Richard Grieveson ist stv. wiiw-Direktor © wiiw / Montage: Selektiv
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Interview

„Osteuropa ist nicht mehr Arbeitskräftepool für Österreich“

Richard Grieveson ist stellvertretender Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), wo er die Analysen und Prognosen für Mittel-, Ost- und Südosteuropa koordiniert. Aufgrund steigender Löhne und einer schlechten demografischen Entwicklung werden osteuropäische Arbeitskräfte laut Grieveson künftig vermehrt in ihren eigenen Ländern bleiben. Österreich kann sich daher nicht mehr im gleichen Ausmaß wie früher am osteuropäischen „Arbeitskräftepool“ bedienen. Stattdessen würden diese Länder als Exportmärkte attraktiv werden, da der Lebensstandard weiter steigt. Auch die osteuropäische Wirtschaft ist stark an die deutsche Wirtschaftsentwicklung gekoppelt: „Würde es eine stärkere Konjunktur in Deutschland geben, würden wir in Polen wohl ein BIP-Wachstum von 5 % sehen“, so Grieveson im Interview.

Warum wächst die Wirtschaft in Ländern in Osteuropa, während sie in Österreich und Westeuropa stagniert?

Richard Grieveson: Der Hauptantrieb des Wachstums in der Region ist der Privatkonsum, gestützt vom Reallohnwachstum. Dieses war in den letzten 23 Jahren viel höher als in West- und Zentraleuropa. Und im Unterschied dazu geben die Menschen in der Region das zusätzliche Geld auch aus, das Verbrauchervertrauen ist höher. Und bei den EU-Mitgliedsländern in der Region, spielen die verschiedenen Fördermittel der EU eine große Rolle. Die östlichen Mitgliedsländer haben auch aus den Aufbaufonds nach der Pandemie beispielsweise überdurchschnittlich viele Mittel für Projekte bekommen.

Welche Länder entwickeln sich besonders gut?

Von jenen EU-Mitgliedern, die wichtige Handelspartner für Österreich sind, Kroatien und Polen. Auch bei ihnen spielt der Zugriff auf die verschiedenen EU-Fonds eine wichtige Rolle. Infrastruktur wird dadurch verbessert und ausgebaut, das schafft Arbeitsplätze und stützt die Wirtschaft. In Kroatien kommt der starke Tourismusfaktor dazu, sowie der Beitritt zum Euro und zu Schengen. Und in Polen ist der Binnenmarkt einer so großen Volkswirtschaft auch ein stabilisierender Faktor unabhängig von Exporten wie im Unterschied zu Tschechien, der Slowakei oder auch Österreich. Damit schafft Polen ein Wirtschaftswachstum von 3,5 %, Kroatien von 3,0-3,4 %. Das sind Werte, von denen Österreich momentan weit entfernt ist.

Die Länder werden eher als Exportmärkte attraktiv werden, weil die Menschen sich dort mehr leisten können.

Richard Grieveson

Könnte Österreich vom stärkeren Wachstum in diesen Ländern profitieren?

Ja, aber die Situation ändert sich. Bereits jetzt gehen 20 % des Außenhandels Österreichs in die Region, das ist ein stabilisierender Faktor für die Wirtschaft. Doch die Menschen in Ost- und Südosteuropa werden reicher, die Wirtschaft wächst kräftig, die Löhne wachsen real. Das alte Modell, dass die Produktion wegen des viel niedrigeren Lohnniveaus in Länder der Region ausgelagert wird, gibt es noch, aber das ist stark im Wandel. Die Länder werden eher als Exportmärkte attraktiv werden, weil die Menschen sich dort mehr leisten können. Das heißt, es gibt viele Chancen jetzt für Supermärkte oder für den Handel, also andere Branchen als die, die schon jetzt stark vertreten sind.

Kann die Bedeutung der Region für Österreich also in Zukunft noch zunehmen?

Ja, und ich würde sagen sie hat zu einem gewissen Grad bereits zugenommen. Österreich ist bei den Auslandsinvestitionen in den meisten Ländern noch immer unter den Top 10. Doch neue Player wie China mischen nun mit, gerade in Ländern wie Serbien oder auch Ungarn. Gerade wenn das bisherige Welthandelssystem gerade im Sterben liegt, wird es für Österreich und die EU als Ganzes wichtig sein, neue Handelspartnerschaften zu knüpfen. Und da sind die osteuropäischen und südosteuropäischen Länder außerhalb der Union ein gutes, wichtiges Ziel. Wir sehen auch, dass das schon passiert. Die EU diskutiert über eine neue Zollunion mit der Türkei und über ein Freihandelsabkommen mit Nordafrika. Die Kontakte mit der Ukraine, mit Moldau und Georgien werden enger. Am Ende geht es für Unternehmen und für die EU um die Chance in Wachstumsmärkte investieren zu können mit überschaubarem Risiko, wenn diese geographisch auch noch nahe liegen, umso besser. Und genau das hat die Region zu bieten.

Würde es eine stärkere Konjunktur in Deutschland geben, würden wir in Polen wohl ein BIP-Wachstum von 5 % sehen.

Richard Grieveson

Wie sehr sind die Länder Osteuropas einerseits vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und andererseits von US-Zollpolitik betroffen?

Beides trifft die Region eher indirekt. Die höheren Energiepreise einerseits, andererseits treffen die Verteuerung von Exporten in die USA vor allem Deutschland massiv – dort stagniert die Wirtschaft und die Industrie und das spüren vor allem die Länder der Region, die innerhalb der EU sind. Würde es eine stärkere Konjunktur in Deutschland geben, würden wir in Polen wohl ein BIP-Wachstum von 5 % sehen. Und dann gibt es auch noch länderspezifische Auswirkungen. Polen würde momentan wohl nicht so gut dastehen, wenn es nicht hunderttausende Ukrainer gäbe, die vor dem Krieg geflohen sind und nun die Arbeitskräftelücke im Land auffüllen.

Österreich hat immer traditionell auf Personal aus Osteuropa gesetzt. Wenn jetzt die Wirtschaft wieder anziehen sollte, wird der Bedarf an Arbeitnehmern wieder steigen. Gleichzeitig klafft die demographische Lücke immer weiter auf. Kann das weiterhin durch Arbeitskräfte aus der Region ausgeglichen werden?

Osteuropa ist nicht mehr der Arbeitskräftepool für Österreich, der er einmal war. Erstens ist die demografische Entwicklung noch schlechter als in Österreich, andererseits bedeuten die steigenden Löhne, dass der Unterschied zu einem Gehalt in Österreich geringer wird. Die Menschen werden eher in ihren eigenen Ländern bleiben.