So wird Europas Verteidigung zu einem geostrategischen Asset

Johannes Hahn war 2019-2024 EU-Kommissar für Haushalt und Verwaltung in der Kommission von der Leyen I. Davor war er EU-Kommissar für Regionalpolitik und einer der Vizepräsidenten der Europäischen Volkspartei. 2007-2009 war Hahn in Österreich Bundesminister für Wissenschaft und Forschung. Nach seinem Studium der Philosophie, Publizistik und Germanistik an der Universität Wien begann er seine politische Karriere bei der ÖVP. 1997 bis 2003 war er im Vorstand der Novomatic AG tätig, 2003 wurde er Vorstandsvorsitzender und legte seine Managementfunktionen 2004 zugunsten der politischen Karriere zurück.
Die EU wird nun auf Verteidigung gebürstet und das ist gut so. Zu Ende gedacht sind die Pläne aber nicht. Wie so oft lässt sich auch diese Herausforderung nicht bewältigen, indem man sie einfach mit mehr Geld zupflastert. Wenn das Ziel ist, Europa verteidigungsfähig zu machen, muss man strategisch etwas weiter denken.
Zwei Schritte sind dafür zentral:
1. Forschung und Entwicklung
Die USA haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv in die Forschung von Verteidigungssystemen investiert. Deshalb werden Wehrsysteme auch dort gekauft. Wenn wir dem etwas entgegensetzen wollen, müssen wir europäische Produkte besser machen. Und wir müssen uns besser koordinieren – denn derzeit sind wir vor allem Meister der Vielfalt der Systeme. Effizienter wäre es aber, in jedem notwendigen Bereich alles auf ein europäisches Top-Produkt zu setzen. Forschung, Entwicklung und Innovation werden aber nicht ohne Subventionen gehen. Dafür braucht es ein europäisches Budget nach dem Vorbild von „Next Generation EU“, das Konjunkturpaket nach der Corona-Pandemie.
Es ist wichtig, ein Level-playing-field zwischen den EU-Ländern zu schaffen und ein Zwei-Klassen-System zu verhindern. 1,5 Prozent „on top“ an Verteidigungsausgaben bedeutet für Länder wie Deutschland derzeit etwas anderes als für Länder wie Frankreich, die mitten in einer Staatsschuldenkrise stecken.
2. Export und Weltmarkt
Die Defense-Strategie hat auch das Potenzial zu einem Konjunkturturbo zu werden – wenn nicht kurzfristig, so zumindest auf längere Sicht. Das ist aber kein Selbstläufer, dafür braucht es strategisch gesetzte Rahmenbedingungen. Exportgenehmigungen für Wehrsysteme sind derzeit Ländersache. Ein Mitgliedstaat vergibt also möglicherweise schneller Lizenzen als ein anderer. Das führt dazu, dass sich Industrieunternehmen genau überlegen, wo sie sich ansiedeln. Ein Problem, das man durch eine einheitliche Regelung der Genehmigungen auf EU-Ebene leicht lösen kann.
Was sich bisher auch niemand überlegt hat: Wenn alle Pläne aufgehen und Europa den eigenen Bedarf deckt, haben wir im besten Fall eine Top-Verteidigungsindustrie aufgebaut. Wir müssen uns die Frage stellen, wo die Märkte für diese Industrie sind. Das ist ein geostrategisches Asset von unschätzbarem Wert. Derzeit nutzen die USA ihre Überlegenheit bei Verteidigungssystemen für Erpressungen, wie man am „Rohstoffabkommen“ mit der Ukraine gesehen hat – Waffenlieferungen werden an gewisse Gegenleistungen geknüpft, die sich der Empfänger der Waffenlieferungen nicht aussuchen kann. Das ist DAS zentrale Problem, warum eine strategische Autonomie wichtig ist. Europa könnte damit den USA den Wind aus den Segeln nehmen. Es ist Zeit, dass die Romantik der transatlantischen Beziehungen durch einen nüchternen Realitätssinn ersetzt wird.