Die größte Pensionsreform seit 20 Jahren – was sie wirklich hergibt

12. Mai 2025Lesezeit: 5 Min.
Kommentar von Gerald Loacker

Gerald Loacker ist Jurist und geschäftsführender Gesellschafter bei der BWI Unternehmensberatung GmbH, die auf Vergütungssysteme und Gehaltsvergleiche spezialisiert ist. Außerdem arbeitet er als Sachverständiger für Berufskunde, Arbeitsorganisation und Betriebsorganisation. Bis Oktober 2024 war er als Abgeordneter zum Nationalrat in den Bereichen Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft sowie als stellvertretender Klubobmann der NEOS tätig.

Die Politik liebt Superlative: „Größte Reform seit Jahrzehnten“, „historischer Schritt“ – das klingt nach Entschlossenheit, Vision und Handlungswillen. Doch oft halten solche Aussagen einer nüchternen Analyse nicht stand. Auch die zuletzt präsentierte Pensionsreform der Bundesregierung wird mit starken Worten beworben. Ein genauer Blick zeigt: Es sind durchaus wichtige Schritte dabei, aber von einer echten, nachhaltigen Reform sind wir noch ein gutes Stück entfernt.

1. Korridorpension: Kosten in die Zukunft verschieben statt sparen

Die Erhöhung des Korridorpensionsalters von 62 auf 63 Jahre sowie die Anhebung der erforderlichen Versicherungsjahre von 40 auf 43 sollen das Pensionssystem entlasten. Kurzfristig gelingt das, weil der Zugang zur Frühpension erschwert wird. Langfristig hingegen führt diese Maßnahme kaum zu Einsparungen. Denn wer länger arbeitet, hat mehr Beitragsjahre und erhält weniger Abschläge – was die Ausgaben ab 2030 wieder erhöht. Voriges Jahr nutzten nur knapp 12.000 von 99.000 Neupensionisten die Korridorpension – im Schnitt mit mehr als 63 Lebensjahren und mehrheitlich mit über 43 Versicherungsjahren. Die Wirkung der Neuregelung wird also bescheiden sein. Wirklich effektiv wären tiefere Eingriffe in das Pensionsrecht – etwa eine Reduktion des Steigerungsbetrags von derzeit 1,78 % pro Versicherungsjahr. Der bestehende Wert von 1,78 ergibt bei 45 Versicherungsjahren immer 80 % Pensionsleistung. Mit dieser Formel reichen die Beiträge für gut 12 Jahre im Ruhestand. Für durchschnittlich mehr als 22 Pensionsjahre ist das aber viel zu hoch. Dieser Aspekt bleibt jedoch politisch tabu.

2. Nachhaltigkeitsmechanismus: Wird er Kraft haben?

Ein sogenannter „Nachhaltigkeitsmechanismus“ soll künftig greifen, wenn die Pensionsausgaben den vorgesehenen Rahmen überschreiten. Die Idee ist richtig und überfällig – immerhin scheiterte bereits der Nachhaltigkeitspfad der Schüssel-Reform an der politischen Durchsetzung. Doch die Details lassen Zweifel zu: Wenn der Sozialminister bei Abweichungen lediglich einen Bericht mit Vorschlägen erstellen muss, bleibt die Maßnahme zahnlos. Effektiv wäre ein in der Verfassung verankerter Mechanismus, der automatisch Konsequenzen nach sich zieht – etwa geringere Pensionserhöhungen bei Nichteinhaltung des Pfads. Andere Länder, beispielsweise Schweden, arbeiten mit automatischen Mechanismen, gerade um die Pensionen aus dem politischen Tagesgeschäft draußen zu halten, in dem Parteien einander in populistischen Volten zu überbieten suchen. Ohne Automatik ist dieser Mechanismus zum Scheitern verurteilt.

