Industrie-Experte: „Neue EU-Umsatzsteuer für Unternehmen wäre absolut kontraproduktiv“
31. Juli 2025・Christoph Hofer・Lesezeit: 12 Min.
Die EU-US-Handelseinigung ist ein erster Schritt, um für Unternehmen wieder Sicherheit und Vorhersehbarkeit zu schaffen, so BusinessEurope-Generaldirektor Markus Beyrer. Man müsse die EU-Handelsbeziehungen nun mit Nachdruck weiter diversifizieren und vor allem das Mercosur-Handelsabkommen heimholen. „Die Swing States sind Italien und Polen. Wenn diese halten, wird es sich ausgehen.“ Einer im neuen EU-Budget vorgesehenen Umsatzbesteuerung von Unternehmen steht er ablehnend gegenüber. Diese wäre „absolut kontraproduktiv in einer Situation, in der wir bereits ein großes Investitionsproblem in Europa haben.“ Im Interview geht es außerdem um die Handelsbeziehungen zu China, Fortschritte der EU-Omnibus-Initiativen für Bürokratieabbau sowie Kostensenkungspotentiale im Energiesektor.
Was ist von der EU-US-Handelseinigung mit dem neuen 15 %-US-Zolldeckel zu halten. Wie schlimm wird es für die EU?
Markus Beyrer: Zölle sind immer schmerzhaft – daher ist das sicherlich nicht das Abkommen, das wir uns gewünscht haben. Wir haben uns für ein Abkommen ohne Zölle für Industrieprodukte auf beiden Seiten eingesetzt. Das wäre die beste Lösung gewesen, weil wir davon überzeugt sind, dass hier die EU und die USA wirtschaftlich profitiert hätten. Aber wir wollten jedenfalls auch eine Eskalation der Zölle vermeiden, die für die Unternehmen auf beiden Seiten und für unsere Volkswirtschaften äußerst schädlich gewesen wäre. Die Frage ist nun, wie diese politische Absichtserklärung in ein konkretes, verbindliches Abkommen umgesetzt wird, und da gilt es noch viele Details zu klären. Die Verhandlungen werden in den nächsten Wochen weitergeführt. Erst dann können wir abschließend den Inhalt des Abkommens beurteilen.
Wie sind die Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft einzuschätzen? Die USA sind immerhin unser zweitwichtigster Handelspartner nach Deutschland.
Um das seriös zu beantworten, sind derzeit noch zu viele Fragen offen. Für Unternehmen sind Sicherheit und Vorhersehbarkeit insbesondere im Hinblick auf ihre Investitionen und Exporte von großer Bedeutung. Die USA machen rund 8,5 Prozent der gesamten Exporte Österreichs aus. Angesichts der Bedeutung der USA als Handelspartner ist dieses Abkommen ein wichtiger erster Schritt, um die transatlantischen Beziehungen auf eine stabilere Grundlage zu stellen. Wir müssen jedoch auch anerkennen, dass die USA handelspolitisch eine andere Sichtweise haben und unilateral entschieden haben, Zölle zu erhöhen – und zwar auch für ihre wichtigsten und verlässlichsten Handelspartner, wie die EU. Das ist ein weiterer Grund für die EU dringend zu diversifizieren und die Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten sowie Mexiko endlich nach Hause zu bringen.
„Wir wissen wann und wie ein Handelskrieg entsteht, aber wir wissen nie wann und wie er endet.“
Markus Beyrer
Es scheint Japan und dem Vereinigten Königreich gelungen zu sein, eine bessere Einigung mit den USA zu erzielen. War der Verhandlungsansatz der EU-Kommission falsch? Hätte man sofort mit schmerzhaften Gegenzöllen reagieren sollen?
Der Text zum EU-Abkommen wurde noch nicht veröffentlicht, daher ist es zum jetzigen Zeitpunkt schwierig, eine fundierte Einschätzung abzugeben. Es ist eine Tatsache, dass das Vereinigte Königreich einen Basiszollsatz von 10 % und die EU einen von 15 % hat. Wir diskutieren aber noch darüber, welche Sektoren von diesem Zollsatz ausgenommen und zollfrei sein sollen, und diese Liste könnte durchaus länger sein als im Falle des Vereinigten Königreichs. Was den Deal mit Japan angeht, habe ich den Eindruck, dass beide Seiten hier sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber haben, was vereinbart wurde. Generell halte ich Deeskalation für den richtigen Ansatz. Wir wissen wann und wie ein Handelskrieg entsteht, aber wir wissen nie wann und wie er endet. Tatsächlich müssen die konkreten Bedingungen noch ausgearbeitet werden. Dazu müssen wir in Europa geeint auftreten, und die EU-Kommission muss mit einem starken Verhandlungsmandat ausgestattet sein.
