Große Krise trifft auf kleinste denkbare Koalition

21. Februar 2025Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Georg Renner

Georg Renner ist freier Journalist in Niederösterreich und Wien mit Fokus auf Sachpolitik. Er publiziert unter anderem für „Datum“ und „WZ“, zuvor war er nach Stationen bei der „Presse“, „NZZ.at“ und „Addendum“ Innenpolitikchef der „Kleine Zeitung“.

Wenn Sie Andreas Babler wären: wären Sie gerne von den Launen eines Hans Peter Doskozil abhängig? Ich frage nur, weil sich ÖVP und SPÖ gerade anschicken, gemeinsam eine Regierungskoalition mit der kleinstmöglichen Mehrheit im Nationalrat zu bilden. Und die wird auch von Leuten abhängig sein, die dort nur von Gnaden des Manns in Eisenstadt sitzen.

Auf 92 Sitze haben wir Bürgerinnen und Bürger Abgeordnete der beiden ehemaligen Großparteien Ende September gewählt – von insgesamt 183. Macht genau den Bruchpunkt für eine absolute Mehrheit: 50 Prozent von 183 sind 91,5 – stimmen alle 92 schwarzen und roten Mandatare gemeinsam, haben sie ein unbesiegbares Votum, um jedes einfache Gesetz zu beschließen.

Das heißt aber auch: Für eine sichere Mehrheit müssen bei strittigen Gesetzen – oder auch bei Misstrauensanträgen gegen die Regierung oder gar zur Abwehr eines Neuwahlbeschlusses – nicht nur alle Regierungsabgeordneten anwesend sein, mitstimmen und beinhart auf einer Linie sein.

Und da kommt jetzt das eingangs erwähnte Beispiel ins Treffen: Generell werden in Österreichs Parteien die meisten Abgeordneten über Beschluss der Landesparteien auf die Liste der Wahlvorschläge gesetzt – wodurch die einen ziemlich großen Einfluss auf Wohl und Wehe politischer Karrieren auch im Bund haben.

Und wenn jetzt, sagen wir, ein Chef der Bundespartei sich nicht in allen Landesorganistaionen nur Freunde gemacht hat, kann so etwas schon einmal zur Zitterpartie werden. Oder auch, wenn der eine oder andere Abgeordnete auf einmal draufkommt, dass sein persönliches politisches Gewissen einem Parteiprojekt widerspricht oder er auf einmal Potenzial sieht, mit seiner Stimme ein Projekt zu junktimieren, das ihm schon lange ein Anliegen ist.

Es ist nicht so, dass es solche Fälle noch nie gegeben hätte – als türkis-blau 2018 kurzzeitig das Rauchverbot in der Gastro begrub, stimmte etwa der ÖVP-Gesundheitssprecher dagegen, in der Migrationskrise wehrten sich mehrere rote Abgeordnete gegen schärfere Asylgesetze. Nur: Damals machte es keinen Unterschied.

Sollte sich die Stocker-Babler-Koalition in den nächsten Tagen auf ein Programm und eine Koalition einigen, wird die von jeder einzelnen Stimme abhängen. Das ist eine unzufriedenstellende Situation, wenn man die Vielzahl der Herausforderungen betrachtet – Budgetkrise, Rezession, Integrationsmisere, die weltpolitische Situation, und so weiter.

Jetzt werden die Parteichefs, wenn sie schlau sind, sich hoffentlich zumindest die „Duldung“ von Grünen und/oder Neos ausverhandeln – und gewährleisten, dass sie bei jeder Abstimmung zumindest eine oder mehrere dieser Parteien (oder, punktuell, auch die FPÖ) an Bord haben.

Aber wie lange kann das gut gehen? Noch dazu in einer Zeit, in der die Staatsanwaltschaft noch immer gegen eine der beiden Parteien ermittelt, die andere nach mehrfachen Führungskrisen bestenfalls einen internen Waffenstillstand, aber noch lange keinen innerparteilichen Frieden hat und sowieso beide Partner über Jahrzehnte großes Misstrauen aufgebaut haben?

Was die Republik – und Europa – jetzt bräuchten, wäre Stabilität an der Regierungsspitze. Wenn die knappest mögliche Koalition das nicht leisten kann, sollte sie sich schnell überlegen, nicht doch noch einen weiteren fixen Partner an Bord zu holen.

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