Die Blauen bleiben unser Blitzableiter

Alexander Purger ist Redakteur der Salzburger Nachrichten und schreibt die satirische Kolumne „Purgertorium“. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Kanzlerbiografie „Wolfgang Schüssel – Offengelegt“.
Dass Benjamin Franklin, der Erfinder des Blitzableiters, nebenbei Politiker war (beziehungsweise Politiker war und nebenbei den Blitzableiter erfand), kann kein Zufall sein. Denn zerstörerische Energie vom Staatsgebäude abzuleiten, ist eine der ureigenen Aufgaben der Politik. In Österreich wird sie von der FPÖ wahrgenommen.
Man stelle sich vor, all die Unzufriedenen im Land würden mit Sensen und Dreschflegel vor die Burgen und Palais ziehen, wie das früher üblich war, und den dortigen Großkopferten (heute sitzen ja die Minister in den Adelspalais) das Dach über dem Kopf anzünden. Das wäre nicht schön. Und vor allem: Es bringt nichts. Daher hat die Demokratie die segensreiche Erfindung der Opposition gemacht. Problemlos können mit ihr Sense, Dreschflegel und Feuerbrand substituiert werden, und zwar auf rein verbalem Wege. Die Opposition ist somit ein Instrument, das sich – so rabiat sie sich mitunter gebärdet – eigentlich den Friedensnobelpreis verdient hat: Denjenigen, die sich gerne aufregen, bietet sie das ideale Ventil, um mit ihrer Wählerstimme gefahr- und folgenlos Dampf abzulassen. Denjenigen, deren Artikulationsfähigkeit sich auf ein bescheidenes „Alles ein Wahnsinn!“ beschränkt, stellt sie gekonnt formulierte Textbausteine zur gefälligen Verwendung zur Verfügung. Und denjenigen, die sich zwar gerne aufregen möchten, aber gerade keinen passenden Anlass dafür zur Hand haben, liefert eine gute Opposition umgehend eine ganze Palette vonAufregungsmöglichkeiten frei Haus.
Erst als die FPÖ sagte: „Leute, darüber könnte man sich gut aufregen“, regten sich die Leute darüber auf.
Nehmen wir zum Beispiel Sky Shield: Niemand wäre je auf die Idee gekommen, sich darüber zu alterieren, dass sich Österreich einen Schutz gegen feindliche Drohnen und Raketen zulegt. Niemand. Erst als die FPÖ sagte: „Leute, darüber könnte man sich gut aufregen“, regten sich die Leute darüber auf. Angeschafft wird der notwendige Schutz gegen Drohnen und Raketen natürlich trotzdem. Aber das ist ja egal. Man wird schon wieder einen anderen Grund finden, um sich zu erregen. Dem Blitz ist es ja im Grunde gleichgültig, wo er einfährt.
Dies alles wird hier nur deswegen so ausgebreitet, um den Blauen Trost zuzusprechen. Viele in der Partei sind betrübt, weil ihre Führung trotz Wahlsieg und Regierungsbildungsauftrag die Chance auf Kanzlerschaft und Regierungsbeteiligung vergeigt hat. Aber wer weiß, ob da nicht höhere Weisheit dahintersteckte. Denn die FPÖ ist die geborene Oppositionspartei. Ihren Erfindungsreichtum beim Ersinnen von Aufregungsgründen (man denke nur an Jörg Haiders Schildlausjoghurt bei der EU-Volksabstimmung) ist unerreicht. Als Blitzableiter ist sie für das heimische politische System unverzichtbar. Dafür haben die Wähler auch ein feines Gespür. Jedes Mal, wenn die Freiheitlichen von der Opposition in die Regierung wechselten, also nicht mehr Blitzableiter, sondern selbst das Gebäude sein wollten, wurden sie dafür vom Wähler abgestraft. Wenn sie sich auf ihre Blitzableiter-Funktion besannen, ging es wieder bergauf.
So gesehen war es nur folgerichtig, dass Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag zurücklegte, die Kanzlerschaft fahren ließ und durch die teilweise ungeheuerlichen Forderungen, die er in den Koalitionsverhandlungen erhob, dafür vorsorgte, dass so bald niemand mehr auf die Idee kommen wird, mit der FPÖ eine Regierung zu bilden. Nein, jeder soll das machen, was er am besten kann. Die Blauen sind und bleiben unser Blitzableiter, unser Stangerl am Dach.