Die Rezession ist vorbei, die Probleme bleiben

Matthias Reith blickt auf 15 Jahre Erfahrung bei Raiffeisen Research zurück. Als Senior Ökonom analysiert und kommentiert er Österreichs Volkswirtschaft sowie den heimischen Immobilienmarkt. Ferner befasst sich Matthias Reith mit anderen Euroländern sowie der gesamten Eurozone und betrachtet dabei neben der Konjunktur insbesondere fiskalpolitische Fragestellungen.
Die Zeiten mögen derzeit besonders unsicher sein, unter Ökonomen und Ökonominnen gab es bis vor kurzem trotzdem eine Gewissheit: Österreich wird auch heuer in der Rezession verharren – das dritte Jahr in Folge. Dieser Grundkonsens scheint nun ins Wanken zu geraten, erste Prognosehäuser haben das dritte Rezessionsjahr „abgesagt“ und erwarten „Wachstum“ knapp über der Nulllinie, weitere werden folgen. Was steckt hinter diesem Sinneswandel?
Wer kennt es nicht: Mit der Zeit verändert sich die Sichtweise auf das Erlebte, die Vergangenheit wird rückblickend in einem positiveren Licht gesehen. Die Statistiker und Statistikerinnen stellen in dieser Hinsicht derzeit keine Ausnahme dar. Es bleibt dabei: Das Jahr 2024 war für die österreichische Wirtschaft ein schlechtes – aber ein etwas weniger schlechtes als noch vor kurzem angenommen. Der Rucksack, mit dem die Konjunktur ins Jahr 2025 gestartet ist, ist dadurch auf einmal viel leichter als bei Erstellung der diversen Frühjahrsprognosen gedacht. Allein dieser etwas gnädigere Blick auf die konjunkturelle Vergangenheit erhöht die Prognosen des laufenden Jahres um mehr als 0,3 Prozentpunkte. Aus einer Mini-Rezession wird wie von Geisterhand ein Mini-Wachstum.
Die Prognosen mögen sich derzeit bessern, für den Ausblick gilt das hingegen nur bedingt. Die Stimmung ist besser als noch Ende letzten Jahres, aber (noch) nicht gut. Die Rezession mag vorbei sein, die konjunkturellen Bäume wachsen deswegen jedoch nicht in den Himmel. Ein Aufschwung ist Wachstum im Graubereich des ökonomischen Stillstands nämlich nicht. Am Umstand, dass Österreich in Sachen Wirtschaftswachstum heuer einmal mehr das Schlusslicht Europas sein wird, dürfte die erwartete Rückkehr auf den sehr schmalen Wachstumspfad also nichts ändern.
Das Wachstum sollte 2026 höher sein als 2025. Im kommenden Jahr wie auch 2027 erscheint ein Plus von jeweils etwa einem Prozent realistisch. Nach der de-facto Stagnation im laufenden Jahr wird Österreich also wieder wachsen. Das ist erfreulich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der erwartete Aufschwung kein Aufschwung „wie damals“ sein wird. Auch 2026 und 2027 wird Österreich zu den konjunkturellen Schlusslichtern der EU gehören. Erst Ende 2027 dürfte die Konjunktur wieder dort sein, wo sie den Wachstumspfad im Frühjahr 2022 verlassen hat. Das sind nicht weniger als fünf „verlorene Jahre“ für Österreichs Wirtschaft. Wichtiger als die Frage, ob heuer ein drittes Rezessionsjahr vermieden werden kann sind daher Antworten darauf, wie die strukturellen Wachstumshindernisse beseitigt werden können.
