Realität statt Ideologie: Warum Europa Gas und Atomkraft braucht

Elisabeth Zehetner setzt sich seit mehr als 20 Jahren für innovative Initiativen, junge Unternehmer:innen, Gründer:innen und Frauen in der Wirtschaft ein. Seit März 2025 ist sie Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus im Kabinett Christian Stocker. Davor war sie Geschäftsführerin von oecolution austria, der ersten Organisation in Österreich, die zeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand die besten Voraussetzungen für wirksamen Klimaschutz sind. 2024 erschien im ecowing-Verlag ihr erstes Buch „Im Namen des Klimas“.
Gestern wurde es also ernst: Vor dem Europäischen Gericht (EuG) in Luxemburg startete die Verhandlung zur österreichischen Klage gegen die EU-Taxonomie. Mit im Boot: die Umweltorganisation Greenpeace, die ein grünes Dogma verfolgt und dabei jeglichen Pragmatismus über Bord wirft. Das Ziel? Gas und Atomkraft aus der Liste klimafreundlicher Technologien verbannen. Was auf den ersten Blick wie ein nobler Schritt für das Klima wirkt, ist in Wahrheit ein Hochrisikospiel mit unserer Versorgungssicherheit, der Energiewende und letztlich unseren Klimazielen.
Ja, es stimmt, erneuerbare Energien sind die Zukunft. Aber solange die Sonne nicht permanent scheint und der Wind nicht rund um die Uhr weht, sind wir auf verlässliche Energiequellen angewiesen. Genau hier kommen Gas und Atomkraft ins Spiel. Wer glaubt, dass wir ohne diese Technologien auskommen, lebt in einer Traumwelt. Fakt ist: Ohne Gas und Atomkraft gehen in Europa die Lichter aus – und das schneller, als es uns lieb sein kann. Gerade in Zeiten, in denen die Netze instabil werden, wenn Erneuerbare schwächeln, sind diese Energiequellen unverzichtbar. Wir brauchen sie, bis wir genug Speicherkapazitäten und andere Alternativen wie Wasserstoff zur Verfügung haben. Wer sie vorschnell aus der EU-Taxonomie streicht, riskiert Blackouts und ein Chaos in der Energieversorgung.
Doch es kommt noch dicker: Der grüne Kreuzzug gegen Gas ignoriert völlig, dass wir derzeit gar keine echte Alternative haben. Die Wasserstoffwirtschaft steht noch in den Kinderschuhen, und es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis sie flächendeckend funktioniert. Bis dahin ist Erdgas die sauberste verfügbare Brückentechnologie, die uns erlaubt, Kohlekraftwerke endgültig abzuschalten. Ohne Gas könnten wir am Ende sogar gezwungen sein, wieder auf Kohle zurückzugreifen – ein ökologischer Rückschritt sondergleichen. Ist das der Plan?
Ein weiteres grünes Tabu: Atomkraft. Österreich kann sich entspannt zurücklehnen, dank seiner privilegierten Lage und Wasserkraftwerke. Doch schaut man über die Landesgrenzen hinaus, sieht die Realität anders aus. Frankreich, Ungarn, Polen – sie alle setzen auf Atomenergie, um ihre CO₂-Emissionen drastisch zu senken. Und das völlig zurecht. Denn Atomkraft liefert stabile, emissionsfreie Energie. Wer glaubt, diese Länder könnten in absehbarer Zeit ohne Atomkraftwerke auskommen, der hat nichts von den Herausforderungen verstanden, vor denen Europa steht.
Industrien wie Stahl und Chemie brauchen nicht nur Unmengen an Energie, sie brauchen vor allem eine kontinuierliche Versorgung. Soll das reibungslos funktionieren, sind Gas und Atomkraft unerlässlich. Was passiert, wenn wir auf diese Technologien verzichten? Die Wirtschaft wird geschwächt, industrielle Prozesse kommen ins Stocken, und die Dekarbonisierung verzögert sich – mit verheerenden Konsequenzen für das Klima.
Und dann ist da noch die Finanzierung. Die EU-Taxonomie entscheidet, welche Technologien Zugang zu billigem Kapital erhalten. Ein Ausschluss von Gas und Atomkraft würde bedeuten, dass diese Branchen auf dem Trockenen sitzen, während die Kosten für die Energiewende weiter in die Höhe schießen. Das Ergebnis? Noch höhere Strompreise, die die Bürger und die Industrie gleichermaßen treffen. Welcher Politiker will das verantworten?
Zum Schluss das Worst-Case-Szenario: Der „grüne Schwan“. Eine plötzliche Abkehr von Gas und Atomkraft, bevor wir Alternativen wie Wasserstoff oder ausreichende Speichertechnologien haben, könnte zu einem Wirtschaftskollaps führen. Massiver Energiemangel, Produktionsstopps, soziale Unruhen – ein Albtraum für die europäische Wirtschaft und das Ende jeder vernünftigen Klimapolitik.
Zeit also, die ideologischen Scheuklappen abzulegen. Gas und Atomkraft sind keine Feinde des Klimas – sie sind unsere Verbündeten im Kampf gegen die Erderwärmung, solange die Alternativen nicht bereitstehen. Wer sie voreilig ausschließt, verspielt nicht nur unsere Versorgungssicherheit, sondern auch unsere Klimaziele.