3. Teilpension auf eigene Kosten statt Altersteilzeit auf Kosten Dritter

Die geplante Einführung einer Teilpension wäre ein echter Fortschritt. Statt dem starren „Alles-oder-nichts“-Prinzip können Versicherte künftig zu 25 % oder 50 % in Pension gehen und in reduziertem Umfang weiterarbeiten. Das erhöht nicht nur die individuelle Flexibilität. Diese Teilpension bietet eine Disposition über das eigene Pensionskonto. Sie legt die Basis, um die Altersteilzeit zu ersetzen, die als Frühpensionsmodell über die Arbeitslosenversicherung von der Allgemeinheit gesponsert wird. Die Altersteilzeit ermöglicht ein vom AMS subventioniertes Gehalt bei weniger Arbeitsleistung und gleichzeitig vollen Pensionsansprüchen. So hängen die Erwerbstätigen die finanziellen Folgen der eigenen Entscheidung, weniger zu arbeiten, anderen um. Weil die Teilpension sich darauf beschränkt, flexibler über das eigene Pensionskonto zu verfügen, kann die Altersteilzeit, als 600 Millionen teures Geschäft zu Lasten Dritter entfallen. Die Teilpension hat damit das Potenzial, ein epochaler Schritt zu werden. Noch handelt es sich allerdings um eine Ankündigung, kein beschlossenes Gesetz.

4. Teure Frühpensions-Anreize

Besonders fragwürdig ist die Fixierung der ersten Pensionserhöhung auf 50 % der Inflationsrate – unabhängig vom Pensionsstichtag. Bis Anfang 2019 galt eine sinnvolle Regelung: Erst nach einem vollen Kalenderjahr in Pension wurde die erste Anpassung gewährt. Dass es nun attraktiver ist, etwa am 1. Dezember statt am 1. Jänner in Pension zu gehen, um die Erhöhung aus dem alten Jahr noch mitzunehmen, zeigt die Schieflage. Diese Erhöhung im ersten Pensionsjahr stammt aus der Feder der schwarz-grünen Regierung, verteuerte das System um rund 600 Millionen Euro jährlich und sollte dringend zurückgenommen werden. Politische Geschenke dieser Art tragen in ihrer Kombination wesentlich zum Pensionsloch von mehr als 30 Milliarden jährlich bei.

5. Höhere Krankenversicherungsbeiträge – mit Nebenwirkungen

Was wie eine Maßnahme zur Stabilisierung der Krankenversicherung aussieht, hat auch Auswirkungen auf die Pensionsversicherung. Denn durch ein nebulöses System von Multiplikatoren („Hebesatz“) muss die Pensionsversicherung höhere Zahlungen an die Krankenversicherung leisten, sobald die KV-Beiträge der Pensionisten steigen. Die Erhöhung der KV-Beiträge auf 6,0 % reißt somit still und heimlich ein zusätzliches Loch von rund 400 Millionen Euro jährlich in die Pensionsfinanzen. Kein Problem, denn anders als bei der ÖGK werden Löcher in der Pensionsversicherung einfach mit Geld aus dem Bundesbudget zugedeckt. Die Lücke im Staatshaushalt lässt sich auf diese Weise jedoch nicht schließen.

Fazit: Ein Anfang – aber kein Durchbruch

Nach Jahren der Reformverweigerung ist es prinzipiell zu begrüßen, dass das Pensionssystem überhaupt wieder auf die politische Agenda gerückt ist. Doch vom großen Wurf, der das System langfristig finanzierbar macht, kann keine Rede sein. Viele Maßnahmen wirken kurzfristig, manche gehen sogar in die falsche Richtung und verteuern das System. Besonders bezeichnend: Nicht einmal für diese überschaubaren Schritte fand sich genug politische Einigkeit, um sie geschlossen zu präsentieren. Die Kraft der verantwortlichen Sozialministerin reichte nicht aus, um gemeinsam mit den Koalitionspartnern aufzutreten. Für ein enkelfittes Pensionssystem braucht es weit mehr als symbolische Anpassungen – es braucht den politischen Willen, an die strukturellen Grundlagen zu gehen. Dieser Wille ist bislang bei den entscheidenden Playern nicht erkennbar.

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