Vom Schweigen der Regierung

18. Juni 2025Lesezeit: 3 Min.
Alexander Purger Illustration
Kommentar von Alexander Purger

Alexander Purger ist Redakteur der Salzburger Nachrichten und schreibt die satirische Kolumne „Purgertorium“. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter der Kanzlerbiografie „Wolfgang Schüssel – Offengelegt“.

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ – Sollte dieser berühmte Satz aus Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus das geheime Motto unserer neuen Bundesregierung sein? Oder ist es doch eher Arthur Schopenhauers Aphorismus „Am Baume des Schweigens hängt seine Frucht, der Friede“? Auffällig ist jedenfalls, wie wenig Wert die neue, seit nunmehr rund hundertzehn Tagen im Amt befindliche Dreierkoalition auf ihre Außenwirkung legt: wenige Interviews, wenige Pressekonferenzen, wenig selbstverliebte Fotos, Videos und Kurznachrichten auf den sogenannten Sozialen Medien. Nicht, dass deswegen irgendjemandem etwas abgehen würde. Echt nicht! Aber nach Monaten und Jahren, in denen Selbstbespiegelung das wichtigste Betätigungsfeld der österreichischen Politik zu sein schien, ist es immerhin ungewöhnlich.

Zwei Gründe für die 180-Grad-Wende vom Nur-Daherreden zum Nix-Sagen sind denkbar. Entweder sieht die Regierung die budgetäre Lage als derart hoffnungslos und die notwendigen Sanierungsschritte als derart hart an, dass man unmöglich darüber reden kann (Variante Wittgenstein). Oder sie hat aus der Erfahrung früherer Regierungen gelernt, dass koalitionärer Streit auf offener Bühne niemals der eigenen Profilierung, sondern immer jener der Opposition dient (Variante Schopenhauer). Beides ist denkbar.

Der Schuldenberg ist von so aberwitziger Höhe, dass er sich ohnehin jeder Beschreibung entzieht. Und die Einsparungen und Belastungen, die zu seiner Abtragung notwendig sind, werden in den kommenden Jahren so hart und schmerzhaft sein, dass man sie den Betroffenen nur schonend, quasi zitzerlweise beibringen kann. Und was die innerkoalitionären Differenzen betrifft (etwa hinsichtlich der Messenger-Überwachung, der Migration oder der Frage einer Pensionsreform), hilft es nichts, sie öffentlich auszuwalzen und dadurch zu verschärfen. Besser ist es, sie intern und in Ruhe beizulegen.

So, das war jetzt die wohlwollende Einschätzung der ersten schwarz-rot-pinken Regierungsphase. Denn am Baum einer endlosen Regierungsbildung hängt seine Frucht, das Wohlwollen für die endlich doch zu Stande gekommene Regierung (um mit Schopenhauer zu sprechen). Viele Beobachter halten sich die Alternativen zu dieser Koalition vor Augen und verbeißen sich daher jede Kritik, indem sie es mit Wittgenstein halten und schweigen.

Tut man das nicht, könnte man auch zu einer etwas weniger wohlwollenden Einschätzung der Regierungsarbeit kommen. Dann könnte man anmerken, dass Probleme nicht verschwinden, wenn man nicht darüber diskutiert. Dass Reformen nur dann akzeptiert werden, wenn man sie erklärt und rechtzeitig um Verständnis für sie wirbt. Und dass schon im Alten Testament steht: „Auch ein Tor kann als weise gelten, wenn er schweigt, als einsichtig, wenn er seine Lippen verschließt.“

Meistgelesene Artikel