Europas neue Digitalstrategie: Eine Kapitulationserklärung?

23. Juli 2025Lesezeit: 4 Min.
Bernhard Seyringer Illustration
Kommentar von Bernhard Seyringer

Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren „Strategic Foresight“ und „Neue Technologien und Internationale Politik“. Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.

Eigentlich wollte ich pflichtgemäß über die Fortschritte in der Entwicklung des Innovationssystems für KI in China berichten. Über Durchbrüche, die erzielt wurden, die Pläne der Regierung und auf welche KI-basierten Technologien Peking im kommenden Fünfjahresplan setzen wird. Die Betrachtung der internationalen Digitalstrategie der EU, als Quasi-Antwort auf Chinas aggressive Technologiepolitik, lässt allerdings eine andere Frage wichtiger werden: Denkt die EU an Kapitulation?

Morgen, am 24. Juli, werden die Feierlichkeiten zu „50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen der EU und China“ vollzogen. Eigentlich hätten diese in Brüssel stattfinden sollen, doch Xi Jinping lehnte ab. Dass er jetzt auch in Peking nicht teilnehmen wird, ist nichts anderes als eine Provokation. Im Zhongnanhai glaubt man, sich solche Stücke leisten zu können. Schließlich hat die EU in der letzten Dekade besonders deutlich gezeigt, dass sie nicht in der Lage ist, ernsthaft auf den von China erklärten Handelskrieg zu reagieren. Viel mehr wurden Strategiepapiere verabschiedet, die eher der chinesischen Industrie zuträglich waren. Erstaunlich auch, dass diese offene Aggression aus Peking, auf so viele europäische Staatschefs herzerwärmend wirkt. Nicht nur auf Sozialdemokraten. Denn obwohl die Angst vor dem Klimawandel und die Begeisterung für die Pride-Parade in Madrid und Budapest unterschiedlicher nicht sein könnten: In puncto Hinwendung zu China ist man sich einig.

Ein Schritt in Richtung „Souveränität“?

Ich muss gestehen, ich bin immer sehr skeptisch, wenn Missionen wie aktuell die „strategische Souveränität“ ausgerufen werden. Revolutionen kommen nie aus Bürokratien. Ich hätte allerdings nach der Katastrophe der „Grünen Dekade“ auch nicht für möglich gehalten, dass das Konzept der ideologie-geleiteten Fehlallokation – Stichwort „mission driven“ – einfach nochmal funktioniert. Motto: Eh wurscht. Wie sehr doch ein nur laienhaftes Verständnis die Fantasie beflügelt!

„Ich bin immer sehr skeptisch, wenn Missionen wie aktuell die ‚strategische Souveränität‘ ausgerufen werden. Revolutionen kommen nie aus Bürokratien.“

Bernhard Seyringer

Auf jeden Fall hätte der Aufbau von „strategischer Souveränität“ im Jahr 2000 bis spätestens 2010 begonnen werden müssen. Aber damals hat sich die EU erst so richtig abhängig gemacht. Zum jetzigen Zeitpunkt, wo sich der globale Wettbewerb zwischen den USA und China permanent verschärft, auf diese Idee zu kommen, muss „mission driven“ sein. In der aktuellen Situation könnte nur ein kluges Interdependenzmanagement, basierend auf einer transatlantischen Technologiekooperation eine bessere Ausgangsposition für mehr Souveränität einleiten. Die ich sehr begrüßen würde. Nur zur Klarstellung.

Die internationale Digitalstrategie

Die am 5. Juni von der EU veröffentlichte internationale Digitalstrategie wäre folglich als Schritt in Richtung „digitaler Souveränität“ gedacht. Sie sollte auch die fragmentierte Unzahl an thematischen Initiativen der EU, von digitaler Infrastruktur, Strategien gegen Desinformation, Cybersecurity, Digital Skills und Standardisierung, die mit einer geographischen Reichweite, von der Arktis bis zum sub-saharischen Afrika nicht bescheiden im Anspruch sind, in Zusammenhang bringen.

Leider bietet sie auf keine der aktuell prioritären Fragen eine Antwort. Man hat die großen geopolitischen Themen einfach beiseite gelassen und setzt stattdessen ganz auf die „internationale Kooperation“. USA und China? Nebensächlich. Offenbar sind nicht einmal weitere Verhandlungen im EU-US „Trade and Technology Council“ geplant. Der wurde 2020 ins Leben gerufen, um unterschiedliche Standpunkte in Handel und Technologie zu verhandeln. China wird gar nicht erwähnt.

Die EU wird die Finanzierung der Integration im EU-Binnenmarkt mit der Ukraine, Moldawien und dem Westbalkan vorantreiben. In Afrika, Asien und Lateinamerika sollen unterschiedliche digitale Infrastrukturen finanziert werden und „digitale Partnerschaften“ speziell mit dem sub-saharischen Afrika vorbereitet werden. Ganz verlässt man sich dabei auf ein Projekt namens „Global Gateway“: Die unentschlossene Antwort der EU auf Chinas Belt-and-Road-Initiative. Nehmt dies, Sillicon Valley und Zhongguancun!

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