Kickl kennt und fürchtet die Machtstrukturen der ÖVP

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.
Der Versuch einer Koalition zwischen der Kickl-FPÖ und der Volkspartei ist – in Wahrheit – schon am Tag der Beauftragung von Herbert Kickl durch den Bundespräsidenten gescheitert. Am 7. Jänner nachmittags setzte sich Herbert Kickl vor die Kamera von FPÖ-TV und attackierte die ÖVP in voller Oppositionsschärfe. Beobachter sprachen von einer Demütigung des künftigen Partners. Kickl brauchte keine Maske fallen lassen. Er agierte mit offenem Visier, aggressiv, kalt, sich seiner Macht bewusst, ohne besondere Empathie. Von Respekt gegenüber seinem möglichen Koalitionspartner oder von einer gewissen Demut vor dem Amt und der schwierigen Aufgabe war nichts zu hören und zu sehen.
Den ersten Auftritt Kickls als Kanzlerkandidat konnten Beobachter noch als abschließende Abrechnung werten, dann würde er schon in seine neue Rolle finden. Die rasche Einigung auf erste Maßnahmen zur Budgetsanierung ließ fast Gewissheit entstehen: eine blau-schwarze Koalition sei nur noch eine Frage von Tagen. Irrtum.
Inhaltliche Differenzen zwischen der FPÖ und der ÖVP schienen aufgrund eines bemerkenswert marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprogramms der Freiheitlichen leicht überbrückbar. Irrtum.
Dieser Versuch einer Neuauflage einer Mitte-Rechts-Koalition, die sich auf eine deutliche Mehrheit im Parlament und in der Bevölkerung stützen hätte können, scheiterte an den handelnden Personen. Der noch nicht einmal gewählte neue ÖVP-Obmann Christian Stocker konnte und wollte sich nicht als gedemütigter Verlierer einer Regierungsbildung am Parteitag Ende März seiner ersten Wahl stellen.
„Herbert Kickl fehlt die Statur zum Kanzler.“
Und Herbert Kickl fehlt die Statur zum Kanzler. Er reicht auch nicht an seinen Vorvorgänger Jörg Haider heran. Der hatte im Winter des Jahres 2000 eine Chance gesehen, die FPÖ nach Jahrzehnten der Opposition (mit der Ausnahme der drei Jahre unter Fred Sinowatz) langfristig in Regierungsverantwortung zu führen. Mit Haider war die FPÖ bei der Nationalratswahl 1999 um ein paar Hundert Stimmen vor der ÖVP gelegen.
Haider wusste, das er als Kanzler national und international untragbar war, und ließ daher Wolfgang Schüssel den Vortritt. Er selbst zimmerte die schwarz-blaue Koalition und ermöglichte ein bürgerliches Reformprogramm. „Susanne, geh Du voran“, rief er unter Tränen beim FPÖ-Parteitag in Klagenfurt. Die blaue Regierungsmannschaft unter Vizekanzlerin Susanne (damals) Riess-Passer mit Karl Heinz Grasser etc. emanzipierte sich Schritt für Schritt von Jörg Haider, der in Klagenfurt immer unruhiger den Erfolg seiner Nachfolgerin beobachten musste.
Das verkraftete sein Ego nicht. Durch sinkende Umfragewerte nervös geworden, inszenierte Haider in Knittelfeld einen Putschversuch gegen die eigene Regierungsmannschaft, der ihm während der Veranstaltung in Knittelfeld entglitt. Noch am Vorabend hatte er sich mit seiner Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer heimlich in einem Wirtshaus im steirischen Obdach getroffen und die Regie der Versammlung in Knittelfeld besprochen. Es kam anders.
Aufgestachelte FPÖ-Funktionäre stürzten ihre eigene Regierungsmannschaft. Neuwahlen und eine Parteispaltung waren die Folge. Der geborene Kärntner Kickl blieb in Knittelfeld an der Seite von Jörg Haider und wurde dafür mit einem Posten als Leiter der Parteiakademie belohnt. Erinnert sich noch wer an das orange „Bündnis Zukunft Österreich“? Wolfgang Schüssel, der bei der Wahl 2002 triumphierte, gelang es mit den „vernünftigen“ Resten der FPÖ alias BZÖ noch vier Jahre relativ erfolgreich zu regieren. In der neuen wieder radikalisierten FPÖ sammelte der Wiener HC Strache die verbliebenen Landesgruppen und Funktionäre und baute die Freiheitliche Partei neu auf. Haiders Idee, die „alte“ FPÖ zu übernehmen, sich von radikalen Elementen zu trennen, und eine neue Partei zu gründen, scheiterte. Das BZÖ blieb ein Kärntner Phänomen.
„Kickl kennt die vielfältigen Machtstrukturen der genuinen Regierungspartei ÖVP und fürchtet sie.“
Herbert Kickl hat sein Vorbild Haider, dessen Erfolg und sein Scheitern genau analysiert. Nie mehr wollte er der ÖVP, obwohl hinter der FPÖ, aus staatspolitischer Räson (und längerfristigem Machtinteresse) den Vortritt lassen. Kickl kennt die vielfältigen Machtstrukturen der genuinen Regierungspartei ÖVP und fürchtet sie. Kickl wollte auch nicht die Radikalität seiner Politik in einer Regierung, in der zwangsläufig Kompromiss und Realitätssinn die vollmundigen Wahlversprechen zerreiben, aufgeben.
In den Verhandlungen hat er und seine Mannschaft das Blatt überreizt und die Angst der Volkspartei vor Neuwahlen überschätzt. Jetzt hat Herbert Kickl die Hoffnung, bei allfälligen Neuwahlen weiter zuzulegen. Es ist nicht viel mehr als eine Hoffnung, die bei einer erwartbaren Neuaufstellung des politischen Personals bei ÖVP und SPÖ, auch scheitern könnte.
„Volkskanzler“ wird Herbert Kickl nicht mehr. Er ist mit der Regierungsbildung gescheitert.