Anfang November führte Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer eine Wirtschaftsdelegationsreise in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) an. Aufgrund von zunehmendem US-Protektionismus und chinesischer Subventionspolitik müsse Österreich sich umorientieren: „Die VAE sind ein starker neuer Allianzpartner – unser Gateway zur Golfregion.“ Große Wachstumschancen gebe es in den Bereichen Maschinenbau und grüner Energie. Der kürzlich abgeschlossene OMV/Masdar-Deal bringe eines der größten europäischen Wasserstoff-Projekte nach Österreich. Vor Ort spüre man jedoch auch Kritik an Europa: „Wir müssen aufpassen, dass Europa im Welthandel keinen Platz an der Außenlinie zugewiesen bekommt.“ Österreich wird hingegen als „verlässlicher Partner und Tempogeber“ gesehen. Zur drohenden Einstellung der LNG-Lieferungen durch Katar warnt der Minister: „Wir können nicht länger mit Vollgas gegen die Wand steuern.“
Vor einer Woche fand eine große Wirtschaftsdelegationsreise in die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) statt. Es war dies bereits ihre zweite Reise in die VAE in sieben Monaten. Warum dieser Fokus auf die VAE?
Hattmannsdorfer: Gerade Österreich ist ein Land, das kaum wie ein anderes vom Außenhandel lebt. Wir verdienen sechs von zehn Euro im Export und gerade in Zeiten, wo es zu enormen geoökonomischen Verwerfungen kommt, brauchen wir starke Partner in der Welt. Wir merken, dass die Exportwirtschaft derzeit massiv unter Druck ist – wegen des massiven Protektionismus der USA, wegen der massiven Subventionspolitik Chinas. In dieser Situation müssen wir schauen, wo wir neue, starke Allianzpartner finden und ich sehe so einen starken neuen Allianzpartner in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nicht nur, weil wir schon 200 Unternehmen vor Ort haben, sondern weil wir auch im abgelaufenen Jahr – und das ist in Zeiten wie diesen schon beachtlich – ein Plus von 24,2 Prozent bei unseren Exporten zu verzeichnen haben.
Darüber hinaus sind die VAE ja nicht nur selbst ein relevantes Land, sondern auch so etwas wie die zentrale Plattform und Drehscheibe im Mittleren Osten. Das heißt über die VAE können wir die ganze MENA-Region (Middle East and North Africa) bedienen. Das ist unser Gateway zum Mittleren Osten, zur gesamten Golfregion.
Sie haben es schon angesprochen. 2024 erreichten die heimischen Exporte in die VAE einen Höchststand von 816 Mio. Euro (+ 24,2 Prozent). Zum Vergleich, die österreichischen Exporte in alle Mercosur-Staaten betrugen im selben Jahr rund 1,3 Mrd. Euro. In welchen Branchen gebe es für Österreich in Zukunft das größte Wachstumspotential in den VAE?
Alles im Zusammenhang mit dem Maschinen- und Anlagenbau. Der ganze Bereich Energie- und Umwelttechnologie sowie Infrastruktur bis hin zum Bahnbau. Das sind die Branchen, in denen wir bereits stark mit unseren Unternehmen aufgestellt sind und Hidden Champions stellen. Das massive Interesse der heimischen Unternehmen, kann man auch an der beeindruckenden Zahl der Teilnehmer der Wirtschaftsdelegationsreise erkennen. Einerseits die zwölf Unternehmen, die vor Ort bei der ADIPEC (der weltweit größten Ausstellung und Konferenz im Bereich Öl, Gas und Energie) ausstellten. Ob es sich um die Voestalpine, Jenbacher oder Palfinger handelte. Das sind schon die Flaggschiffe unserer Industrie.
Und andererseits, wenn ich mir ansehe, wer alle bei der Reise mit dabei war. Die Spitzen der Industrie aus der ganzen Republik, vor allem aus Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg, dort, wo das industrielle Herz schlägt. Wir waren höchst karätig besetzt in der Delegation. Und das hat, glaube ich, schon auch unseren Partnern in den VAE gezeigt, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnen, dass wir einen respektvollen Umgang pflegen.

Was wohl auch in Anbetracht dessen, dass man mit der OMV seit vielen Jahren in enger Absprache ein gemeinsames Unternehmen betreibt, von Vorteil ist (die VAE halten einen Anteil von 24,9 Prozent an der OMV).
