IPO? Nein, danke! Warum Startups lieber privat finanziert bleiben

Laura Raggl ist Managing Partner von ROI Ventures, einer Angel-Investorengruppe, die sich auf Startups in der Frühphase fokussiert. Davor war sie Geschäftsführerin der Austrian Angel Investors Association (aaia). Nach dem Studium in Innsbruck war sie bei dem Deep-Tech-VC-Fonds APEX Ventures tätig. Raggl ist außerdem Mitglied des Startup-Rats, der das Wirtschaftsministerium berät.
Ein Börsengang gilt für viele Gründerinnen und Gründer als der große Durchbruch – die ultimative Bestätigung ihres unternehmerischen Erfolgs. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die Dynamik am Markt stark verändert. Seit dem Boomjahr 2021 herrscht eine regelrechte Flaute bei Tech-IPOs (initial public offering). Warum gehen Startups heute später oder gar nicht mehr an die Börse? Und was bedeutet das für Anleger?
Mehr privates Kapital, weniger Druck zum Börsengang
Während der Dotcom-Ära gingen zahlreiche US-Tech-Startups an die Börse. Zwischen 1990 und 2000 gab es über 1.600 Tech-IPOs, darunter Unternehmen wie Amazon und Nvidia. Doch nach dem Platzen der Blase im Jahr 2000 folgte eine jahrelange Zurückhaltung. Erst 2021 erlebte der IPO-Markt einen neuen Aufschwung mit 126 Tech-Börsengängen – darunter prominente Namen wie UiPath, Coinbase und Bumble. Doch seit Anfang 2022 ist das Momentum erneut abgeflaut.
Einer der Hauptgründe: Der Zugang zu privatem Kapital ist heute einfacher als je zuvor. Venture-Capital- und Private-Equity-Fonds sind gewachsen, ermöglichen Startups hohe Finanzierungsrunden und erlauben ihnen, länger privat zu bleiben. Früher war ein Börsengang oft der einzige Weg, um weiteres Kapital für Wachstum zu sichern. Zudem stehen börsennotierte Unternehmen unter stärkerem Druck, Profitabilität zu zeigen, während private Investoren oft langfristiger denken und bereit sind, jahrelange Verluste zu akzeptieren. In Europa ist der Unternehmensverkauf (Trade Sale) zudem oft der bevorzugte Exit-Weg gegenüber einem Börsengang.
Ein Beispiel: Flixbus hatte 2023 mehrfach über einen möglichen IPO spekuliert und bereits konkrete Vorbereitungen getroffen – sogar ein Listing in Deutschland stand im Raum. Doch 2024 änderte sich die Strategie: Statt an die Börse zu gehen, holte sich das Unternehmen zwei neue Großinvestoren an Bord, was den Kapitalbedarf zunächst anders deckt und den IPO auf unbestimmte Zeit verschiebt.
Europäische Startups meiden heimische Börsen
In Europa kommt eine zusätzliche Herausforderung hinzu: Während in den USA die NASDAQ speziell auf Tech-Unternehmen ausgerichtet ist, sind europäische Börsen oft weniger attraktiv. Höhere Handelsvolumina & höhere Bewertungen machen die NASDAQ zur bevorzugten Wahl für viele Startups. Amerikanische Anleger setzen stärker auf Wachstumstitel, während europäische Investoren konservativer agieren. Zudem sind die regulatorischen Hürden in Europa oft komplexer und machen den IPO-Prozess zeit- und kostenintensiver.
Die Folge: Wer groß denkt, geht lieber gleich in die USA. Ein NASDAQ-Listing bringt nicht nur Kapital, sondern auch globale Sichtbarkeit und kann den Markteintritt in den USA erleichtern.
Trotzdem gibt es europäische Startups, die sich bewusst für einen IPO in Europa entscheiden. Bitpanda strebt zum Beispiel einen Börsengang in Frankfurt an. Das Wiener Fintech hat dazu seinen Hauptsitz in die Schweiz verlegt, um sich optimal auf die europäischen Kapitalmärkte vorzubereiten. Gründe dafür sind der Heimatmarktvorteil, die zunehmende regulatorische Klarheit für Krypto-Unternehmen in der EU sowie die Vermeidung von Unsicherheiten durch die US-Börsenaufsicht.
Europäische Börsen sind vor allem für Startups mit einem ausgeprägten Heimatmarktvorteil von Bedeutung. Diese Unternehmen profitieren häufig von einer soliden Nutzerbasis und einem vertrauten regulatorischen Umfeld. Auf diese Dynamik könnte man in Europa stärker aufbauen.
Was bedeutet das für Anleger?
Der spätere Börsengang vieler wachstumsstarker Unternehmen hat zur Folge, dass ein Großteil der Wertsteigerung bereits im privaten Markt realisiert wird. Öffentliche Investoren steigen oft erst spät in den Zyklus ein – mit weniger Renditepotenzial und höheren Bewertungen.
Für Kleinanleger wäre es von großer Bedeutung, bereits vor dem Börsengang in Startups zu investieren. Viele Fonds verlangen jedoch Mindestinvestitionen von 100.000 bis 250.000 Euro. Zwar ermöglichen mittlerweile einige Plattformen kleinere Investitionen, jedoch ist der Zugang noch immer weitaus komplizierter als der direkte Kauf von Aktien und ETFs.
Die Kapitalmarktunion in Europa stellt einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung dar. Mit einheitlichen Regelungen, der Vereinfachung von Börsengängen und der Förderung grenzüberschreitender Investitionen will die EU die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kapitalmärkte stärken. Doch dieser Prozess wird einige Jahre in Anspruch nehmen, und insbesondere für schnell wachsende Technologieunternehmen bleibt die NASDAQ weiterhin eine bevorzugte Option.
Daher sind Investitionen in den vorbörslichen Kapitalmarkt in Europa aktuell besonders relevant. In diesem Zusammenhang wird auch das Thema Dachfonds in Österreich hoch interessant, das im Regierungsprogramm auch als Ziel definiert wurde. Durch diese Struktur könnten Österreicherinnen und Österreicher über ihre Pensionskasse verstärkt in Venture Capital und Private Equity investieren und so von den hohen Renditen profitieren.