Der abgesagte Reformherbst der Regierung

10. November 2025Lesezeit: 5 Min.
Sara Grasel Illustration
Kommentar von Sara Grasel

Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.

Der Reformmotor stottert. Und damit ist nicht die Wirtschaftskammer gemeint, die Harald Mahrer zwar vergangene Woche als Reformmotor bezeichnete, aber das war sicher nicht ernst gemeint. Nein, der Reformmotor der Regierung stottert, aber gewaltig. 

Beginnen wir bei der Reformpartnerschaft, die seit Monaten kaum vom Fleck kommt. Der Stabilitätspakt, der dort verhandelt wird, soll auch einen Überblick über die budgetäre Lage der Länder und Gemeinden geben. Ja, richtig, wir sind hier etwas im Blindflug. Der Finanzminister macht Druck und will noch heuer eine Einigung, die bisher vorgelegten Sparvorhaben der Länder hält er für ungenügend und stellt gleich wieder die Rute der einnahmenseitigen Maßnahmen ins Fenster. Knapp 1 Milliarde Euro könnten die Länder und Gemeinden über dem Defizitpfad leigen, hat die Presse recherchiert – offizielle Zahlen gibt es offenbar noch keine. Das ist natürlich schon steil: Wir wissen nicht so genau, wie sehr die Gemeinden in der Miese sind, sparen werden sie eh nicht genug, also warum nicht einfach die Steuerzahler etwas stärker zur Kasse bitten – die haben es ja, oder so. Die Gebührenerhöhung in Wien lässt grüßen und was das dann wieder mit der Inflation macht, ist auch klar. Am vergangenen Freitag hätte ein Termin stattfinden sollen, um den Stabilitätspakt weiter zu verhandeln. Wurde kurzfristig abgesagt, einige Länder hatten etwas besseres zu tun. 

Mit Sparen ist die Regierung ja schon länger beschäftigt. Deshalb wird es sich heuer auch halbwegs ausgehen, den Plan zu halten, 6,4 Milliarden Euro einzusparen oder vielmehr, nicht wie ursprünglich geplant auszugeben. Nächstes Jahr gehen sich die 8,7 Milliarden Euro weniger sogar gut aus. Das liegt aber nicht an strategischen Weichenstellungen im Frühjahr, sondern vor allem an dem kurzfristig gerade noch aufgeschnürten Beamtenabschluss, wie das Büro des Fiskalrats vergangene Woche vorrechnete. Da fragt man sich schon, wie das in den kommenden Jahren weitergehen soll. Christoph Badelt stellte unmissverständlich klar, dass selbst die Regierung nach dieser und der nächsten Regierung noch wird sparen müssen. Wo sind eigentlich die strukturellen Reformen, die im Herbst hätten folgen sollen – Pensionen (hat Badelt schon eher abgeschrieben, weil politisch offenbar nicht durchsetzbar), Gesundheit, Bildung, Föderalismus. Hier kann man größtenteils nicht einmal davon sprechen, dass etwas verschoben wurde, es scheint ja noch nicht einmal konkrete Ideen zu geben. Lustig, dass wir vor einem Jahr noch geglaubt haben, dass wir da vielleicht ohne Defizitverfahren raus kommen.

Lustig, dass wir vor einem Jahr noch geglaubt haben, dass wir da vielleicht ohne Defizitverfahren raus kommen.

Sara Grasel

Es hätte ein großartiger Reformherbst werden können. Zum Beispiel wollte die Regierung im September, dann im Oktober, dann im November und im Dezember die Industriestrategie vorlegen. Wir reden hier von etwas, wo man wirklich nicht das Rad neu erfinden muss – die Industrierezession dauert nun schon Jahre und es liegt jede nur erdenkliche Idee, die helfen könnte, am Tisch. Die Industriellenvereinigung hat ihre Industriestrategien der vergangenen Jahre im Frühjahr als gebundenes Sammelwerk veröffentlicht, rund 140 Seiten. Inspiration gäbe es genug. Offenbar etwas zu viel, denn die Strategie wurde nun auf 2026 verschoben. 

Und dann gibt es da noch die wichtigen Energiegesetze, die Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer für Sommer angekündigt hatte. Sommer 2025 wohlgemerkt. Das ElWG, Elektrizitätswirtschaftsgesetz, soll die größte Strommarktreform seit 20 Jahren werden. Das EABG, Erneuerbarenausbaubeschleunigungsgesetz, soll endlich festlegen, wo die Windräder gebaut werden müssen, die niemand haben will. Beides wurde mit viel Aufmerksamkeit in Begutachtung geschickt, seither ist es aber recht still. Für das ElWG braucht es eine Zweidrittelmehrheit, also auch die Stimmen der Grünen oder der FPÖ im Nationalrat. Beides eher schwierig. Die Gespräche laufen auf Hochtouren, heißt es auf Nachfrage aus dem Ministerium. Man sei zuversichtlich, rasch eine Regierungsvorlage präsentieren zu können. Zuversicht ist immer gut. 

Schellhorns Kettensäge droht bestenfalls zum Steakmesser zu werden.

Sara Grasel

Damit zumindest irgendwas im – weit in den Winter gedehnten – Reformherbst passiert, darf am 3. Dezember Sepp Schellhorn zum Thema Entbürokratisierung auftreten. Auch das war ursprünglich schon für September geplant. Der Abbau von bürokratischen Lasten ist für die Regierung eigentlich eine super Sache – kostet nämlich in den meisten Fällen nichts, macht für Unternehmen aber einen deutlich spürbaren Unterschied. 160 Vorschläge für den Abbau von Überverwaltung will Schellhorn laut Kleine Zeitung im Dezember dingfest machen. Unklar dürfte jedoch noch sein, ob die Koalitionspartner 160 mal mitgehen. Der SPÖ-Finanzminister wird bei den angedachten Entlastungen für Unternehmen sicher genau hinsehen. Schellhorns Kettensäge droht bestenfalls zum Steakmesser zu werden. Es ist halt in Regierungen nicht wie in Familien: das dritte Kind läuft nicht einfach mit. 

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