Ja, wir wollen auch ganz bewusst Staatsbeteiligungen wie die OMV strategisch für die heimische Industrie nutzen. Es gibt von mir den ganz klaren Auftrag an unsere Staatsbeteiligungen: Dort, wo wir Syndikatspartner haben, dort, wo wir Miteigentümer haben, dort, wo wir Marktbearbeitungstrategien haben, wo wir Absatzmärkte haben, ist es auch die Verpflichtung von Staatsunternehmen, Door-Opener zu sein für die heimische Wirtschaft. Wenn der Staat beteiligt ist, geht es natürlich um den wirtschaftlichen Erfolg des konkreten Unternehmens, aber es geht auch um die Verantwortung für die gesamte österreichische Wirtschaft.
Diesem Auftrag ist die OMV in vorbildlichster Weise nachgekommen. Nicht nur als Door-Opener in den VAE, sondern auch dadurch, dass man Kapital aus dem jeweiligen Markt nach Österreich bringt. Vor Ort wurde zwischen OMV und Masdar der Deal für das fünftgrößte Wasserstoffprojekt Europas geschlossen. Im Bereich der Synthetic Fuels werden wir dadurch einen wesentlichen Beitrag leisten, den ganzen heimischen Luftverkehr zu dekarbonisieren. Das ist ein technologischer Meilenstein und bringt uns mit einem hohen dreistelligen Millionenbetrag eines der höchsten Foreign Direct Investments jemals.
Wie viele Arbeitsplätze werden denn voraussichtlich durch das skizzierte Investment in die Elektrolyse-Anlage in Bruck an der Leitha in den nächsten Jahren geschaffen bzw. erhalten und sind weitere Investments in Aussicht?
Masdar steigt mit 49 Prozent in die neu zu errichtende Anlage in Bruck an der Leitha ein. Die Rechte für die Wasserstoffverwertung liegen aber zur Gänze bei uns, das ist ganz wesentlich. Das bedeutet, wir haben die strategische Eigentümerschaft. Es ist dabei keine Frage der Sicherung von Arbeitsplätzen, sondern es ist der Anspruch, neue Arbeitsplätze in der Industrie zu schaffen. Wir erleben gerade eine Transformation der Branche, aber auch der Art der Betriebe. Es werden sich neue Wachstumsmärkte für die Industrie auftun und vor allem im Bereich Wasserstoff möchte ich, dass Österreich der zentrale Hub in Europa wird.
Hierbei kommt uns natürlich unsere geografische Lage zugute, es nutzt uns aber auch unsere historische Rolle als Knotenpunkt in der Gasinfrastruktur. Ein derartiges gemeinsames Projekt in einem Land, wo sich sowohl die Nord-Süd-Achse trifft als auch die West-Ost-Achse, ist ein wichtiges strategisches Ankerinvestment.
Europa droht im Welthandel einen Platz an der Außenlinie zugewiesen zu bekommen.
Wolfgang Hattmannsdorfer
Was für einen Eindruck bei den Gesprächen mit Regierungsvertretern und Unternehmern vor Ort konnten sie in den VAE gewinnen? Wie wird Europa betrachtet? Allerorts stimmt man derzeit ja den Abgesang auf den europäischen Kontinent an. Wird Österreich hier in einer besonderen Rolle gesehen?
Ich bin froh, dass es hier eine differenzierte Wahrnehmung zu Österreich gibt. Europa wird ganz kritisch gesehen, es herrscht teils totales Unverständnis darüber, dass man in den letzten Jahren aktiv Arbeitsplätze vertrieben und die eigene Wettbewerbsfähigkeit geschädigt hat. Wir müssen sehr aufpassen, dass Europa im Welthandel keinen Platz an der Außenlinie zugewiesen bekommt. Das hat man auf der ADIPEC gesehen. Die relevanten Wirtschaftsachsen gehen derzeit an Europa vorbei. Aber das ist auch eine Chance für Österreich. Man konnte vor Ort schon die Wahrnehmung gewinnen, dass man uns nicht nur als den strategisch verlässlichen Partner in Europa sieht, sondern auch als Tempogeber in Europa wieder eine wirtschaftsfreundliche Stimmung zu erzeugen.
Deswegen sind wir auch erster Unterstützer des Freihandelsabkommens zwischen den VAE und der EU. Ich hatte erst vor kurzem einen Termin mit Al Zeyoudi, dem Handelsminister der VAE und ein Debriefing mit Maroš Šefčovič, dem EU-Handelskommissar. Als ein starkes, selbstbewusstes Mitgliedsland versuchen wir derzeit alles, damit möglichst rasch ein Handelsabkommen zwischen den VAE und der EU zustande kommt.
Das wäre meine nächste Frage gewesen. Die EU verhandelt seit Mai 2025 mit den Vereinigten Arabischen Emiraten über ein Freihandelsabkommen. Was ist hier der Stand der Dinge, wann können wir mit einem Abschluss rechnen?
