegen übermäßigem Defizit eingeleitet wird. Im Jahr 2024 haben wir ein Budgetdefizit von 4,7 Prozent verzeichnet – nochmals deutlich schlechter als erwartet. Man muss die Zahlen für 2024 so akzeptieren, wie sie sind. Wir arbeiten auf Hochtouren an Einsparungsmaßnahmen, aber wir haben schon fast Mai. Auch aufgrund der fortgeschrittenen Zeit lautet die aktuelle Prognose für heuer -4,5 Prozent. Wenn man sich den Abstand ansieht, wie viel für ein Erreichen der Maastricht-Grenze von -3,0 Prozent notwendig wäre, dann wäre das für heuer auch mit den härtesten Maßnahmen unrealistisch. Wir sind auf ein ÜD-Verfahren vorbereitet und glauben, dass wir damit sehr gut umgehen können.

Wird das ÜD-Verfahren in der gleichen Sekunde des Beschlusses im Juli schlagend?

Der Beschluss würde bedeuten, dass es dann einmal offiziell eröffnet ist, so wie gegen acht andere Länder auch. Im Herbst – voraussichtlich im Oktober – würden wir mit der EU-Kommission in tiefere Gespräche eintreten und den Sanierungspfad Österreichs aufzeigen.

Im Regierungsprogramm haben die Parteien festgehalten: „Uns eint jedenfalls das Ziel, ein Defizitverfahren zu verhindern.“ Ist das der erste Fehlschlag der Regierung?

Man hat immer aufgrund der jeweiligen Datenlage entschieden und sich Ziele vorgenommen. Es ist für mich auch eine sehr unbefriedigende Situation gewesen, den gesamten März über im Wochenabstand unterschiedliche Prognosen zu bekommen, wo wir beim Budgetdefizit liegen. Erst seit Ende März wissen wir, dass es tatsächlich -4,7 Prozent sind. Sollte ein ÜD-Verfahren verhängt werden, bleibt es unser Ziel, so rasch wie möglich wieder herauszukommen.

Der Fiskalrat schätzt etwa, dass das Sparpaket nur 4,2 Mrd. Euro ergeben wird – nicht 6,4 Mrd. Euro.

Der Fiskalrat hat das nur anhand der bekannten Maßnahmen beurteilt. Wir arbeiten daran, dass wir auf die 6,4 Mrd. Euro kommen.

Was wären denn weitere Maßnahmen? Das Gratis-Klimaticket für Unter-18-Jährige wird zwar gestrichen, aber wird auch das Klimaticket an sich angefasst? Laut Fiskalrat gehört es zu einer der ineffizientesten Klima- und Umweltförderungsmaßnahmen.

Das kann ich im Detail nicht sagen und liegt auch im Bereich eines anderen Ministeriums. Für mich ist jedenfalls wichtig, dass es mit den 6,4 Mrd. Euro nicht erledigt sein kann, sondern dass wir sehr rasch auch andere Reformen angehen. Hier ist beispielsweise die Einrichtung einer Förder-Taskforce angedacht, wo wir auch seitens des Finanzministeriums uns die Effizienz und die Effektivität aller Förderungen anschauen.

Ist diese Förder-Taskforce bereits im Amt oder wird diese erst eingesetzt werden?

Wir konzentrieren uns jetzt auf das Doppelbudget und die Budgetrede am 13. Mai. Wenn wir das unter Dach und Fach haben, dann werden wir den nächsten Schritt gehen.

Zählt für Sie zum Beispiel die geringere Besteuerung von Diesel, also das Dieselprivileg, als „Förderung“, die man zurückfahren muss?

Ich bin dafür, dass man sich alle Bereiche anschaut – und zwar ohne Tabu. Es wird sicher das eine oder andere Ringen um die konkreten Maßnahmen innerhalb der Koalition geben, aber wenn nicht jetzt, wann dann?

Das heißt, das Dieselprivileg ist nicht in Stein gemeißelt?

Für mich ist klar, dass ich mir alles anschauen möchte.

Schafft es neue Spielräume, wenn in einem EU-Defizitverfahren das notwendige Sparvolumen geringer ist?

