Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, haben wir ein Problem
Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.
Machen wir ein Gedankenexperiment: Die Österreichische Wirtschaft schafft es trotz ambitionsloser Standortpolitik 2025 wieder zu wachsen. Wenn Wifo und Co. sich diesmal nicht nach unten korrigieren müssen, ist vielleicht ein BIP-Plus von ungefähr einem Prozent drin. Wie auch immer es gelingt, die Nachfrage anzukurbeln – es gibt da noch ein Problem, über das derzeit wenig geredet wird: Diese Nachfrage trifft dann auf einen Fachkräftemangel. Uns gehen die Menschen aus, die Maschinen bedienen, Holz oder Haare schneiden, Schnitzel klopfen oder Alte pflegen. Die Verbleibenden arbeiten immer weniger und die, die aus anderen Ländern nachkommen, können die Lücke bisher nicht füllen – das Arbeitsvolumen pro Beschäftigtem ist in Österreich stark rückläufig.
Die Produktionskapazitäten sind in den letzten Jahren gesunken – Unternehmen haben also weniger produziert, als sie hätten können. Zum Teil liegt das an einer geringeren Nachfrage, aber nicht nur. Nicht ausgelastete Kapazitäten können aber auch ein Zeichen für Fachkräftemangel sein. Derzeit ist das Thema ein wenig in den Hintergrund getreten – klar, die Industrie hat gerade größere Probleme, beispielsweise nicht konkurrenzfähige Kosten. Eines ist jedenfalls klar: Sollte ab nächstem Jahr die Konjunktur tatsächlich wieder anziehen, wird sich der Fachkräftemangel schmerzhaft zurückmelden. In Deutschland macht man sich darüber berechtigterweise bereits Sorgen, obwohl die Idee, Wachstum auf Pump zu finanzieren, vorerst gar keinen Boom auslösen wird. Für 2025 rechnen Ökonomen in Deutschland trotz Investitionspaket mit Stagnation – laut EU-Kommission steht heuer in der EU nur Österreich noch schlechter da.
In Deutschland mussten 2024 allein im verarbeitenden Gewerbe 19.000 Unternehmen stillgelegt werden – um 19 Prozent mehr als im Jahr davor. Im energieintensiven Bereich waren es 1.050 Unternehmen – um 26 Prozent mehr als 2023. Wir reden hier von der Pharmaindustrie und der Chemieindustrie. Das sind nicht nur gut bezahlte Arbeitsplätze, die da verschwinden, sondern auch hochinnovative Zukunftsbranchen, die betroffen sind. Die Werke, die hier geschlossen werden, kehren nicht zurück. Manche davon werden in anderen Ländern wiedereröffnet oder durch einen Ausbau der Produktion in anderen Ländern kompensiert. Das Wachstum findet – in Deutschland wie in Österreich – im Dienstleistungsbereich statt. Leider aber nicht wie in den USA im Hightech-Sektor, sondern vor allem im öffentlichen Dienst, in der Pflege und der Gesundheit – das sind Bereiche, die wichtig sind, aber rein volkswirtschaftlich betrachtet keine hoch produktiven, innovativen Sektoren mit gut bezahlten Jobs. Ohne tiefgreifende Reformen und einem konsequenten Abbau innovationshemmender Regulierung, wird dieser wenig vorteilhafte Strukturwandel wohl oder übel ausgezeichnet gelingen.

Wenn die Wirtschaft kommendes Jahr in Österreich tatsächlich wächst, dann muss man den Unternehmen einen Orden verleihen. „Entfesselt“ hat sie nämlich wirklich niemand, eher das Gegenteil ist der Fall: Während Österreich Wachstums-Schlusslicht ist, gehören wir zu den Weltmeistern im Besteuern. Die Lohnstückkosten gehören zu den höchsten in Europa und einen großen Anteil daran haben die hohen Lohnnebenkosten, bei den in ganz Europa hohen Energiepreisen gewähren wir energieintensiven Unternehmen keinen Stromkosten-Ausgleich. Diese teilweise Rückvergütung von Kosten aus dem Emissionshandel geschieht aber in fast allen anderen EU-Ländern, wodurch österreichische Unternehmen in Sachen Energiekosten nicht nur im Vergleich zu Unternehmen aus den USA und China schlechter dastehen, sondern auch im Vergleich zu Deutschland, Frankreich oder Polen. Und dann bleibt da eben noch der Fachkräftemangel. Wie groß das Problem werden kann, zeigt ein Blick zurück in die Zeit vor der Rezession. Bevor der Auftragsmangel wuchs, war der Mangel an Fachkräften das größte Hemmnis der Industrieproduktion (hier eine Grafik dazu). Nicht unbedingt ein neues Problem also – immerhin hat der Ministerrat bereits beschlossen, die Ausarbeitung einer Fachkräftestrategie zu priorisieren. Das klingt doch mal nach Turbo!