Die kleinen Großkoalitionäre von Berlin und Wien

Rainer Nowak ist österreichischer Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“. Zuvor war Nowak Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.
Friedrich Merz gewinnt das Kanzleramt der wichtigsten Industrienation mit einem Ergebnis, das auch nicht viel besser als das der ÖVP in Wien war. Nun muss er wie die mit den Sozialdemokraten regieren. Zumindest die FDP scheint ihm erspart zu bleiben.
Wahlsonntage werden nicht nur durch aufgesetzte Emotionen, falschen Applaus und trotzige Aussagen gekennzeichnet, sondern den Nebel, der sich erst langsam lichtet. In Österreich. In der Berliner Runde am Wahlabend war das nach der geschlagenen Bundestagswahl dankenswerterweise anders. Mit Olaf Scholz und Christian Lindner verabschiedeten sich zwei Spitzenkandidaten und zwei Ampel-Chefs professionell und kühl aus Wahlkampf und dem politischen Leben. Das politische Beben war zu erwarten gewesen, wird aber Deutschland massiv verändern. Ein Drittel der Wähler gaben ihre Stimmen drei populistischen Parteien der extremen Rechten und Linken, zwei davon mit eindeutiger Nähe zu Vladimir Putin und seinem Russland.
Die FDP hat das desaströse Kunststück geschafft, als zweitwichtigste Ampelpartei mit dem Finanzressort aus dem Parlament zu fliegen. Nur zur Erinnerung: Die FDP ist im Gegensatz zu den österreichischen Neos quasi einer der Gründungspfeiler der deutschen Demokratie. Dass die Liberalen schon einmal aus dem Bundestag geflogen waren und ausgerechnet von Christian Lindner zurückgebracht wurden, ist der Treppenwitz für den größten Unglücksvogel der deutschen Politik. Die Wirtschaftspartei fällt weg während der größten Wirtschafts- und Industriekrise der vergangenen Jahrzehnte? Kannst du nicht erfinden. Brauchst du Christian Lindner.
Also Groko ohne Gro in Deutschland: Friedrich Merz hat im Gegensatz zu Karl Nehammer nach der Wahl den großen Vorteil, dass sowohl seiner Partei als auch der SPD glasklar ist, dass es angesichts von wiederkehrenden Rezessionsängsten, aber vor allem des Donald-Trump-Hurrikans von Washington bis Moskau, der das Friedensprojekt EU bedroht, sofort eine handlungsfähige Regierung in Berlin und Europa braucht. Was irgendwelche Parteiinteressen, Funktionäre, Landespolitiker oder Lobby-Gruppen brauchen und wollen, ist schlicht irrelevant. Merz muss massiv militärisch aufrüsten lassen, mit Boris Pistorius an seiner Seite dürfte die übliche Mal-10-Formel zwischen Deutschland und Österreich in Berlin zum Glück übertroffen werden. Nichts gegen Christian Stocker und Andreas Babler.
Für Beate Meinl-Reisinger gilt spätestens seit dem schwarzen Lindner-Sonntag: Keine Politik zwecks persönlicher Interessensmaximierung. Es kann sehr schnell zu Ende gehen. Gilt für alle im politischen Geschäft. Wer wüsste das besser als Friedrich Merz.