Warum nicht wirklich Christian Kern?
Rainer Nowak ist CEO der Tageszeitung „Die Presse“. Zuvor war er Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“ und davor Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.
Einen überzeugten Unterstützer konnte Christian Kern schon für sich gewinnen. Neos-Gründer Matthias Strolz befürwortete ein politisches Comeback des Ex-Kanzlers und -SPÖ-Chefs mit einem klaren „Ja“. In der ORF-Sendung „3 am runden Tisch“ am Freitag spielten sich die beiden Altpolitiker die PR-Bälle zu, dass es einem fast warm ums Herz wurde. Bro-Love würde es Tochter Strolz nennen, die dieser zum Zustand Österreichs mit einem „lost“ zitierte. Kern lobte Strolz für seine politische Neos-Leistung von der Idee in einer Weinbar bis zur Regierungsbeteiligung. Es verband die Unzufriedenheit über Österreichs Niedergang und natürlich der alte gemeinsame Elefant im Runden-Tisch-Raum, Lieblingsfeind Sebastian Kurz. Dem sagt man auch Phantomschmerzen nach.
Aber keine Sorge, Christian Kern hat mehr Unterstützer und Helfer bei seinem Rückkehrplan an die Spitze der SPÖ als Strolz. Seit Wochen und Monaten wird daran emsig und überraschend wenig geheimnisvoll gebastelt. Regie und Drehbuch verantwortet die SPÖ Niederösterreich, in der mehrere Kernianer im Exil arbeiten. Dem Vernehmen nach haben – durchaus überraschend – alle Landesparteien mit Ausnahme der Wiener zugestimmt, dass Kern vom Parteivorstand als zweiter Kandidat für das Amt des Parteichefs nominiert werden soll. Das stellt die einzige Möglichkeit dar, die unter Ägide Andreas Babler und Co. beschlossenen nordkoreanischen Parteistatuten auszuhebeln, die die Kandidatur eines Gegenkandidaten fast verhindern. Im Jänner soll das Vorhaben von einer breiten Mehrheit der Landesparteien öffentlich gemacht, also angekündigt werden.
Kern muss dann auf seinen größten potenziellen Verhinderer, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig zugehen und ihn um eine Aussprache bitten. Dabei sollte Kern erstmals mit deutlicher Selbstkritik seinen parteiintern massiv kritisierten Übernacht-Rücktritt vor sieben Jahren als Fehler einräumen. Einen weiteren übermächtigen Babler-Unterstützer gilt es ebenfalls von sich zu überzeugen: Wolfgang Katzian. Der Gewerkschaftschef hat eine Standleitung zu Andreas Babler und durch diese Maximaleinfluss in die Schrumpf-SPÖ, die sich dieser Tage bei der ÖVP und ihrem Kammer-Irrsinn bedanken kann, ausnahmsweise nicht im Visier der Medien zu stehen. (Die, die Babler gerade weiter frontal angreifen, verstehen das nur als Anzeigenakquise.)
Ob die Kern-Übung gelingt, wird sich weisen. Einer der besten und klügsten Köpfe dieses kleinen Landes, dessen Erfolge im Ausland ihn in Österreich und der SPÖ intellektuell verdächtig machen, meinte jüngst in einem Gespräch zum Kern-Antritt: „Man darf den gleichen Fehler nie zweimal machen.“
Aber einmal emotionslos ganz nüchtern betrachtet: Was wäre an einem ehemaligen CEO mit hohem Wirtschaftsverständnis und rhetorischem Talent in der aktuellen Rezessionsphase Österreichs an der Spitze der Regierungspartei SPÖ schlecht? Wäre ein Plan A 4.0 nicht genau jetzt der richtige Weg? Aus Sicht der Wirtschaft wäre Kern ein klarer Fortschritt für System, Land und Leute. In besagter TV-Sendung sprach er schlüssig das Problem Europas und seiner Wirtschaft an: Das lange funktionierende, alte, industrielle Erlösmodell löst sich gerade auf und damit fällt die Finanzierung unseres Sozialsystems und Wohlstands.
Aus Sicht der Wirtschaft wäre Kern ein klarer Fortschritt für System, Land und Leute.
Rainer Nowak
Stimmt, Kern hat aufgrund Beratungsresistenz, Hybris und Defizite im politischen Handwerk schwere Fehler gemacht. Aber daraus kann man lernen. Und hat nicht jeder eine zweite Chance verdient?
Daher: Lasst es Christian Kern doch versuchen, verehrte Genossen! Wenn Babler so stark ist wie er glaubt und wenn Kern so wenig Unterstützung in der Partei hat, wie die Wiener behaupten, kann er doch als Gegenkandidat problemlos antreten und dann eben würdevoll verlieren. Nennt sich Demokratie.