Die ÖVP, der mittlere Puzzleteil
Alexander Purger ist Redakteur der Salzburger Nachrichten und schreibt die satirische Kolumne „Purgertorium“. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Kanzlerbiografie „Wolfgang Schüssel – Offengelegt“.
Ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnen immer die Deutschen. – Diese alte Fußballer-Weisheit stimmt, wie man weiß, schon längst nicht mehr. Im Gegensatz zur alten Koalitionsverhandler-Weisheit: Die Bildung einer neuen Regierung dauert, so lange sie dauert, und am Ende sitzt immer die ÖVP am Ministerratstisch. – Diese Regel gilt immer noch, und das seit bald 40 Jahren. Auch dieser Tage hat sie ihre unumstößliche Geltung bewiesen: Die ÖVP scheitert an der Regierungsbildung mit SPÖ und Neos, die ÖVP scheitert an der Regierungsbildung mit der FPÖ, und wer rückt damit ins Zentrum der Regierungsbildung? Die ÖVP.
Man kann es ihren Gegnern kaum verdenken, dass sie angesichts dieses Zustandes einen dicken Hals und alle Zustände bekommen. Tatsächlich gibt es keine Partei, die derart aufregt wie die Volkspartei. Die Babler-SPÖ wird teils belächelt, die Kickl-FPÖ wird teils verachtet, aber von ihren Kontrahenten wirklich inbrünstig gehasst wird nur die ÖVP. Sie ist in ihren Augen wie der Hausstaub: Man wischt und wischt und wischt, aber er ist immer da.
So ist es tatsächlich: Unter den gegebenen politischen Umständen und Mehrheitsverhältnissen ist eine Regierungsmehrheit ohne die ÖVP nicht herzustellen. Rot-Grün hat keine Mehrheit, Rot-Grün-Neos hat keine Mehrheit und Rot-Blau hätte zwar eine Mehrheit, aber die beiden wollen einfach nicht miteinander. Herbert Kickl legte nach dem Scheitern seiner Gespräche mit der ÖVP lieber den Regierungsbildungsauftrag zurück, als die Telefonnummer von Andreas Babler zu wählen. Was man zwar irgendwie verstehen kann, doch andererseits ist durch die rot-blaue Eiszeit die ÖVP als Regierungspartei pragmatisiert und zementiert. Zum letzten Mal in der Opposition saß sie in den späten 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts während der rot-blauen Koalition Sinowatz/Steger. Als Franz Vranitzky diese Zusammenarbeit wegen Jörg Haiders Machtübernahme in der FPÖ beendete, eröffnete er damit die schier endlose Reihe von ÖVP-Regierungsbeteiligungen.
Seither ist sie so etwas wie der mittlere Puzzleteil im großen österreichischen Machtspiel. Oben, unten, links und rechts liegen ebenfalls Puzzleteile herum, aber sie passen nicht zueinander bzw. ergeben kein mehrheitsfähiges Gesamtbild. Nur die ÖVP hat Ärmchen in alle Richtungen und ist damit in der Lage, das Machtpuzzle zu lösen – mal mit der einen, mal mit der anderen Seite. Man kann dieses Mit-allen-Können als machtversessene Grundsatzlosigkeit ansehen und tatsächlich hat sich die ÖVP in der Vergangenheit schon in alle möglichen Richtungen fast bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Doch umgekehrt muss man fragen: Würde man die ÖVP mit einem Regierungsverbot belegen (wovon ein rechter FPÖ-Mandatar unlängst träumte und worin ihm viele linke ÖVP-Gegner sicherlich beipflichten), wer regiert dann Österreich? – Ernstgemeinte Zuschriften an den Verlag.