Die Verhandlungen laufen auf Hochtouren, es wäre jetzt aber nicht legitim, Verhandlungsdetails zu nennen. Wir haben gerade erst die Pain-Points in den Verhandlungen definiert, also quasi die Kernpunkte, bei denen ich auch als Vermittler fungiere zwischen den VAE und der Europäischen Kommission. Jetzt geht es darum, sich auf beiden Seiten schrittweise anzunähern und auch ein Ergebnis zustande zu bringen. Wir versuchen hier Tempomacher zu sein, auch die VAE wollen möglichst rasch abschließen und ich glaube, dass Momentum hierfür ist auch vorhanden.
Für mich liegt der Fokus in dem Abkommen im Bereich der erneuerbaren Energie, des grünen Wasserstoffs und vor allem auf kritischen Rohstoffen, da die VAE als Drehscheibe im Mittleren Osten hierfür ein zentraler Handelsmarkt sind.
Das heißt ein voraussichtliches Datum für den Abschluss kann man noch nicht nennen. Und auch die spezifischen Stolpersteine, Sie sprachen Pain-Points an, kann man auch noch nicht aufzählen?
Nein. Das wäre noch zu früh.
Wir können nicht länger mit Vollgas gegen die Wand steuern.
Wolfgang Hattmannsdorfer
Ein anderes Thema. Im Rahmen der ADIPEC hat der katarische Energieminister erneut gedroht, dass LNG-Lieferungen in die EU eingestellt werden, wenn die Lieferkettenrichtlinie nicht entschärft wird. Vergangene Woche wurde im 2. Anlauf eine entsprechende Verhandlungsposition des EU-Parlaments beschlossen. Denken Sie, dass wir die Einstellung der Lieferungen nun verhindern können?
Also es schrillen alle Alarmglocken angesichts dieser unmissverständlichen Äußerungen des Energieministers von Katar und ich hoffe, dass sie die handelnden Akteure in Brüssel endlich zum Umdenken bringen. Wir können nicht länger mit Vollgas gegen die Wand steuern. Deswegen bin ich sehr froh, dass es jetzt im 2. Anlauf gelungen ist, eine Auflockerung der Bestimmungen im EU-Parlament zu beschließen, denn das ist dringend notwendig. Wir stehen vor der Frage, wollen wir Jobs und Wohlstand in Europa halten, ja oder nein? Und wenn wir die Frage mit ja beantworten, dann darf man Handelspartner nicht vergrämen und unseren Wohlstand nicht aufs Spiel setzen.
Vergrämen ist hier noch ein Hilfsausdruck. Denn die Kataris entscheiden dann einfach, dass sie mit uns nicht mehr handeln. Wir sitzen hier am kürzeren Ast und ich glaube, man sollte einmal ein bisschen realistisch einschätzen, in welcher Verhandlungsposition wir uns als Europa befinden – jedenfalls nicht in einer Position der Stärke.

Die Lieferkettenrichtlinie muss jetzt in Abstimmung mit dem Rat finalisiert werden. Sehen Sie noch konkrete Verbesserungsmöglichkeiten? Werden Sie weitere Anpassungen vorschlagen?
Das ist eine Frage der Verhandlungen. Ich halte es für positiv und das möchte ich auch explizit anerkennen, dass das Parlament sich jetzt einen Schubs gegeben hat. Ich kann nur jedem empfehlen, sich anzusehen, wie das unsere Partner außerhalb Europas beurteilen. Mittlerweile wird aus dem Befremden gar kein Geheimnis mehr gemacht, sondern dieses ganz offen ausgesprochen, am Beispiel des Energieministers von Katar.
Vor und nach dem Rücktritt von WKÖ-Chef Mahrer hagelte es zuletzt viel Kritik und Reformvorschläge für die Wirtschaftskammer. Stichworte: Modernisierung der Kammer, Strukturanpassung oder Reduktion der Kammerumlagen. Was sollten die nächsten Schritte sein?
Man braucht das Ganze gar nicht schönreden. Es hat in den letzten Tagen einen massiven Vertrauensverlust gegeben. Als Wirtschaftsminister habe ich ein Interesse an einer starken Interessensvertretung der Wirtschaft. Diese brauchen wir, wenn wir den Aufschwung schaffen wollen, wenn wir ein Comeback von Leistung und Wettbewerb erreichen wollen. Deswegen ist es jetzt wichtig, dass das als Chance für einen Neubeginn verstanden wird.
Die angekündigten Reformen müssen nun auch in Umsetzung kommen. Wie diese erfolgen, ist Aufgabe der Verantwortungsträger in der Wirtschaftskammer. Sie haben meine vollste Unterstützung dabei und ich habe ein maximales Interesse daran, dass die Wirtschaftskammer wieder möglichst stark und mit möglichst viel Vertrauen ausgestattet ist.