Gebaute Ideologie: Der rote Feldzug gegen die „Hausherren“ hat Tradition
Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.
Der sozialdemokratische Feldzug gegen private Wohnungswirtschaft hat eine 101 Jahre alte Tradition. Daher sollte die aktuelle SPÖ-Kampagne von Andreas Babler nicht überraschen.
SPÖ-Chef Andreas Babler strahlt vor Glück. Der im Frühjahr 2026 zur Wiederwahl anstehende Parteivorsitzende lässt sich vor der Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße (die noch immer nicht vom Hauseigentümer, der Stadt Wien, saniert wurde, aber mit knapp drei Euro/m2 „Friedenskronenzins“ doch recht günstig gemietet werden konnte) mit neuem SPÖ-Plakat ablichten. „Dein Zuhause, unser Auftrag. Wir machen Wohnen leistbar“, lautet der Slogan der neuen SPÖ-Kampagne. Na, gut.
Die plakative Offensive soll wohl Andreas Babler innerparteilich stärken, nachdem weder Umfragen noch Wahlergebnisse bisher überzeugend sind. Das Plakat ist Teil einer abgestimmten „Message Control“. Denn am Mittwoch hat der Ministerrat mit den Stimmen der ÖVP- und Neos-Minister endlich Bablers seit Monaten getrommeltes Lieblingsprojekt durchgewinkt: Ein „Deckel“ auf alle Mieten, auch im rein privat finanziertem Sektor und eine weitere Erschwerung der Befristungsmöglichkeiten für Mietverträge. In der Realität wird Bablers Paket zwar wenig bis gar nichts bewirken, es gibt ihm aber die Gelegenheit, sich für seine Wählerklientel als Robin Hood (der allerdings dem Staat das Geld geraubt hat, nicht Privaten) zu inszenieren.
Die SPÖ steht damit fest auf dem Boden der eigenen Parteigeschichte. Schon seit der vorvorigen Jahrhundertwende „kämpft“ die Sozialdemokratie gegen den privatwirtschaftlichen Wohnungsbau, der immerhin Wien (und Graz etc.), wie wir es heute kennen, mit Zehntausenden aus privaten Kapital gebauten „Zinshäusern“ prägt. Gegen die „Hausherren“, es waren oft mittelständische Gewerbetreibende, aber auch Ärzte, wie etwa der SPÖ-Gründungsvater Victor Adler, lässt sich locker polemisieren. Es gibt zahlenmäßig immer mehr Mieter als Eigentümer.
Schon seit der vorvorigen Jahrhundertwende „kämpft“ die Sozialdemokratie gegen den privatwirtschaftlichen Wohnungsbau.
Gerhard Jelinek
Die seit 1919 im Rathaus regierende Sozialdemokratie wollte mit dem „roten Wien“ ein international beobachtetes Gesellschaftskonzept durchsetzen. Nichts weniger als der „neue Mensch“ war das Ziel dieser Politik. Zwei Männer galten als ideologische Architekten. Finanzstadtrat Hugo Breitner und Robert Danneberg. Beide sahen Wien als „rotes“ Bollwerk inmitten eines „schwarzen“ Landes.
Und an dieser Festung wurde emsig gemauert. Die Gemeinde Wien wollte die – auch kriegsbedingte – Wohnungsnot durch den Bau von Tausenden Gemeindewohnungen lindern, aber vor allem auch ihre sozialistischen Visionen von einer neuen Gesellschaft in Stein meißeln. So wurde das Mietrecht und die Baupolitik in Wien zum ideologischen Kampffeld. Und das seit mittlerweile 102 Jahren.
Finanzstadtrat Hugo Breitner legte 1923 mit einem Dutzend neuer Steuern das Fundament für die Gemeindebauten: „Luxus und Vergnügen zu besteuern, um die Aufziehung eines körperlich gesunden, geistig freien, lebenstüchtigen und lebensfrohen Geschlechtes zu ermöglichen, ist der Grundgedanke der sozialdemokratischen Gemeindepolitik.“
Finanzstadtrat Hugo Breitner legte 1923 mit einem Dutzend neuer Steuern das Fundament für die Gemeindebauten.
Gerhard Jelinek
Die „Breitner-Steuern“ waren im Wiener Bürgertum nicht rasend populär und brachten überdies nicht die erhofften Einnahmen, aber die Besteuerung von „Luxus“ ließ sich in Parteiversammlungen gut argumentieren. Und mit den „Reichen“ – wie etwa den Rothschilds – als Feindbild wurde unterschwellig an allerlei Gefühle appelliert. Das war damals, heute genügt es gegen die „Erben“ oder die „Milliardäre“ zu polemisieren.
Zur Deckung der Kosten fürs Bauprogramm des „Roten Wien“ mussten aber auch Hunderttausende Mieter in den privaten Wohnhäusern zur Kasse gebeten werden. Breitner führte in Wien eine „Wohnbausteuer“ ein, die auf den seit Kriegsbeginn 1914 eingefrorenen Mietzins aufgeschlagen wurde. Bei kleinen Wohnungen waren das umgerechnet ein paar Euro, bei großen Hunderte. Wiens Finanzstadtrat sprach anno 1924 ideologischen Klartext: „Der Mieterschutz schließt die private Wohnbautätigkeit aus; soll der Mieterschutz erhalten werden, so muss die Gemeinde Wohnungen bauen.“
Breitner hatte recht: Der in Österreich mit dem extrem restriktiven Mietrechtsgesetz seit 100-plus-Jahren geltende „Mieterschutz“ behinderte tatsächlich fast jede private und gewerbliche Bautätigkeit. In Wien wurden zwischen 1924 und 1935 zwar 60.000 Gemeindewohnungen errichtet, praktisch aber keine privat finanzierte Wohnung. Die Stadt hatte ein Monopol, dem Baugewerbe wurden die Preise mehr oder minder diktiert. Bauen sollen nur parteipolitisch dominierte Genossenschaften. Deswegen sind wohl auch die „Gemeinnützigen“ vom „Inflationsdeckel“ ausgenommen. Quod licet Jovi, non licet bovi, pflegte ein römischer Zyniker zu sagen.
Hohe Baupreise, höhere Zinsen, viele Vorschriften und politisch gedeckelte Renditechancen machen Bauen und Vermieten zur Liebhaberei. Folgerichtig geht die private Bautätigkeit massiv zurück. 2024 wurden rund 40.000 Wohnungen weniger baubewilligt als im Rekordjahr 2017. „In den kommenden Jahren ist daher mit einem deutlichen Rückgang neuer Wohnungen auf dem Markt zu rechnen und das bei gleichzeitig steigender Bevölkerungszahl“, so Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas.
Hohe Baupreise, höhere Zinsen, viele Vorschriften und politisch gedeckelte Renditechancen machen Bauen und Vermieten zur Liebhaberei.
Gerhard Jelinek
Mit den neuerlichen Eingriffen in Eigentumsrechte und dem Unvermögen nach 103 Jahren endlich ein praktikables Mietrechtsgesetz zu schaffen, wird die Bereitschaft allfälliger Investoren Wohnraum zu schaffen, wohl nicht größer werden. Schließlich sind ja neue staatliche Eingriffe jederzeit zu befürchten. Mögen die konkreten Auswirkungen der PR-Kampagne für den SPÖ-Chef bescheiden bleiben (wenn es nicht wie in den 1920er-Jahren zu einer explodierenden Inflation kommt). Das Vertrauen in Rechtssicherheit und wirtschaftliche Vernunft wurde abermals enttäuscht.