KI wird Beschäftigungsstrukturen grundlegend verändern

14. Februar 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Philipp Koch

Philipp Koch ist Ökonom und Leiter des Forschungsbereichs Data Science beim Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria. Koch promovierte 2024 an der Universität Toulouse und dem Center for Collective Learning und forscht mithilfe moderner empirischer Methoden zu den Themen ökonomische Komplexität, Strukturwandel, Wirtschaftsgeschichte und Außenhandel.

Wir erleben zurzeit eine Phase eines beschleunigten technologischen Fortschritts im Bereich Künstlicher Intelligenz. Lassen wir die letzten Wochen kurz Revue passieren: DeepSeek, ein chinesisches Startup, hat neue Large Language Modelle (LLMs) vorgestellt – und das zu einem Bruchteil der Kosten von führenden US-Anbietern, ohne an Leistungsfähigkeit einzubüßen. Als Reaktion darauf präsentierte OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, neue, verbesserte Modelle und Features. Die Komplexität der Aufgaben, die LLMs lösen können, wächst von Woche zu Woche.

Zwei Aspekte stechen bei DeepSeek besonders hervor. Das ist zum einen die gestiegene Effizienz. Dank einer intelligenten Architektur erzielt das Modell eine vergleichbare Performance wie OpenAIs ChatGPT oder Googles Gemini – und das mit schwächerer Rechenleistung. Dabei mussten in der Entwicklungsphase sogar kompetitive Nachteile kompensiert werden: Während Nvidias leistungsstärkste Grafikkarten aufgrund von Exportverboten nicht nach China geliefert werden, mussten den chinesischen Forscherinnen und Forscher importierte, weniger leistungsstarke Modelle ausreichen. Die Entwicklung birgt eine gewisse Ironie: US-amerikanische Sanktionen trieben chinesische Innovationen voran – was Nvidias Aktienkurs mit einem Minus von 18,5 Prozent kurzerhand auf Talfahrt schickte.

Zum anderen sind DeepSeeks Modelle allesamt Open Source. Der zugrunde liegende Code ist also frei verfügbar, sodass das Modell problemlos heruntergeladen und lokal betrieben werden kann – ganz ohne Kosten und ohne Datenschutzbedenken, da sensible Inputs den eigenen Rechner nicht verlassen. Zwar ist die lokale Version, abhängig von der eingesetzten Hardware, etwas schwächer als die Online-Variante, doch die Vorteile sind evident und können zu schnellerer und höherer Adoption von Unternehmen führen. DeepSeek sind nicht die ersten, die auf Open Source setzen: Auch Meta mit seinen Llama-Modellen und das französische Startup Mistral setzen auf offene, zugängliche KI-Lösungen.

Und Europa?

Während China und die USA die Grenzen des technisch Möglichen immer weiter verschieben, ist das Thema KI auch in europäischen Schlagzeilen zu finden: Mit Anfang Februar sind die ersten Regelungen des AI Act in Kraft getreten. KI-Systeme mit unannehmbaren Risiken – wie etwa jene, die ungezielt Gesichtsbilder aus dem Internet oder aus Überwachungsaufnahmen auslesen oder am Arbeitsplatz Emotionen erkennen – sind nun verboten. Zudem wird gefordert, dass Mitarbeitende, die mit KI arbeiten, über die nötige Kompetenz verfügen. Außerdem verkündet Ursula von der Leyen am KI-Summit in Paris Pläne zur Mobilisierung von 200 Mrd. Euro an Investitionen um „Europa zu einem KI-Kontinent zu machen.“

Die News der letzten Wochen machen insgesamt einmal mehr deutlich: China und die USA innovieren, Europa reguliert und beginnt zu investieren. Das ist natürlich leicht überspitzt formuliert. Auch in Europa und Österreich existieren bereits erfolgreiche KI-Entwicklungen. Aber die technologischen Quantensprünge und die Masse an Innovationen im KI-Bereich, so ehrlich muss man sein, passieren nicht in Europa.

„China und die USA innovieren, Europa reguliert und beginnt zu investieren.“

Philipp Koch

KI als Motor des Strukturwandels

Doch es geht nicht nur um die Entwicklung neuer Technologien – entscheidend für den Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit ist auch, wie Unternehmen diese nutzen. Der gezielte Einsatz von KI kann quer durch alle Branchen die Innovationskraft stärken. Ein eindrückliches Beispiel ist die Entwicklung von Medikamenten, wo die Suche nach neuen Wirkstoffen der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen ähnelt. KI-Modelle können den Heuhaufen an möglichen Wirkstoffkombinationen durch die Identifikation einer Vielzahl an Zusammenhängen drastisch reduzieren und damit Innovation befördern.

Erste Forschungsergebnisse deuten zudem darauf hin, dass generative KI-Modelle wie LLMs nicht nur die Produktivität massiv steigern, sondern auch Tätigkeits- und Beschäftigungsstrukturen grundlegend verändern. Anders als frühere Digitalisierungswellen – die vor allem manuelle Tätigkeiten betrafen – werden nun insbesondere kognitive Berufe, also tendenziell höher qualifizierte Positionen, stark transformiert. So zeigt sich, dass etwa 70 Prozent der Beschäftigten im Finanz- und Versicherungssektor erheblich von KI-Anwendungen betroffen sein könnten, während in der Beherbergung und Gastronomie lediglich rund 10 Prozent betroffen sind.

Obwohl noch offen ist, inwieweit KI menschliche Arbeitskraft automatisiert oder augmentierend (sprich ergänzend) wirkt, sollten uns diese Beobachtungen nicht abschrecken. Vielmehr sollten wir zur Erhaltung und zum Ausbau unserer Wettbewerbsfähigkeit die Nutzung von KI befördern und Unternehmen – insbesondere KMU – bei der Adoption effizient unterstützen. Forschung zu Berufs- und Tätigkeitsprofilen zeigt, dass die Mehrzahl der Tätigkeiten, die heute Teil von Berufsprofilen sind, vor 80 Jahren noch nicht existierte. Wenn sich die Innovationsdynamik im KI-Bereich weiterhin so schnell entwickelt wie seit Ende 2022, könnte dieser breitere Strukturwandel in deutlich kürzerer Zeit Realität werden. Und das sollten wir zelebrieren, statt zu versuchen es zu verhindern.

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