Wir müssen das Budget so schnell wie möglich in Ordnung bringen. Ich möchte das ÜD-Verfahren nicht nutzen, damit wir uns mehr Zeit lassen können.

Also keine Spielräume?

Wenn wir davon reden, dass wir heuer ein Defizit von ungefähr 4,5 Prozent machen: Nein, wir haben keine großen Spielräume.

„Nein, wir haben keine großen Spielräume.“

Barbara Eibinger-Miedl

Finanzminister Marterbauer spricht gerne von den breiten Schultern, die mithelfen müssen, das Budget zu sanieren. Diese breiten Schultern sind bisher die Energieunternehmen und die Banken. Müssen sich weitere Branchen Sorgen machen, dass Sonderabgaben auf sie zukommen?

Meine Fraktion hat immer gesagt, wir haben kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem. Wir haben eine der höchsten Steuerquoten. Auch im europäischen Vergleich sind wir auf Rang 2. In dieser herausfordernden Situation sind wir den Kompromiss eingegangen, temporär auch auf der Einnahmenseite zu erhöhen.

Die SPÖ hingegen macht keinen Hehl aus dem Wunsch nach Vermögensteuern. Können Sie Vermögensteuern für die gesamte Legislaturperiode ausschließen?

Meine Fraktion hat sicherlich kein Interesse an Vermögensteuern und keine Freude mit Vermögensteuern.

Ist damit zu rechnen, dass die Grundsteuer erhöht wird?

Auch das ist noch Verhandlungssache. Ich kann nicht einzelne Themen herausnehmen. Wir haben gesagt, wir müssen 6,4 Milliarden Euro heuer und nächstes Jahr sogar über 8 Milliarden Euro einsparen. Wir werden spätestens bei der Budgetrede am 13. Mai das ganze Paket vorlegen, wo das dann ein Punkt sein könnte. Für die Budgetbegleitgesetze erfolgt der Beschluss noch vor dem Sommer.

Unternehmen hoffen stark auf eine Senkung der Lohnnebenkosten. Die wurde frühestens ab 2027 in Aussicht gestellt. Finanzminister Marterbauer hat das in einem Interview aber weiter relativiert – ohne Gegenfinanzierung soll eine Senkung auch nach 2027 nicht drin sein. Wie realistisch ist eine Senkung?

Ich kann nur sagen, wir arbeiten hart daran. Es ist für uns ein großes Ziel. Der Bereich der Personalkosten schränkt unsere Wettbewerbsfähigkeit international stark ein. Wir müssen hier irgendeine Entlastung zustande bringen. Es war bei den Regierungsverhandlungen aber klar, mit dem Doppelbudget für 2025 und 2026 haben wir keinen Spielraum. Das heißt eben frühestens 2027.

Ein großes Problem für die Konjunktur ist die Konsumzurückhaltung. Wie kann man der Bevölkerung Zuversicht geben, wenn momentan die Spielräume so gering sind?

Ja in der Bevölkerung gibt es wirklich Unsicherheit und Sorgen. Dabei wäre es wichtig, dass die Konjunktur wieder anspringt. Ein zartes Pflänzchen sehen wir schon im Tourismus. Und die Prognosen weisen in die Richtung, dass auch andere Bereiche wieder anziehen werden.

Gut für die Wertschöpfung wäre es, wenn die Industrie anziehen würde. Jetzt soll bis Jahresende eine Industriestrategie entwickelt werden. Die Industrie ist im dritten Rezessionsjahr – die Probleme und Lösungen liegen wirklich am Tisch. Ist das nicht ein bisschen Augenauswischerei, jetzt mit der Ausarbeitung einer Strategie bis Jahresende zu beginnen?

Ich war acht Jahre Wirtschaftslandesrätin der Steiermark und ich weiß, dass die Unternehmen ein Thema haben mit den Energiekosten, mit den Personalkosten und mit der Bürokratie. Das sind die drei Hauptpunkte, die immer wieder genannt werden. Das Energiethema ist in Arbeit. Ich bin bei Ihnen, das muss so schnell wie möglich sein. Aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass man sich in dieser neuen Konstellation mit drei Parteien, die für die nächsten fünf Jahre gewählt sind, noch einmal darauf verständigt, was die grundlegende Stoßrichtung für Österreich als Industrieland sein sollte.