Zuletzt gab es eine Annäherung im E-Autokonflikt mit China. Wäre eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU mit China angesichts einer unberechenbaren US-Zollpolitik sinnvoll?
Ich glaube, China muss man nüchtern betrachten. China wird kein like-minded-Partner der EU werden, ist aber ein wichtiger Markt. Es wäre in unserem Interesse, mit China eine vernünftige Beziehung zu haben. Schon allein als wichtiger Investitionsstandort und als wichtiger Lieferant von seltenen Erden für uns. Vor allem im letzten Jahr gab es eine gewisse Honeymoon-Phase – man ließ die große Charme-Offensive gegenüber Europa walten. Das dreht sich nun seit ein paar Wochen. Die Erwartungshaltungen vor dem EU-China-Gipfel waren relativ gering. Man merkt, dass die Chinesen uns gegenüber wieder etwas ruppiger auftreten. Sie scheinen mit dem Zwischenergebnis der US-Handelsgespräche leben zu können. Dadurch fühlen sie sich wieder gestärkt und sehen weniger die Notwendigkeit, uns gegenüber konzilliant zu sein. Aber jetzt ist ganz sicher nicht der Zeitpunkt für ein großes Abkommen mit China. Das hätte die Verhandlungen mit den USA noch einmal wesentlich erschwert.
Zu den E-Autos. Da haben die Chinesen natürlich viel Druck gemacht. Es gab eine Untersuchung der EU-Kommission und aufgrund eben dieses Anti-Subventions-Verfahrens wurden Ausgleichszölle erlassen. Die Chinesen haben darauf mit verschiedenen Gegenzöllen reagiert, z. B. auf Schweinefleisch, Kognak und dergleichen.
Eine Nadelstichpolitik quasi.
Ja, genau. Die Lösung, die die chinesische Seite anstrebt, könnte ein Mindestpreis für die Importe von chinesischen EVs sein. Dafür scheint die Zeit aber noch nicht reif zu sein.
Es ist also nicht absehbar, dass man mit China bald auf einen guten Fuß kommt?
Wir haben ja keinen breiten Handelskonflikt mit China. Aber wir haben natürlich eine delikate Situation. Ich glaube, Ursula von der Leyen hat richtigerweise gegenüber dem chinesischen Präsidenten Xi angesprochen, dass wir an einem Wendepunkt der gemeinsamen Beziehungen angekommen sind. Es gibt Probleme, die immer da waren, die immer größer werden, wo unser Verhältnis nicht ausbalanciert ist und wo man etwas tun muss, damit es sich vernünftig weiterentwickelt.
Und es gab noch keine Antwort Xis bzw. der chinesischen Seite?
Die Chinesen geben nicht so oft direkte Antworten. Die Frage ist, wie sehr sie gewillt sind, Dinge zu ändern. Das fängt damit an, dass sie mehr für ihre Binnennachfrage tun müssten. Es reicht nicht nur, darüber zu reden. Gute Worte haben wir viele gehört. Es muss Veränderungen geben, die wirklich spürbar sind. Und natürlich muss man vor allem schauen, dass die US-Zollpolitik gegenüber China nicht dazu führt, dass dann alles Richtung Europa verschifft wird.
…und damit Marktanteile europäischer Unternehmen verloren gehen.
Ja, einerseits durch direkte Importe in die EU und andererseits natürlich auch Marktanteile in anderen Teilen der Welt, z. B. Südamerika, wo es gut wäre, wenn wir das Mercosur-Freihandelsabkommen endlich ratifizieren würden.
„Die Swing States bei Mercosur sind Italien und Polen.“
Markus Beyrer
Stichwort Mercosur. Nach einer feierlich verkündeten Einigung Ende 2024 ist es deutlich ruhiger geworden, um das Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten. Ein gutes Zeichen oder könnte das Projekt am Ende doch noch scheitern?
