Die ÖGK und der ewige Ruf nach mehr Geld

25. Februar 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Gerald Loacker

Gerald Loacker ist Jurist und geschäftsführender Gesellschafter bei der BWI Unternehmensberatung GmbH, die auf Vergütungssysteme und Gehaltsvergleiche spezialisiert ist. Außerdem arbeitet er als Sachverständiger für Berufskunde, Arbeitsorganisation und Betriebsorganisation. Bis Oktober 2024 war er als Abgeordneter zum Nationalrat in den Bereichen Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft sowie als stellvertretender Klubobmann der NEOS tätig.

Die finanziellen Prognosen der österreichischen Sozialversicherungsträger sind am Beginn des Jahres immer dramatisch. In der Regel bessern sich die Zahlen im Jahresverlauf. Daher darf man die Nerven noch nicht wegschmeißen, wenn die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) diesen Februar ein Minus von 900 Mio. Euro für das Jahr 2025 prognostiziert.

Die Lage könnte nämlich schlimmer sein: Es ist noch das Glück der Kasse, dass den Bundesländern das Verlagern von Spitalsleistungen in den ambulanten Bereich nicht gelingt. So lange die Länder als wesentliche Spitalserhalter ein Interesse an vollen Betten haben, droht der ÖGK von dieser Seite keine Gefahr.

Wer weniger arbeitet, zahlt niedrigere Beiträge, bezieht aber volle Leistung.

Allerdings kämpft die ÖGK mit einigen Faktoren, die ihre Finanzlage zukünftig belasten werden: Eine älter werdende Bevölkerung nimmt entsprechend mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch. Dieser Trend wird sich verstärken, wenn die frisch pensionierten Boomer in zehn Jahren beginnen, ernsthafte gesundheitliche Probleme des Alters zu entwickeln. Bei den jüngeren Versicherten fallen durch die Tendenz, weniger zu arbeiten, wichtige Beitragsgelder aus: Wer weniger arbeitet, zahlt niedrigere Beiträge, bezieht aber volle Leistung.

Maßnahmen, die dem entgegenwirken, kann das extrem träge System der „Selbstverwaltung“ nicht setzen. Die von Kämmerern aus WK und AK im Nebenberuf gesteuerte Kasse verwaltet die Gelder der Versicherten nach dem Prinzip der – lachen Sie nicht! – „einnahmenorientierten Ausgabenpolitik“. Das bedeutet, dass so viel ausgegeben werden soll, wie eingenommen wird. Blicke in die Zukunft, Rückstellungen für zukünftige Verpflichtungen, Prophylaxe zur Reduktion drohender Verpflichtungen und dergleichen sind diesem System fremd. Ein Sozialversicherungsträger bilanziert nämlich nicht wie ein Unternehmen. Es schließt einfach ein Jahr nach dem anderen ab.

Ein Blick in die Zukunft würde massive Rückstellungen zum Beispiel für die Behandlung absehbarer Rückenleiden, Krebserkrankungen oder Niereninsuffizienzen erfordern. Ein solches Bilanzieren, das den Blick in die Zukunft einschließt, müsste zu kaufmännischen Maßnahmen führen, die aktuelle Ausgaben neu verteilen, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Das wäre auch ohne Verlust von Versorgungsqualität möglich.

Beispielsweise hätte die Nummer 1450 als Gesundheitshotline großes Potenzial. Derzeit können die Versicherten dort anrufen, sich eine medizinische Auskunft holen – und trotzdem das Gegenteil tun. Etwa rät die Fachkraft bei 1450, am folgenden Montag den Hausarzt zu konsultieren, aber der Anrufer spaziert direkt zum Facharzt oder gleich in die Spitalsambulanz. In anderen Ländern, beispielsweise in Dänemark, sind solche Hotlines Teil eines verbindlichen Leitsystems für Patienten. Kein Däne weist sich einfach selbst ins Spital ein. Derartige Patientenlenkung erspart unnötige Untersuchungen und schont Kapazitäten bei teuren Ressourcen. Manche Länder weisen aus, dass bis zu 60 Prozent der Fälle überhaupt durch die Gesundheitshotline erledigt werden konnten.

Ein weiterer Ausbau zu echter Telemedizin würde zudem Wege reduzieren, Ansteckungen im Wartezimmer vermeiden, das Aus- und Anziehen im Untersuchungszimmer ersparen und somit Ressourcen schonen, um nur die einfachsten Dinge zu nennen. Telekonsil mit einem weiteren Arzt erspart mühsame Überweisungen und Wartezeiten. Dieses Potenzial ist in der österreichischen Kassenmedizin bisher weitgehend ungenutzt.

Festgefahren sind auch die Standpunkte zur Frage von Selbstbehalten im Gesundheitswesen. Während die Versicherten in der Selbständigenversicherung (SVS) und im öffentlichen Dienst (BVAEB) für ihre Arztbesuche Selbstbehalte zahlen, konsultieren täglich zehntausende ÖGK-Versicherte ihre Ärzte zum Nulltarif. Während diese finanziell kleinen Leistungen ohne Selbstbehalt erbracht werden, müssen die Versicherten dann umso tiefer in die Tasche greifen, wenn es ernst wird: Heilbehelfe wie Kontaktlinsen oder Hörgeräte reißen oft große Löcher ins private Budget. In Österreich sind Selbstbehalte politisch weitgehend tabuisiert, doch in anderen Ländern bilden sie einen festen Bestandteil der Patientensteuerung, weil sie ein Bewusstsein für die Kosten des Systems schaffen.

Wenn also die Österreichische Gesundheitskasse ein Defizit ausweist, lösen die Rufe nach mehr Geld von Kassenfunktionären wie Andreas Huss nichts. Es geht ebenfalls am Problem vorbei, die Versicherten für einen Mercedes zahlen zu lassen und ihnen nur einen VW Golf zu bieten, wie Dachverband-Chef Lehner das vorgeschlagen hat. Das System braucht gedanklich neue Zugänge, neue Lösungen, neues Denken. Sonst schütten wir nur Geld in marode Strukturen.

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