Österreich hat mit 31,6 Prozent Sozialausgaben gemessen am BIP den größten Sozialstaat der OECD. Da kann man sicher auch stolz drauf sein, aber wird man hier einsparen müssen?

Ja, wir müssen alle Systeme anschauen. Wir schauen, dass wir Anreize setzen, dass Menschen länger arbeiten. Es gibt Überlegungen, den Zuverdienst in der Regelpension zu begünstigen. Wir befinden uns auch gerade in der Anpassung des Frauenpensionsalters von 60 auf 65 Jahre. Potenziale gibt es auch im Gesundheits- und Pflegebereich oder auch der Bildung. Es geht um mögliche Ineffizienzen im System.

Nun wird die Schwerarbeiterregelung für die Pflege geöffnet. Hier geht es genau darum, früher in Pension gehen zu können. Ist das nicht von der Signalwirkung her das genaue Gegenteil?

Die Schwerarbeiterpension wird momentan sehr stark von Männern auch in der Industrie in Anspruch genommen. Wenn man in Pflegeheimen vor Ort ist – und ich habe das auch in den vergangenen Jahren in der Steiermark vielfach gemacht – dann sieht man, dass die Arbeit, die dort geleistet wird, zu Recht als Schwerarbeit eingeordnet wird. Es ist eine körperliche, aber auch eine psychische Belastung. Wir haben dort nachweislich auch höhere Burnout-Raten. Ich bin dafür, dass man schaut, dass man Menschen möglichst lange in Beschäftigung hält. Es ist aber auch eine Frage der Gerechtigkeit, dorthin zu schauen, wo die Menschen wirklich schwerste Arbeit leisten.

Die Neos haben die Öffnung der Schwerarbeiterregelung als Teil eines Pakets bezeichnet, um das Pensionssystem nachhaltiger finanzieren zu können. Das soll „demnächst“ vorgestellt werden. Was kommt da genau und wann?

Da müssen Sie bei den Neos nachfragen, was sie konkret gemeint haben. Laut Regierungsprogramm geht es vor allem darum, das faktische Pensionsarbeitsalter anzuheben. Menschen einen Monat länger in der Beschäftigung zu halten, würde uns rund 200 Millionen Euro pro Jahr für das Budget bringen. Das ist ein gewaltiger Hebel.

Was wären die konkreten Ideen, wie das faktische an das gesetzliche Pensionsantrittsalter herangeführt werden kann?

Einerseits wird uns da glaube ich ein großer Schritt gelingen mit dem Frauenpensionsantrittsalter, das jetzt schon sukzessive angehoben wird.

Aber das ist ja schon in Kraft derzeit.

Da sind wir gerade mittendrin. Erste Untersuchungen zeigen hier, dass Frauen wirklich länger im Job bleiben und nicht frühzeitig arbeitslos werden.

Das wäre doch ein super Argument, um das allgemeine Pensionsantrittsalter anzuheben.

Das steht momentan nicht zur Debatte, weil wir beim faktischen Pensionsantrittsalter noch viel zu tun haben. À la longue wird man sich aber auch die Anhebung des allgemeinen Pensionsantrittsalters überlegen müssen.

„À la longue wird man sich auch die Anhebung des allgemeinen Pensionsantrittsalters überlegen müssen.“

Barbara Eibinger-Miedl

Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer hat dem Bund eine Reformpartnerschaft angeboten und auch Sie hatten bereits betont, dass es eine Reformpartnerschaft auf Bundesebene brauchen wird. Wie soll diese konkret ausschauen? Braucht es vielleicht nach über 20 Jahren ein neues Österreich-Konvent, um das zu erarbeiten?

