Was, wenn Javier Milei die Zentralbank wirklich abschafft?

11. November 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Heike Lehner

Heike Lehner ist freiberufliche Ökonomin und Generalsekretärin der Aktion Generationengerechtigkeit. Ihre Spezialgebiete liegen im Bereich der Geldpolitik und Finanzwirtschaft, wozu sie aktuell ebenso promoviert.

„Die Abschaffung der Zentralbank ist nicht verhandelbar.“ Das war nur eines der vielen radikalen Wahlversprechen des argentinischen Präsidenten Javier Milei im Jahr 2023. Seitdem ist in Argentinien viel passiert: radikale Deregulierung, verantwortungsvolle Fiskalpolitik. Bis August 2025 hat Milei über 1.200 Deregulierungsmaßnahmen implementiert. Die Wirtschaftsleistung hat sich verbessert, ebenso die Inflations- und Armutsraten. Im September betrug die Inflation nur mehr rund 32 Prozent – weit unter den 209 Prozent im Jahr zuvor. Die vielzitierte Kettensäge, mit der Milei Argentinien wieder auf Vordermann bringen möchte, wirkt. Ein Wahlsieg Ende Oktober bei der Zwischenwahl zum Kongress hat sein Reformmandat zusätzlich gestärkt. Denn natürlich gibt es noch einige Baustellen, die Wachstumsraten müssen mittelfristig wieder angekurbelt werden und das Vertrauen der Investoren in den argentinischen Markt muss weiter gestärkt werden.

Das vermutlich größte Thema ist jedoch die argentinische Währung, der Peso. Argentinien muss Dollarreserven aufbauen, um seine Währung zu stützen und Verpflichtungen gegenüber dem Ausland erfüllen zu können. Bis die Nachhaltigkeit der argentinischen Währungspolitik tatsächlich glaubwürdig ist und Milei die Zentralbank abschaffen wird, dauert es noch. Vorher möchte er auch noch die Bilanz der Zentralbank bereinigen und die Schulden abbauen. Aber der ideologisch geprägte Milei hat seine Fantasie sicherlich nach wie vor im Hinterkopf.

Für viele Libertäre wie Milei sind Zentralbanken die Wurzel allen Übels: Eine staatliche Institution wird immer Anreize haben, Geld zu drucken. Die daraus folgende Geldentwertung und die zentrale Zinssteuerung führen zu Krisen und ungewollter Umverteilung. Künstlich billiges Geld ist Gift für funktionierende Märkte. Auch eine formal unabhängige Zentralbank, wie wir sie beispielsweise in der Eurozone haben, ist für Libertäre nur eine Illusion. Eine optimale Geldpolitik kann es in einem freien Markt aus ihrer Sicht gar nicht geben, wenn sie zentral staatlich gesteuert ist. Im Falle Argentiniens ist Mileis Antipathie durchaus nachvollziehbar.

Für viele Libertäre wie Milei sind Zentralbanken die Wurzel allen Übels.

Heike Lehner

Anders als in der Eurozone, wo die Finanzierung der staatlichen Haushaltsdefizite im vergangenen Jahrzehnt zumindest nur über Umwege passiert ist und die Inflation, so wie wir sie messen, nicht sofort derart stark reagiert hatte, war das in Argentinien nicht der Fall. Seit Jahrzehnten finanzierte sich die Politik dort über die Druckerpresse, die Inflationsraten lagen nicht selten im dreistelligen Bereich. In der Eurozone ist es daher einfach, die Abschaffung der Zentralbank als eine Fantasie abzutun. Die Abermilliarden an Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) führten zwar zu Reformunwillen der Mitgliedstaaten, die Preise bewegten sich vor 2021 jedoch kaum.

Milei könnte mit der Abschaffung vermeiden, dass zukünftige Präsidenten die Vergangenheit wiederholen und seine Reformgewinne wieder zunichtemachen. Wenn die Zentralbank erst mal abgeschafft ist, würde es dauern, sie wieder aufzubauen. Doch womit sollen die Argentinier dann bezahlen? Die Antwort lautet: Mit der Währung, mit der sie sich am wohlsten fühlen. Das ist grundsätzlich mit Einschränkungen jetzt schon möglich. Diese „Wohlfühlwährung“ scheint wenig überraschend der Dollar zu sein. Argentinien wäre nicht das erste lateinamerikanische Land, das seine Wirtschaft dollarisiert. Und es ist bereits nichts Ungewöhnliches mehr, größere Transaktionen in Dollar durchzuführen. Der Peso ist einfach zu instabil. Und die argentinische Politik war in der Vergangenheit zu süchtig nach Geldgeschenken, finanziert durch die Zentralbank.

Die argentinische Politik war in der Vergangenheit zu süchtig nach Geldgeschenken, finanziert durch die Zentralbank.

Heike Lehner

Ob Milei schlussendlich wirklich die Zentralbank abschaffen kann, steht noch in den Sternen. Bis zu dem Ende einer möglichen zweiten Legislaturperiode im Jahr 2031 hat er noch Zeit. Bisher hat er aber viele Wahlversprechen eingehalten, Milei ist kein Mann leerer Worte. Aus libertärer als auch argentinischer Sicht ist seine Herangehensweise nachvollziehbar. Auch wenn wir in der Eurozone über solche Wahlversprechen lachen, zeigt Milei, wie tief das Misstrauen gegenüber staatlicher Geldpolitik in Ländern mit chronischer Inflation sitzt. Ob Mileis Experiment am Ende als ökonomische Befreiung oder als politisches Wagnis in die Geschichte eingeht, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: Er zwingt die Welt, über den Preis und den Zweck staatlicher Geldpolitik neu nachzudenken.

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