Zunächst muss man sagen, dass es trotz allem bemerkenswert war, dass Ursula von der Leyen das Abkommen zum damaligen Zeitpunkt unterschrieben hat. Das war wichtig, denn sonst wäre es tot gewesen. Und ich glaube, es gibt nun auch den Willen, es zu ratifizieren. Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass es bereits Ende Juni, Anfang Juli zur Ratifizierung vorliegt, aber leider hat es sich jetzt verzögert. Diese zusätzlichen Wochen können gut investiert sein, wenn es gelingt Frankreich z. B. mit einer einseitigen Erklärung an Bord zu bekommen. Wenn es jedoch die Idee der Franzosen ist, das Abkommen noch einmal aufzumachen, dann muss man sagen, das geht sicher nicht. Wir haben erst vor zwei Wochen wieder einen Termin mit allen vier Botschaftern der Mercosur-Staaten gehabt. Uns würde nachdrücklich vermittelt, dass sie keinen Millimeter Verhandlungsspielraum mehr haben, weil jetzt schon so oft nachverhandelt wurde. Das heißt, man muss das Abkommen spätestens im September zur Ratifikation vorlegen. Dafür braucht es eine Mehrheit im Rat und auch im Europäischen Parlament – beides ist in meinen Augen machbar. Die Swing States sind Italien und Polen, würde ich sagen. Wenn diese halten, wird es sich ausgehen.
Die Vorzeichen mit der dänischen Präsidentschaft auf EU-Seite und dem Schwergewicht Brasilien, welches gerade die Mercosur-Präsidentschaft innehat, sehen jedenfalls gut aus. Es ist sehr wichtig, dass wir jetzt keine Zeit mehr verlieren. Die Gründe für das Abkommen sind vielfältig. Das fängt mit den riesigen ökonomischen Chancen, gerade in Sektoren, in denen wir große Herausforderungen haben, wie dem Automotive-Bereich an und geht über geostrategische Gesichtspunkte hinweg bis hin zur eigenen Glaubwürdigkeit. Wir haben jetzt die Chance, dass die halbe Welt mit uns verhandeln will. Dafür müssen wir allerdings auch glaubwürdig sein. Die Mercosur-Staaten haben 20 Jahre lang mit uns verhandelt. Wenn wir nach all dem keine Einigung zustande bringen, werden sich andere fragen, ob es überhaupt Sinn macht, mit uns zu verhandeln. Es ist dringend notwendig dieses wichtige Abkommen endlich nach Hause zu bringen.
Die Aufregung war groß, als die Nachricht einer neuen EU-Unternehmensteuer im EU-Budget für 2028-2034 durchsickerte. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag und die Chance, dass er Realität wird?
Es ist Erstens kein besonders aufgeblasenes EU-Budget. Die Erhöhung bildet größtenteils die Rückzahlungen für die Schuldaufnahme im Rahmen von Next Generation EU ab. Wenn man das Budget um diesen Wert bereinigt, redet man lediglich von einem wertgesicherten, inflationsindexierten Budget. Zweitens sehen wir einige Dinge im Budget sehr positiv, z. B. den Wettbewerbsfähigkeitsfonds. Auch, dass mehr Geld für die Forschung und Projekte wie Connecting Europe Facility eingeplant wird, ist sehr positiv. Gerade auch für die österreichische Wirtschaft. Natürlich wird man sich noch im Detail ansehen müssen, wofür die Mittel wirklich ausgegeben werden sollen, und wie die Verhandlungen sich entwickeln.
Die Vorschläge für die Eigenmittel lehnen wir größtenteils ab, mit Ausnahme der 2 Euro Gebühr für Paketversendungen aus dem EU-Ausland. Eine neue Umsatzbesteuerung von Unternehmen ist Unsinn. Das haben wir auch deutlich gesagt. Ein solches Investitionshemmnis wäre absolut kontraproduktiv in einer Situation, in der wir bereits ein großes Investitionsproblem in Europa haben. Dazu braucht man sich nur die FDI-Flows ansehen. Angesichts des Aufschreis der Mitgliedstaaten, gehe ich aber nicht davon aus, dass diese Steuer am Ende des Tages kommt.
Morning in Brief
Das Wichtigste zum Start des Tages
Das Wichtigste zum Start des Tages.
Neben dem Budget werden auch laufend neue Omnibus-Gesetze der EU diskutiert. Zuletzt im Bereich Verteidigung und Chemische Produkte. Ist die gewählte Vorgangsweise die richtige? Wie viel regulatorische Erleichterungen sind über diesen Weg realistisch?
