Deckel für Wahlärzte? Eine Nebelgranate der ÖGK
Gerald Loacker ist Jurist und geschäftsführender Gesellschafter bei der BWI Unternehmensberatung GmbH, die auf Vergütungssysteme und Gehaltsvergleiche spezialisiert ist. Außerdem arbeitet er als Sachverständiger für Berufskunde, Arbeitsorganisation und Betriebsorganisation. Bis Oktober 2024 war er als Abgeordneter zum Nationalrat in den Bereichen Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft sowie als stellvertretender Klubobmann der NEOS tätig.
Der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Andreas Huss, fordert eine gesetzliche Obergrenze für Wahlarzthonorare: das 2,5-Fache eines Kassentarifs. Das klingt nach Ordnung, ist aber eine Nebelgranate.
Die ÖGK pfeift finanziell aus dem letzten Loch, obwohl die aktuelle Bundesregierung bereits Maßnahmen beschlossen hat, die dem größten Krankenversicherungsträger schon 2025 mehrere hundert Millionen und ab 2026 ungefähr eine Milliarde Euro jährlich an zusätzlichen Einnahmen bescheren. Sich still zu freuen ist aber nicht die Sache von Andreas Huss. Er bläst zum Angriff auf die Wahlärzte und will deren Honorare gesetzlich auf das 2,5-fache des Kassentarifs einschränken. Das sei in Deutschland auch so, erklärt der Kassenfunktionär.
Diese Forderung ergibt in mehrfacher Hinsicht keinen Sinn:
Erstens: Wahlärzte stehen mit der ÖGK in keinem Vertragsverhältnis. Was sie verrechnen, geht die Kasse nichts an, denn sie bezahlt ihnen nichts.
Zweitens: Die ÖGK ersetzt Wahlarzthonorare nicht. Versicherte erhalten maximal 80 Prozent des Kassentarifs refundiert, also dessen, wie viel ein Kassenarzt für dieselbe Leistung bekäme. Die Höhe des Wahlarzthonorars ist dafür irrelevant.
Jeder Wahlarztbesuch bringt der ÖGK 20 Prozent Einsparung.
Gerald Loacker
Drittens: Die ÖGK profitiert sogar, wenn Versicherte zum Wahlarzt gehen. Jede Wahlarztleistung kostet die Kasse höchstens 80 Prozent dessen, was beim Kassenarzt fällig wäre. So bringt jeder Wahlarztbesuch 20 Prozent Einsparung.
Viertens: Von welchem Tarif spricht Huss? Vom Kassentarif der ÖGK-Landesstelle Wien, der Landesstelle Vorarlberg oder vom Beamtentarif der BVAEB? Es gibt keinen einheitlichen Kassentarif. Seine eigene ÖGK hat in fünf Jahren keinen bundesweit gleichen Leistungskatalog zustande gebracht.
Fünftens: Vieles, was Patienten nachfragen, honoriert die Kasse ihren Vertragsärzten gar nicht, zum Beispiel die Hautvorsorge. Das 2,5-fache wovon dürfte diese Leistung dann kosten?
Sechstens: Der Boom bei Wahlärzten und privaten Zusatzversicherungen (nahezu 40 Prozent der Versicherten haben eine) ist Symptom, nicht Ursache. Immer mehr Menschen zahlen privat, weil sie in der Kassenversorgung keine Termine oder nur Dreiminutenblitzmedizin bekommen. Je schlechter die ÖGK leistet, desto weniger zählt der Preis: Der Wahlarztmarkt wächst.

Zu alledem hinkt der Deutschland-Vergleich von Andreas Huss. Bei den deutschen Nachbarn sind die Tarife betriebswirtschaftlich kalkuliert, in Österreich entstehen Tarife im Basar zwischen Ärztekammer und ÖGK. Oft sind diese Tarife sogar degressiv: Je mehr Leistungen der Arzt erbringt, umso niedriger die Vergütung im Einzelfall. Aber vor allem können die deutschen Versicherten ihre Kasse wählen. Wer unzufrieden ist, wechselt. So erhöht Wettbewerb die Servicequalität. Hierzulande bleibt Unzufriedenen nichts anderes übrig, als eine teure Privatversicherung abzuschließen.
Was Huss in dieser Problemsituation liefert, sind Politphrasen statt Lösungen: Eine Preisobergrenze gefällt vielleicht dem sozialdemokratischen Mainstream. Sie senkt aber keine Wartezeiten und macht keine Kassenordinationen attraktiver. Sie schafft keine zusätzliche Kassenstelle, erhöht keine Tarife dort, wo es nötig wäre, und beseitigt keine degressiven Fehlanreize.
Eine Preisobergrenze senkt keine Wartezeiten und macht keine Kassenordinationen attraktiver.
Gerald Loacker
Wer die Kassenversorgung stärken will, muss an die Ursachen:
Erstens: Einheitlicher, transparenter Leistungskatalog statt Länder-Flickwerk.
Zweitens: Schluss mit degressiver Honorierung – mehr Leistung darf nicht weniger wert sein.
Drittens: Auskömmliche Tarife für Leistungen, die heute „unsichtbar“ sind (Prävention, Gespräche, Koordination).
Viertens: Nutzen statt Neid: Der Wahlarzt ist Ventil und Ergänzung. Er nimmt Druck vom System, weil die Kasse nur einen Teil refundiert, Termine schneller verfügbar sind und Kassenordinationen entlastet werden.
Ein Deckel auf Wahlarzthonorare saniert die marode ÖGK nicht. Er lenkt von strukturellen Hausaufgaben ab. Wer Patienten ernst nimmt, setzt auf bessere Kassenleistungen, faire Tarife und echte Wahlfreiheit, statt auf Neiddebatten gegen jene, die für das Loch der ÖGK nicht verantwortlich sind.