Wie der Prozess oder das Gremium dann heißt, da würde ich mich nicht festlegen. Vielleicht ist es manchmal nicht gut, wenn man alte Begriffe wie den Österreich-Konvent wieder herausholt, aber Faktum ist: Wir müssen gemeinsam mit Bund, Ländern und Gemeinden die Systeme von Grund auf durchleuchten. Ich habe in der Steiermark die Reformpartnerschaft miterlebt und mitgestaltet. Ich weiß also, dass das ein hartes Stück Arbeit war, das sich aber auch ausgezahlt hat. Ich bin also sehr froh, dass Landeshauptmann Wilfried Haslauer als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz so starke Signale sendet und dass auch die Länder bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken. Wir brauchen auf Bundesebene eine Reformpartnerschaft, bei der sich die Parteien der Mitte zusammenfinden und gemeinsam bereit erklären, auch große Reformen anzugehen. Ich bin davon überzeugt, dass das nur mit einer breiten Mehrheit geht. Wir sind auf Bundesebene jetzt erstmals in einer Dreierkoalition und jetzt hätten wir genau diese politische Breite der Mitte und haben ein Zeitfenster, wichtige Reformen anzugehen.

Jetzt, wo die Wien-Wahl geschlagen ist, geht hier eben dieses Zeitfenster auf? Ist etwa eine Klausur oder ein Gipfel mit den Landeshauptleuten geplant?

Den 1. Bund-Länder-Gipfel hatten wir vor einigen Wochen im Bundeskanzleramt. Heute folgt der nächste Termin, wo neben Vertretern der Länder auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig dabei sein wird. Wir müssen das Zeitfenster jetzt gut nutzen.

Sie haben zu Beginn die sich laufend verschlechternden Budgetdefizit-Prognosen angesprochen. Vor allem die finanzielle Lage der Länder und Gemeinden war erst Monate im Nachhinein klar. Gibt es konkrete Pläne, wie das Reporting unterjährig verbessert werden kann, dass man eben nicht ex post überrascht wird, wo und wie viel Geld tatsächlich fehlt?

Wie bereits erwähnt war das für mich eine unbefriedigende Situation. Wir haben das Thema auch schon beim letzten Bund-Länder-Gipfel besprochen und wir möchten gemeinsam mit den Ländern zu einem Modus kommen, bei dem wir alle gemeinsam früher die Daten erhalten. Wir haben von den Ländern und Gemeinden durchwegs positive Signale erhalten, das Reporting der Budgets unterjährig zu verbessern und zu beschleunigen.

Es gab in diesem Kontext auch den Vorschlag des Koalitionspartners Neos, dass die Bundesländer die Steuerhoheit bekommen sollen. Können Sie dem Vorschlag etwas abgewinnen?

Ich würde viel lieber darüber reden, wo wir ausgabenseitig etwas einsparen können, bevor wir darüber nachdenken, wo und ob wir neue Steuern einheben können oder wie das Steueraufkommen erfolgen soll.

Die Stimmung und Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden scheint sich also gut zu entwickeln. Wie läuft denn die Zusammenarbeit innerhalb der Koalition und insbesondere mit Finanzminister Markus Marterbauer? Er wurde im Vorfeld nicht als Ministerkandidat gehandelt und seine Bestellung war wohl für alle eine Überraschung.

Ja, auch für mich. Als ich gefragt wurde, ob ich die Finanz-Staatssekretärin übernehmen will, wusste ich nicht, wer mein Finanzminister sein wird. Ich habe Markus Marterbauer tatsächlich erst am Tag der Angelobung kennengelernt. Wir sind sehr offen aufeinander zugegangen und haben sehr schnell eine gute Basis miteinander gefunden. Wir kommen aus ganz anderen Ecken mit ganz anderen Hintergründen, aber wenn man eine Grundsympathie hat und ein gemeinsames Zeil verfolgt – die Budgetkonsolidierung und den Wirtschaftsmotor wieder in Schwung zu bringen bekommen – dann kann man auch mit unterschiedlichen Sichtweisen die Dinge gut ausverhandeln und auf einen gemeinsamen Weg kommen.

Wenn man sich erst bei der Angelobung kennenlernt, geht man dann danach direkt in eine Besprechung oder geht man mal auf ein Bier? Wie nähert man sich da an?

Wir haben beschlossen, gleich nach der Angelobung gemeinsam zu Fuß vom Ballhausplatz ins Finanzministerium zu gehen. Da haben wir das erste Mal die Möglichkeit gehabt, ins Reden zu kommen und dann Termine vereinbart, wo wir sehr vertrauensvoll in Vier-Augen-Gesprächen die Themen durchgehen.