Ab in die Vollkasko-Gerontokratie
Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er betreibt den Politik-Podcast „Ist das wichtig?“ und publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“. Zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.
Ich weiß aus sehr sicherer Quelle, dass ich manchen Leserinnen und Lesern* schon ein bisschen damit auf die Nerven gehe, dass ich in so gut wie jedem Kommentar über Pensionen schreibe. Es tut mir eh leid, aber es steht da nun einmal ein rund 20 Milliarden Euro schwerer Elefant im Raum.
20 Milliarden Euro: So viel wendet der Bund heuer auf, um die Lücke zwischen den Rentenansprüchen, die Pensionistinnen und Pensionisten in Österreich (wohl)erworben haben und dem, was die aktuell Erwerbstätigen in die Pensionskassen einzahlen, zu schließen. 20 Milliarden Euro, mehr als das gesamte Budgetdefizit.
Und nächstes Jahr könnte es noch mehr sein.
Sie wissen das ja, aber nur sicherheitshalber: Im ASVG gibt es, ab § 108, einen Automatismus – jedes Jahr werden Pensionen und Pensionsansprüche um die Inflation von August bis Juli des Vorjahres erhöht. Dieser Mechanismus hat in diesem Jahrtausend gerade zweimal gegriffen, 2024 und 2025.

Die übrigen Jahre haben die jeweiligen Regierungskoalitionen gemeint: Es geht uns gut, Bürger und Betriebe erwirtschaften hohe Einnahmen, die Produktivität steigt – davon sollen auch Pensionisten etwas haben, die dafür die Fundamente gelegt haben. Und dann haben sie die Pensionen teils weit über diesem automatischen Anpassungsfaktor erhöht.
Weil wir jetzt die – viel zu hohe – Inflation bis Juli kennen, wissen wir: Automatisch sollten die Pensionen kommendes Jahr um 2,7 Prozent steigen. Anfang September will die Koalition aus ÖVP, SPÖ und Neos entscheiden, was wirklich passiert.
Sollten die Pensionen dann tatsächlich um diesen Faktor steigen, wäre es der endgültige Beweis, dass wir in einer Vollkasko-Gerontokratie leben.
Vollkasko, weil die Politik mit einer solchen Erhöhung die Idee der vergangenen Steigerungen konterkarieren würde: Wenn der Wohlstand der Gesellschaft wächst, sollen alle davon profitieren, auch die, die nicht mehr arbeiten – das ist ein fairer Gedanke.
Aber dass dieselben Leute dann nicht mitzahlen sollen, wenn es einmal schlechter läuft, wenn die Wirtschaft schrumpft, die Produktivität stagniert und die Schulden steigen – das wäre weder gerecht noch nachvollziehbar.
Und eine Gerontokratie wäre es, weil an die 2,5 Millionen Pensionistinnen und Pensionisten einfach ein Machtfaktor in dem Land sind – noch dazu mit einer klassisch schwarz-roten Lobbyorganisation dahinter. Dass sogar die selbsternannten Reformer von den Neos sich nicht einmal trauen, eine komplette Aussetzung der Pensionserhöhung zu fordern, sondern eine Steigerung um „nur“ 2,2 Prozent, deutet darauf hin, dass der Kampf gegen die Gerontokraten längst verloren ist.
Pech für all jene, die keine so starke Lobby haben halt: Bei Familienbeihilfe oder Kinderbetreuungsgeld zum Beispiel haben dieselben Parteien nicht lang gefackelt, sie werden heuer und nächstes Jahr einfach um die komplette Inflation entwertet. Pech gehabt, wärt ihr lieber in Pension gegangen, statt Kinder zu bekommen, könnte man polemisch sagen.
Damals hat man diese Aussetzung der Valorisierung übrigens argumentiert mit „es wird ja keinem etwas weggenommen, es wird nur nicht erhöht“. Ich bin gespannt, ob die Regierungsparteien das bei den Pensionen genauso argumentieren werden.
*vor allem solchen jenseits der 65