Es ist ein guter Weg, der von einigen kritisiert wird, aber vor allem von jenen, die diese regulatorischen Erleichterungen nicht wollen. Man kann natürlich immer über Details diskutieren, aber über diese Vehikel können relativ viele Bestimmungen in einem Schnellverfahren verändert und effizient vereinfacht werden. Ganz wichtig für viele Unternehmen ist der erste Omnibus, in dem es u. a. um die Thematiken Lieferkettengesetz, Nachhaltigkeitsberichterstattung und Taxonomie-Verordnung geht. Hier sehen wir erfreuliche Fortschritte. Die Kommission hat in diesen Bereichen massive Vereinfachungen und vieles vorgeschlagen, was wir gefordert haben. So sind zum Beispiel im Lieferkettengesetz nur mehr „Tier 1“-Zulieferer inkludiert, man haftet also nicht für Unternehmen, mit denen man keine direkten Geschäftsbeziehungen hat. Es gibt keinen bevorzugten Zugang zu Gerichten. Hohe persönliche Haftungen für Aufsichtsräte sind vom Tisch. Das Einzige, was über den Rat wieder im Paket inkludiert wurde, sind umsatzbasierte Strafen für Verstöße. Diese lehnen wir grundsätzlich ab, sind nun aber auf maximal 5 % des Umsatzes limitiert und nicht, wie es ursprünglich hieß auf mindestens 5 %. Soll heißen, Mitgliedsstaaten können auch zu dem Schluss kommen, eine Sanktion auf z. B. 1 % des Umsatzes zu begrenzen. Das schafft zwar wieder eine gewisse Fragmentierung im Binnenmarkt, aber es ist trotzdem wesentlich besser als der vorherige Vorschlag.
Im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung, haben wir mit den sogenannten „Anwendern“, also mit Banken, Versicherungen, den Emittenten zusammengearbeitet, und festgestellt, dass von 1.200 gesetzlich vorgesehenen Datenpunkten 70 % nicht gebraucht werden. Bei 18 % der Datenpunkten sagen wir gemeinsam, die machen Sinn. Und bei 12 % sagt der Finanzsektor, sie wollen diese und wir sagen, die Daten sind aber nicht erhebbar oder sie sind so aufwendig zu erheben, dass es das nicht wert ist. Im Zentrum steht aber die Einigung, dass 70 % der Daten nicht gebraucht werden. Das wäre eine sehr starke Reduktion und wichtige Entlastung für Unternehmen.
Dann gibt es natürlich weitere Omnibusse. Im Digitalbereich haben wir jetzt gerade Vorschläge unterbreitet. Umwelt wird im Herbst kommen, hier wird es u. a. um die Entwaldungsverordnung und um die Industrieemmissionsrichtlinie gehen. Der Omnibus für den Defense-Bereich ist auch sehr positiv zu sehen. Vor allem weil man in diesem als Sonderregelung eine automatische Genehmigung nach 60 Tagen inkludieren möchte, wenn behördliche Verfahren sich in die Länge ziehen. Das wäre ein tolles Modell, auch für andere Bereiche – denn, wenn es hier geht, warum dann nicht prinzipiell auch bei einer normalen Industrieanlage?
Neben einem Übermaß an Regulierungen sind vor allem die gestiegenen Energiepreise ein wesentlicher Grund für die verlorene Wettbewerbsfähigkeit Europas im Vergleich zum Rest der Welt. Was müsste geschehen, um die Preise wieder zu senken?
Es gibt ein paar Dinge, die man tun kann. Das fängt an mit der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, geht über die Senkung von Steuern und Netzentgelten bis hin zur Ausnahme gewisser Industrien vom Preisanstieg. In manchen Sektoren wird dies eine Notwendigkeit sein. Und am Ende des Tages geht es natürlich um eine kostenoptimale Produktion, dort wo es am günstigsten ist, und einen europäischen Energie-Binnenmarkt. Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die zum dem Ergebnis kommt, dass dadurch mittel- und langfristig eine Kostensenkung von 40 % möglich wäre.
Werden wir russisches Gas in der EU auch nach 2028 benötigen?
Wir stehen selbstverständlich hinter dem EU-Regelwerk und den Sanktionen. Gleichzeitig muss man diese so ausgestalten, dass die europäische Wirtschaft nicht mehr Schaden nimmt als notwendig. Diversifikation ist in jedem Fall das Gebot der Stunde. Man sollte sich nicht wieder in derselben Weise von einem Lieferanten abhängig machen.
Zur Person
Markus Beyrer ist seit 2013 Generaldirektor des Industrie-Dachverbands BusinessEurope in Brüssel. Davor war er Vorstand der Österreichischen Industrieholding AG, Generalsekretär der Industriellenvereinigung und Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik der Wirtschaftskammer. 1999 bis 2002 war Beyrer wirtschaftspolitischer Berater im Kabinett des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel.