„Das Eigenthum ist unverletzlich“ – von wegen
Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.
Die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, in der ein Satz galt: „Das Eigenthum ist unverletzlich“.
Der Satz von der „guten alten Zeit“ war und ist natürlich Unsinn. Aber er erhält derzeit neue Bedeutung. Gemünzt ist er auf die liberale Phase der k.u.k. Monarchie von etwa 1867 bis 1918, die einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung ermöglichte. Es waren die fünf Jahrzehnte liberalen Wirtschaftens, die jene Fundamente legten und jene kulturellen Leistungen ermöglichten, denen wir uns heute noch rühmen: Die Ringstraßenzeit und das, was als „Wien um 1900“ zu einer internationalen Marke wurde. Und, ja, es war auch die Zeit, die den Aufstieg der zwei Massenparteien Christlichsoziale und Sozialdemokraten als Reaktion auf immense soziale Probleme brachte.
Die politischen und rechtlichen Entwicklungen der letzten paar Jahre und besonders der letzten Wochen, machen die Sehnsucht nach einer „guten alten Zeit“ aber verständlich. Grundlegende Rechte und grundlegende Prinzipien einer freien Gesellschaft werden angegriffen, von bekennenden Marxisten sowieso, aber auch unter Zutun vermeintlich bürgerlicher Parteien.
Etwa das Recht auf Eigentum.
„Grundlegende Rechte und grundlegende Prinzipien einer freien Gesellschaft werden angegriffen.“
Gerhard Jelinek
„Das Eigenthum ist unverletzlich“, garantierte Kaiser Franz Joseph im Artikel 5 des von ihm erlassenen (nicht demokratisch zustande gekommenen) Staatsgrundgesetzes von 1867. Ein Satz in kristallener Klarheit. Er ist Teil unserer geltenden Bundesverfassung. Davon sind wir heute meilenweit entfernt.
Allen Ernstes wird in Sommergesprächen und in der Regierungsklausur darüber diskutiert, in grundlegende Prinzipien der freien (und auch der sozialen) Marktwirtschaft per Gesetz einzugreifen, etwa in die Preisbildung von Unternehmen. Da sollen da oder dort „Deckel“ eingezogen werden, Rechte von Aktionären (meist sind es ohnehin Pensionsfonds und Versicherungen) sollen etwa für Energieversorgungsunternehmen nicht mehr gelten. Da wird von „Übergewinnen“ (es sind Betriebe, die weitgehend ohnehin im Staatsbesitz sind) geredet, ohne zu sagen, wer diesen Begriff auf welcher Rechtsgrundlage definiert. Und da wurde von einer Parlamentsmehrheit rückwirkend in private Verträge, etwa zwischen Vermietern und Mietern, per Gesetz eingegriffen. Und weil das so erfolglos war, soll der Eingriff ins Eigentum gleich auch noch auf rein privat finanzierte Wohnungen ausgeweitet werden. Treu und Glaube (altes Rechtssprichwort aus dem deutschen Recht) wird ignoriert. Wer die Investitionsentscheidung getroffen hat, für seine Altersvorsorge etwa eine oder zwei Eigentumswohnungen anzuschaffen, um sie dann weiter zu vermieten, der erfährt nebenbei, dass er oder sie demnächst nicht einmal den vertraglich frei vereinbarten Inflationsausgleich verlangen darf. Und in einem Atemzug, will die schwarz-rot-pinke Regierung die Investitionsbereitschaft der Privaten ankurbeln. Das passt schwer zusammen.
„Das Eigenthum ist unverletzlich“ – von wegen. Diese klare Garantie aus einer absolutistischen Zeit wird durch politische Opportunitäten und einer längst falsch abgebogene Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofes ausgehebelt.
Ein Sündenfall, auch in der provokant unsachlichen Argumentation, war ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 2017, der unsachgemäße Paragraphen des mietrechtlichen Richtwertgesetzes abgenickt hat. Wer heute das ohnehin kaum verständlich formulierte Erkenntnis der damals tätigen elf Verfassungsrichter liest, wundert sich über deren „Argumentation“ noch mehr. Überhaupt haben der VfGH und der Europäische Gerichtshof zwar die Rechte von Migranten praktisch absolut gesetzt, das Eigentumsrecht aber bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt. Da wird allen Ernstes behauptet, dass eine „Wohnumgebung“ nach der „Erfahrung des täglichen Lebens“ (Satz in einem Höchstgerichtsurteil!) nur „durchschnittlich“ sei, wenn der überwiegende Gebäudebestand in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde. Also die Neubausilos in der seinerzeitigen „Großfeldsiedlung“ (und aller anderen Stadterneuerungsgebiete) garantieren per se eine überdurchschnittliche Wohnumgebung, hingegen eine umfassend sanierte Wohnung in einem Gründerzeithaus mit drei Meter Raumhöhe und Eichenparkettboden, etwa rund um den einst hippen Karmelitermarkt, ist nur durchschnittlich und daher die Mietzinsbildung durch marktferne „Richtwertmieten“ eingeschränkt.
„Eine umfassend sanierte Wohnung in einem Gründerzeithaus mit drei Meter Raumhöhe und Eichenparkettboden ist nur durchschnittlich und daher die Mietzinsbildung durch marktferne „Richtwertmieten“ eingeschränkt.“
Gerhard Jelinek
Solcher Art ist die Judikatur, die sich von der Klarheit und dem historischen Kern des Staatsgrundgesetzes von 1867 und den Verfassungsmaximen entfernt hat. „Das Eigenthum ist unverletzlich.“
Diese (und vorangegangene Regierungen) ignorieren die Grundsätze von Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Und sie ruinieren damit das Wirtschaftsklima. Wer soll eigenes Geld investieren, für die Zukunft planen und bauen, wenn je nach Wetterlage und der vermuteten Notwendigkeit ein Thema für ein Sommerinterview setzen zu müssen, Grundsätze über Bord geworfen werden?
Vereinbarte und per Gesetz garantierte Anpassungen der ohnehin geregelten Mieten werden aus politischem Opportunismus verschoben, (mehrfach), gedeckelt und de facto willkürlich begrenzt. Die Babler-Economics werden unter Duldung zweier angeblich marktwirtschaftlich orientierter Parteien, ÖVP und Neos, umgesetzt. Das wird nicht besser, wenn ÖVP und Neos den sozialistischen Wünschen zugestimmt haben, weil sie dachten, in der Realität sei eine Begrenzung der Inflationsabgeltung mit drei Prozent (plus der Hälfte darüber hinaus) eh bedeutungslos (was wirtschaftlich schon stimmen mag). Irgendeinen „Erfolg“ müssten sie Andreas Babler eben schenken, wenn sich die SPÖ schon die Unsinnsidee einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich abschminken musste.
Diese Taktik der ÖVP war schon in der schwarz-grünen Koalition nicht erfolgreich. Das kann und wird nicht gut gehen. Verleugnen Parteien ihren Markenkern (vernünftiges Wirtschaften und grundlegende Prinzipien der Marktwirtschaft) werden sie dafür von ihren eigenen Kernwählern abgestraft.
Die im sommerlichen Tiefschlaf befindliche FPÖ, die sich an ein und demselben Tag für noch mehr Staatseingriffe und in einer zweiten Stellungnahme strikt dagegen ausspricht, braucht gar nichts mehr tun. Da sehnt man sich doch nach der „alten Zeit“ und dem Satz: „Ein Mann (Frau), ein Wort.“