Der letzte ÖVP-Kanzler…

1. September 2025Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Rainer Nowak

Rainer Nowak ist CEO der Tageszeitung „Die Presse“. Zuvor war er Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“ und davor Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.

Wie weit die öffentliche und die veröffentlichte Meinung auseinanderklaffen, ist immer wieder hübsch zu beobachten. Gestern, Sonntag, wurde uns etwa erklärt, dass der abgelaufene Sommer vielleicht „gefühlt“ kühl war, aber statistisch heiß. Journalistisch also geradezu gefährlich. Es geht immerhin um den Klimawandel. Neben diesem kleinen Kabarettprogramm gibt es noch das Beispiel Christian Stocker, den die meisten Medien besser finden als die Menschen für die er arbeitet: die Wähler. In den Umfragen liegen er und seine ÖVP weit abgeschlagen hinter Herbert Kickl und dessen FPÖ. Daher muss die Nummer zwei bei der vergangenen Wahl gerechterweise auch als vorletzter in die rituellen ORF-Sommergespräche. Herbert Kickl kann noch eine Woche klettern gehen. Natürlich wird er als Elefant im Raum auch heute Abend mit dabei sein. Und ich schreibe bei einem Covid-Leugner natürlich nicht Babyelefant. 

Wie allseits erwartet haben Stocker, Finanzminister Markus Marterbauer und die Regierung pünktlich zum Schulanfang ein Problem entdeckt: Es fehlen dann doch ein paar weitere Milliarden im Budget, mindestens zwei bis drei müssen noch gefunden werden. Marterbauer wird zum Party-Crasher der Regierungsklausur. Wer darüber überrascht reagiert, ist Schauspieler und/oder folgt dem Drehbuch von ÖVP-Berater Gerald Fleischmann. Das sieht vor, dass Stocker heute seine 2-1-0-Strategie feiert: 2 Prozent Inflation, ein Prozent Wirtschaftswachstum und Null Toleranz bei Extremismus. Daran sehen wir zumindest wie ernst unsere Wirtschaftskrise ist: Ein Prozent Wirtschaftswachstum gilt bereits als optimistisch.

Tatsächlich hält Stocker eine Regierung zusammen, deren Zusammenstellung bis auf die Mitglieder mit Profilierungslust keiner wirklich wollte. Das kann er.

Stocker und drei ÖVP-Landeshauptleute bilden zudem die letzte Bastion, die verhindern sollen, dass Kickl sein strategisches Ziel erreicht: die Zerstörung der ÖVP, beziehungsweise die Redimensionierung zur Kleinpartei, die der FPÖ die Koalitionsmehrheit beschafft. Nach zwei bis drei Jahren Sparkurs, den die Wähler vor allem auf Gemeindeebene spüren werden, stehen drei ÖVP-Länder möglicherweise vor dem Fall: Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich. Drei Landtagswahlen, die nicht nur das Schicksal Stockers besiegeln könnten, sondern das der Volkspartei. Aus heutiger Sicht würden alle drei ÖVP-Mehrheiten halten. Aber in zwei, drei Jahren? Die einst konservative Partei könnte marginalisiert werden. 

Was die Gegenstrategie wäre? Das ist einfach und utopisch zugleich: Der Kanzler müsste erstmals seit Wolfgang Schüssel echte Strukturreformen durchsetzen, notfalls den Konflikt suchen und neue Allianzen bilden. Auch im koalitionsfreien Raum. Aus Rücksicht auf die FM4-Babler-Partei und die UNO-Sicherheitsratstraum-Neos-Truppe auf Konflikt und Reformen zu verzichten (und den ÖAAB-Knecht zu geben), könnte Christan Stocker nur einen Eintrag im Zeitgeschichtebuch bringen: als letzter ÖVP-Kanzler.

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