Das letzte Aufgebot wird angelobt

3. März 2025Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Rainer Nowak

Rainer Nowak ist österreichischer Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“. Zuvor war Nowak Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.

Beate Meinl-Reisinger verdrückte ein paar Tränen, dann gab es Umarmungen mit Christoph Wiederkehr und Sepp Schellhorn. Zumindest die Neos lieferten mit Kindergeburtstagsballons und Jubel die ersten positiven Bilder für die künftige Dreier-Koalition, die heute nach ewigen Regierungsverhandlungen tatsächlich angelobt wird. Alexander van der Bellen wird fröhlich sein wie selten zuvor als Bundespräsident. Weder muss er Herbert Kickl angeloben noch täglich mit überforderten Parteichefs telefonieren, hinter die Tapetentür bitten und sich anhören, wer mit wem nicht kann. Das Petzen, Verzeihung: Sondieren ist endlich vorbei. Heute wird Christian Stocker mit einem Regierungsteam, vielen Staatssekretären und genau genommen ohne Regierungsauftrag als Bundeskanzler angelobt. Die Karrieren in der österreichischen Innenpolitik sind mitunter ein Stolpern. Für Van der Bellen wird die Fastenzeit zum wahren Urlaub.  

Die ständigen Fragen wie lange das ungewöhnliche Bündnis halten wird, können kaum seriös beantwortet werden. Realistisch ist nur: Wenn die ersten beiden Jahre geschafft werden, wäre ein Platzen in den drei Jahren danach ziemlich blöd. In den kommenden 24 Monaten gibt es nichts zu verschenken, gewinnen oder mit Erfolgen zu punkten. Sacharbeit und Sparkurs sind das Diktat des Jahres. Als Sollbruchstelle beziehungsweise Sprengfalle hat SPÖ-Andreas Babler Markus Marterbauer den Ökonomen-Yoda der Linken in die Regierung eingebaut.

Zur ersten Bewährungsprobe wird es bereits in wenigen Tagen oder Wochen kommen: Wenn die neuen (!) SPÖ-Ministerinnen feststellen dürfen, dass sie wie im Regierungsübereinkommen festgeschrieben und für Brüssel versprochen, 1,1 Milliarden Euro in den Ressorts ohne Personalkürzungen einsparen müssen. Ob Justiz, Soziales oder Frauen. Das Wehklagen über diese nicht zu bewältigende Aufgabe wird bereits in den ersten Interviews einsetzen. Ausgerechnet Marterbauer muss dann hart bleiben, um nicht sofort eine negative Kettenreaktion in den anderen Ministerien auszulösen. Das wird spannend. Oder anders: Rudolf Edlinger formulierte einst 1999 im Streit zwischen seiner Kanzlerpartei SPÖ und dem potenziellen Koalitionspartner ÖVP um das Finanzressort gewohnt derb: „Eher lasse ich meinen Hund auf meine (Knack)-wurst aufpassen als die ÖVP das Geld der Steuerzahler.“ (Es wurde dann ohnehin Schwarz-Blau.) Nun soll die Wurst vermutlich ins Hundeheim geliefert werden. Sollte das Konstrukt wider Erwarten halten, wird es 2026 interessant: Dann wird es neue Regierungsverhandlungen geben, welcher der angekündigten Steuersenkungen oder Investitionen umgesetzt werden und welche nicht. In dieser Phase werden dann etwa die Neos am Verhandlungstisch nervös werden und überleben, aufzustehen…

Aber das Marterbauer-Gejammere aller, die an die Wirtschaft und nicht den Staat als Garant oder Verteidiger des Wohlstands glauben, ist müßig. Der Mann wird heute angelobt. Jemanden besseren kriegen wir so bald nicht. Ähnliches lässt sich auch über Andreas Babler sagen, der als Vizekanzler viele Frühstücksdirektoren-Termine machen darf und nach machttechnisch erfolgreichen Regierungs- und Ministerverhandlungen gegen die ÖVP, vor allem aber gegen die Genossen in Wien und St. Pölten fröhlich-fest im Sattel sitzt. Andreas Babler wird uns also bleiben.  Angesichts der sich rapide verdunkelnden internationalen Sicherheitslage und der maroden Wirtschaft kann man nur noch hoffen, dass das letzte Aufgebot von ÖVP und SPÖ mit dem medial anfangs sicher beklatschten Neos-Aufputz wenigstens das Mindestmaß liefert. Einfach leise regieren und nicht noch mehr Geld ausgeben. Sie kann uns nur positiv überraschen, die Erwartungshaltung liegt knapp über der Nulllinie.  

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