Lässt sich Kickl auf die EU einschwören?

23. Januar 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Das Amt des österreichischen Bundeskanzlers ist ein seltsames: Im Inland ist er abseits seiner Kernfunktion, dem Bundespräsidenten die Ernennung und Abberufung von Ministern vorzuschlagen, rechtlich nicht viel mehr als ein Sekretär in einem schönen Amtsgebäude – ein Kanzleileiter quasi, wie es in seiner Amtsbezeichnung steckt. Die meisten Minister haben mehr Macht, mehr Mitarbeiter, mehr Verantwortung – im Gegensatz etwa zu seinem deutschen Gegenüber, kann unser Kanzler seinen Regierungskollegen nicht einmal lose Aufträge, geschweige denn Weisungen erteilen; seine faktische Macht ist eine rein politische, keine juristische.

Anders schaut es allerdings auf europäischer Ebene aus: Dort ist er Mitglied im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs; als einer von 27 auf Augenhöhe mit dem französischen Staatspräsidenten, der italienischen Premierministerin oder dem deutschen Kanzler Teil des zentralen Organs der Union. Dort bestimmt auch unser Kanzler mit, wie die Union innen- und außenpolitisch agiert, welche Schwerpunkte sie setzt, wie sie sich weiterentwickeln soll. Er schreibt dort in letzter Konsequenz, ja, Weltpolitik mit.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber: Ich tue mir schwer, mir Herbert Kickl in so einer Rolle als konstruktiven Partner vorzustellen. Beim Neujahrstreffen der Freiheitlichen in Vösendorf am Wochenende hat der FPÖ-Chef, der derzeit mit der ÖVP über eine Regierungsbildung verhandelt, der Union „Selbstanmaßung“ (was?) attestiert und „Klimakommunismus“, in ihrem Wahlprogramm spricht sich die FPÖ für eine liberale Nutzung des Vetorechts und den Rückbau von EU-Zuständigkeiten aus, von ihrem Verhältnis zu Russland – inklusive Absage an EU-Sanktionen – ganz zu schweigen.

Natürlich sind das alles legitime Positionen in einer Demokratie, und immerhin hat mehr als ein Viertel der Wähler bei der Nationalratswahl dieses Programm gewählt. Aber in der ÖVP, die sich stets stolz den Titel „Europapartei“ verliehen hat, wird man sich ernsthaft die Frage stellen müssen: Kann man jemandem mit solchen Positionen den Schlüssel zum Schaltkasten der Union in die Hand drücken?

Wenn wir freien Auges in die Welt schauen, kann man nur wenig Zweifel daran haben, dass wir im Sinne von Freiheit, Wohlstand und Sicherheit für Österreich eher mehr als weniger Europa brauchen werden. Als exportorientiertes Neun-Millionen-Land brauchen wir nicht nur den freien Binnenmarkt, sondern auch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; allein werden wir nicht gegen Trumps Zollirrsinn, gegen Putins Aggression oder Xis Industriepolitik halten können – Europa wird sich auf die Hinterfüße stellen und gegen all diese Dinge an einem Strang ziehen müssen: Mit einer gemeinsamen, abgestimmten Handels-, Sicherheits- und eigenen Industriestrategie, statt in Kleinstaaterei zu versinken.

Die ÖVP wird vermutlich versuchen, Kickl in ihren Verhandlungen jetzt auf solche Dinge einzuschwören, wird abwägen, ob man sein Abstimmungsverhalten auf EU-Gipfeln irgendwie vor- und festschreiben kann. Selbst wenn – und das ist ein großes „wenn“ – sich die FPÖ darauf einlassen sollte, wäre es kurzsichtig, die Ratspolitik nur auf Abstimmungen zu reduzieren: Genauso wichtig ist die Frage, wie sich jemand in den Verhandlungen der Regierungschef davor geriert, ob er konstruktiv an Lösungen mitarbeitet oder aus EU-Skepsis heraus eine Einigung so sabotiert, dass es gar nicht erst zu einer Abstimmung kommt. Da kommt es mehr auf den Menschen und Zwischenmenschliches an als auf abstrakte Beschlüsse in der Heimat, auf Dinge, die sich praktisch nicht festschreiben lassen.

Ich fürchte, die europapolitische Kernfrage dieser Koalitionsverhandlungen ist eine sehr einfache: Lässt man jemanden wie Herbert Kickl, der kein starkes Europa will, als Kanzler in jenes Gremium, das mehr als jedes andere darüber entscheidet, was für eine Union wir bekommen – oder nicht?

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