„Auch 2026 und 2027 wird Österreich zu den konjunkturellen Schlusslichtern der EU gehören.“
Matthias Reith
Denn konjunkturelle Schwankungen kommen und gehen, strukturelle Probleme bleiben – und davon gibt es nicht gerade wenige. Auch wenn die größten Anstiege bei Inflation und Löhnen bereits hinter uns liegen: Daran, dass Preise und Löhne deutlich höher sind als noch vor ein paar Jahren, ändert das nichts. Ende 2019 lagen die österreichischen Stundenlöhne 11 % über dem Euro-Schnitt, Ende 2024 war die Arbeitsstunde in Österreich um ein Viertel teurer. Dieser Kostensockel bleibt und lastet auf der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen (Export-)Wirtschaft. Inflation nicht als Untergrenze, sondern als absolute Obergrenze – das muss eine Zeit lang die Richtschnur in den Lohnverhandlungen sein. Die massiven Lohnkostenanstiege haben die Profitabilität heimischer Betriebe dahinschmelzen lassen wie das Eis in der Frühlingssonne. Weniger Gewinne heißt weniger Spielraum für Investitionen. Kein Wunder also, dass kaum ein Unternehmen daran denkt, hierzulande die Produktionskapazitäten zu vergrößern. Wenn dann finden neue Investitionen im Ausland statt. Investiert wird hierzulande nur, wenn es nicht anders geht, wenn also in die Jahre gekommene Maschinen ersetzt werden müssen – oder wenn dadurch Arbeitskräfte eingespart werden können (Rationalisierungsinvestitionen). Hier sind österreichische Unternehmen europaweit vorne mit dabei, was angesichts der starken Lohnanstiege (bei gleichzeitig rückläufiger Produktivität) aber auch allzu verständlich ist.
„Die massiven Lohnkostenanstiege haben die Profitabilität heimischer Betriebe dahinschmelzen lassen.“
Matthias Reith
Die aktuelle Investitionsschwäche ist nicht nur kurzfristig/konjunkturell ein Problem, sondern auch langfristig/strukturell. Wer heute weniger investiert, ist morgen weniger innovativ … und das ist gerade für ein Hochlohnland wie Österreich fatal. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit ist insbesondere aufgrund des Teilzeit-Booms verglichen mit 2019 um 5 % gesunken – ein Spitzenwert innerhalb Europas. Zum Vergleich: In der Eurozone ist die Wochenarbeitszeit wieder auf dem Vor-Corona-Niveau. Würden alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Österreich im selben Ausmaß arbeiten wie vor der Pandemie, hätten wir auf einen Schlag mehr als 180.000 zusätzliche Vollzeitstellen. Die fehlen vielleicht nicht jetzt, spätestens jedoch im nächsten Aufschwung.
Diese und andere Wachstumsbremsen schränken unsere langfristigen Perspektiven ein. Sah die EU-Kommission das Potenzialwachstum Österreichs in den Jahren vor Corona noch bei durchschnittlich gut einem Prozent, traut die Kommission Österreich derzeit (Frühjahrsprognose 2025) nur mehr 0,3 % zu (Durchschnitt 2024-2026). EU-weit wird der langfristige Ausblick nur für Estland noch verhaltener beurteilt. Um die „Fitness“ der österreichischen Wirtschaft ist es derzeit folglich nicht sonderlich gut bestellt. Im Wettlauf mit den anderen Ländern geht Österreich schneller die Puste aus. Ein „Fitnessprogramm“ ist daher notwendig, um mit den anderen Ländern wieder mithalten zu können. Dass die längste Rezession heuer doch nicht in die Verlängerung geht, ist vor diesem Hintergrund nicht nur erfreulich, sondern auch gefährlich. Wenn es regnet, ist jedem/jeder Hausbesitzer und Hausbesitzerin daran gelegen, das Loch in seinem Dach schnellstmöglich zu reparieren. Hört der Regen auf, wird die Reparatur auf die lange Bank geschoben, das Loch im Dach wird eher größer als kleiner. Kehrt nun das Wachstum zurück, könnten notwendige Reformen ausbleiben. Und das wäre ein Problem. Denn je länger mit Kurskorrekturen gewartet wird, desto drastischer müssen diese letztendlich ausfallen.
„Im Wettlauf mit den anderen Ländern geht Österreich schneller die Puste aus.“
Matthias Reith