Drei Tipps für Neo-Gouverneur Martin Kocher

10. September 2025Lesezeit: 5 Min.
Kommentar von Heike Lehner

Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin und Generalsekretärin der Aktion Generationengerechtigkeit. Ihre Spezialgebiete liegen im Bereich der Geldpolitik und Finanzwirtschaft, wozu sie aktuell ebenso promoviert.

Mit 1. September 2025 hat Martin Kocher sein neues Amt als Gouverneur der Österreichischen Nationalbank (OeNB) angetreten. Für die nächsten sechs Jahre wird er also Österreich in Frankfurt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) vertreten. Geldpolitisch kommt er in einer höchst spannenden, aber auch ebenso herausfordernden Zeit in die Runde. 2025 ist ein Jahr des Umbruchs: Die Amtszeit von gleich sieben EZB-Gouverneuren endet. Ein idealer Moment also für drei Bitten an den neuen Gouverneur, zusammengefasst unter dem Motto: „Schuster, bleib bei deinen Leisten.“

1. Nur wer die Hände frei hat, kann eingreifen

Dass die Unabhängigkeit der US-amerikanischen Zentralbank Federal Reserve (Fed) seit ein paar Monaten massiv unter Beschuss steht, ist nichts Neues. Fed-Präsident Jerome Powell wird von Donald Trump beschimpft, eine Gouverneurin versucht er sogar zu entlassen. In der Eurozone könnte man sich in Sicherheit wiegen. Oder? Das Problem der „fiskalischen Dominanz“, also wenn Staatshaushaltsdebatten die Geldpolitik überlagern, ist auch in der Eurozone kein neues Phänomen. Die Bilanzsumme der EZB explodierte unter anderem wegen Staatsanleihekäufen im Jahr 2022 auf über 8.000 Milliarden Euro. Selbst wenn diese Bestände schrumpfen, ist eine Rückkehr in den „Normalzustand“ vor der nächsten Krise illusorisch. Politischer Druck ist vorprogrammiert.

Mit aufgeblähten Bilanzen verschwimmen die Grenzen zwischen Fiskal- und Geldpolitik, die Unabhängigkeit leidet. Gerade in Zeiten exorbitant hoher Schuldenstände, gepaart mit unnötig komplexen Schuldenregeln, die ja sowieso nicht eingehalten werden, ist das ein ernstes Risiko. Die EZB hat sich längst überlastet: Unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen sind schon lange nichts Neues. Notfallinstrumente wurden mittlerweile in das Standardrepertoire aufgenommen. Kein Wunder, dass EZB-Präsidentin Christine Lagardes Appelle zu soliderer Haushaltspolitik ungehört verhallen. Ein rascherer Abbau der Anleihebestände der EZB muss auf der Prioritätenliste ganz oben stehen, um Staaten zum Handeln zu zwingen. Hierfür wäre auch eine klare Stimme des neuen Gouverneurs hilfreich. Denn eines ist sicher: Die nächste Krise kommt bestimmt. Egal, ob in Frankreich, in Italien oder als weiterer globaler Schock. Irgendwann reicht auch Gelddrucken nicht mehr.

Notfallinstrumente wurden mittlerweile in das Standardrepertoire aufgenommen

Heike Lehner

2. Schweigen ist (k)eine Tugend

Zur Unabhängigkeit gehört in weiterer Folge auch, seine Meinung am richtigen Ort kundzutun. So schreibt Ex-Gouverneur Robert Holzmann in seinem neuen Buch „Falkenflug“ zu seiner Haltung bei geldpolitischen Sitzungen, dass er oft das große Bedürfnis hatte, sich zu Wort zu melden, „denn nur hinzufahren, zuzuhören und zu nicken, ist aus {s}einer Sicht etwas wenig in Anbetracht des Aufwandes, der betrieben wird“. Auch wenn die Resultate dieser Haltung oft für Schmunzeln sorgten, war sie richtig. Es wäre angebracht, wenn auch der neue Gouverneur nicht davor zurückscheuen würde, von Anfang an seine Meinung kundzutun und Kritik anzubringen. Doch dabei gilt es Maß zu halten: Geldpolitik betrifft vieles, aber nicht jedes Thema fällt in ihr Mandat. In Österreichs misslicher Lage mit hoher Inflation, fehlendem Wirtschaftswachstum und laufendem Defizitverfahren ist die Versuchung groß, auch hierzulande zu nationalen Themen seinen Senf dazuzugeben. Genau hier braucht es aber Zurückhaltung. Politische Aussagen sollten gewählten Politikern und der Regierung überlassen bleiben. Diese Grenze hat auch die EZB selbst oft missachtet, was direkt zum dritten Punkt führt.

3. Weniger ist mehr

Der Klimawandel bzw. dessen Bekämpfung ist seit Jahren das Steckenpferd von Christine Lagarde. Sowohl in den strategischen Überprüfungen der Zentralbank als auch in unzähligen Reden und Reports wird auf die Gefahren und Auswirkungen dieses hingewiesen. Wie Wirtschaftsnobelpreisträger William Nordhaus bereits im Jahr 2020 gesagt hat: Wenn sich eine Zentralbank um den Klimawandel kümmert, müsste sie sich genauso mit Demografie oder der Künstlichen Intelligenz befassen. Diese langfristigen Trends sollten sich aufgrund des Preisstabilitätsmandats sowieso in der Forschung und dem Fokus der EZB niederschlagen. Diese Priorität, die explizit der grünen Geldpolitik eingeräumt wird, darf daher hinterfragt werden.

Die US-amerikanische Fed ist vor kurzem aus dem Network for Greening der Financial System (NGFS) ausgetreten, bei dem auch die EZB-Mitglied ist. Beim NGFS handelt es sich um ein Netzwerk aus Finanzmarktaufsichtsbehörden und Zentralbanken. Die US-Notenbank begründete ihre Entscheidung damit, dass der stetig wachsende Aufgabenbereich über ihr gesetzlich festgelegtes Mandat hinausgehe. Alleine das spricht Bände. Gerade als Vertreter der österreichischen Nationalbank wäre es sinnvoll, auf eine enge Auslegung des EZB-Mandats zu pochen. Künftige Bestrebungen, neue Themen in die geldpolitische Verantwortung aufzunehmen, sollten mit größter Vorsicht und mehrfacher Abwägung erfolgen.

Die Liste der Herausforderungen für die EZB ist lang, und gerade darin liegen auch die Chancen für einen Notenbank-Gouverneur aus einem kleinen Land wie Österreich. Denn klar ist: Sollte die Inflation erneut auch nur leicht anziehen, wird sie nach den bitteren Erfahrungen der letzten Jahre wohl schneller ein Problem werden. Die Menschen sind inzwischen zu sensibilisiert, um ein erneutes Aufflammen einfach stoisch hinzunehmen. Dafür braucht es eine Zentralbank, die nicht schon jetzt am Limit ihrer Möglichkeiten ist.

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